Unser Schulsystem lässt zu wünschen übrig. Doch die meisten haben doch viele schöne Erinnerungen an die Schule, gerade was den Kampf mit kuriosen Lehrern angeht. Manche Eltern flüchten sich in Montessori-, Waldorf- oder Freilerner-Schulen. Die Psychiatrie hat sich enorm weiterentwickelt, aber dennoch werden hier Menschen fixiert und mit Medikamenten betäubt. Es kann sehr schwer fallen, dort zu arbeiten, wenn man anders eingestellt ist. Das Angstelltendasein bedeutet für viele „Gefangenschaft“ – daher entscheiden sie sich für die Freiberuflichkeit. Doch manche geraten vor lauter Flucht vor dem Schlechten in der Gesellschaft in eine Art Gefangenschaft. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, sagen sie, und versuchen, so „richtig wie möglich“ zu leben. Manchmal tun sie sich dabei fast Gewalt an.
„Glaube an das, wovon du träumst und lebe deinen Traum!“, lautet heute die Devise – und es scheint, als würde man andere Menschen, geschweige denn „das System“ dazu nicht brauchen. Doch „da draußen“ sieht es aus wie in unserer Psyche auch: Es gibt kein gewaltfreies Leben, es gibt nicht nur Gutes und Richtiges. In uns selbst tobt allzu oft der Mob. Manche Zellen in uns werden bösartig und müssen von der Zellpolizei getötet werden. Wir wollen selbst zerstören, wenn unsere Mangelerfahrung zu groß wird und wenn wir unter allzu großen Druck geraten. „Da draußen“ sieht es genau so aus.
Outer Space?
Wer Arzt werden möchte, braucht ein Abitur und muss sich durch manch sinnlose Arbeiten manövrieren. Wer Psychoanalytiker werden will, fährt oft leichter, wenn er die Facharztweiterbildung „Pychiatrie“ oder „Psychosomatik“ durchlaufen hat. Auch, wenn man keine Medikamente geben will, so muss man es im „System“, in dem man arbeitet, oft tun. Gegen den eigenen Willen verteilt der Arzt vielleicht Medikamente und der Patient nimmt sie gegen seinen eigenen Willen ein, weil die Anweisung von oben kam und der Arzt das System mittragen muss. Ich höre tröstende Youtube-Videos und frage mich dabei, ob einer dieser Lebensweisheits-Gurus irgendwann mal z.B. als Weiterbildungsassistent in Psychiatrie gearbeitet hat …
Paradoxien ertragen
Die Welt ist so oft paradox: Wenn man Intoleranz toleriert, kann man von den Intoleranten in die Ecke gedrängt und überrollt werden. Wer angegriffen wird, der schützt sich, vielleicht mit einem Gegenangriff. Gewalt führt zu Gewalt. In der Notwehr schlägt man reflexhaft zurück. Allzu oft ist man es auch selbst, der andere verletzt. Manchmal ungewollt, manchmal unbewusst doch gewollt. Man bekommt oft einen Schrecken, wenn man sich selbst erkennt. Um sich selbst gut kennenzulernen, ist es wichtig, sich mit Güte anzuschauen, in welchem Ausmaß es auch immer möglich ist. „Radikale Akzeptanz“ ist das neue Schlagwort.
Vieles wird leichter, wenn wir die Dinge lassen wie sie sind. Wenn wir wissen, dass wir geliebt werden. Wenn wir beobachten. Darüber schreiben. Wenn wir selbst versuchen, nicht zu schaden. Wenn wir selbst kleine Verbesserungen in diese Welt bringen. Wir können achtsam sein und das Beste aus allem machen. Wir können überlegen, ob wir angestellt oder „frei“ sein wollen. Aber manchmal führt der Weg in die Freiheit über die Phasen der Unfreiheit und des Verdruß‘. Es wird leichter, wenn man versucht, die Welt da draußen ebenso verständnisvoll anzuschauen wie sich selbst.
Es ist schon dunkel geworden, als ich Bürotür hinter mir zuziehe. Ich bin spät dran. Mein älterer Kollege anscheinend auch. Doch irgendwie ungewöhnlich: Er sitzt auf der Treppe und raucht. Als ich näher komme, sehe ich, dass er weint. „Ich habe meinen Sohn verloren“, sagt er leise. „Oh mein Gott“, denke ich. „Er wird sich zu einer Frau umoperieren lassen. Schon sehr bald“, sagt er. Erschüttert setze ich mich neben ihn. Ich versuche, meine Gedanken zu sortieren. „Wissen Sie, wo ich Hilfe finde?“, fragt er mich. (26.7.2017)
Da liest man tagein, tagaus über Homosexualität, Trans-, Bisexualität und Geschlechtsangleichungen, doch ist man dabei meistens mit dem Leid der Betroffenen selbst beschäftigt. Bis zum damaligen Zeitpunkt kam es mir nicht in den Sinn, dass auch Eltern und Angehörige in einem ungeahnten Ausmaß leiden. Stolz hatte mein Kollege immer von seinem Sohn erzählt – das Verhältnis zu ihm war gut. Er hatte sich immer einen Sohn gewünscht. Warum hatte er nicht bemerkt, wie unglücklich sein Sohn war? Was da alles in der Kommunikation „schiefgegangen“ sein könnte, was nicht bemerkt und ausgesprochen wurde, lässt sich nicht so schnell nachvollziehen. Jetzt jedenfalls sitzt der Vater vor mir, den es fast zerreißt. An seiner Identität als Vater rüttelt es gewaltig. Wo findet er Hilfe?
Oft wird den Eltern der Rat gegeben, das Kind zu respektieren und zu akzeptieren. Doch auch die Eltern haben ihre Geschlechtsidentitäts-Geschichte. Sie haben ein Kind groß gezogen und dabei auch eine Identität als Vater und Mutter entwickelt. Die Probleme der Eltern sind so individuell, dass auch ihnen oft am besten mit einer eigenen Psychotherapie geholfen ist. Adressen gibt es z.B. bei der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V., www.dgpt.de.
Links:
Julian Gill Peterson:
Core Gender Identity: The Transgender Child and the Inversion of Freud
Posted on March 7, 2014
juliangillpeterson.wordpress.com
Adressen von Selbsthilfegruppen für Eltern transsexueller Kinder in Nordrhein-Westfalen:
trans-nrw.de/selbsthilfegruppen/
Psychotherapeutenliste auf trans-infos.de
www.trans-infos.de/psychotherapeuten
Ratgeber für Eltern von ATME e.V.
Aktion Transsexualität und Menschenrecht, 7/2012
atme-ev.de/texte/Eltern_Ratgeber-Version-1_0.pdf
Informationen für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern
transsexualitaet-info.de/?page_id=241
„Guten Tag, Frau Doktor“, begrüßt mich mein HNO-Arzt, als ich geschwächt, hypochondrisch und mit Wahnsinns-Ohrenschmerzen seinen Raum betrete. „Lassen Sie bitte das ‚Doktor‘ weg“, entgegne ich, „wenn ich krank bin, ist der Titel total unpassend.“ Ich fühle mich elend. Eine Mittelohrentzündung! Was gibt es Schlimmeres? Der Arzt tätschelt beruhigend meine Hand. „Das wird schon wieder!“ Ich lasse mir das Ohr ausspülen und stelle mich ziemlich an dabei. Alle zwei Sekunden fragt der Arzt mich, ob’s noch geht. Danach geht’s mir besser. Meine Kräfte kehren zurück. Ein bisschen Scham steigt auf ob meines Verhaltens. Wenn ich krank bin, dann bin ich einfach krank.
„Klient“ kann man nur sein, wenn man sich so fühlt
Viele Patienten wollen nicht „Klienten“ sein. Wer krank ist, braucht Zuwendung. Er braucht jemanden, der ihm Entscheidungen abnimmt, ihn stützt, tröstet, aufbaut. „Patient“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Der, der Geduld hat“. Im Wartezimmer sitzen viele Patienten, die mit großer Geduld warten. Selbst entscheiden und „gleichberechtigt“ sein können viele Patienten erst wieder, wenn es ihnen besser geht.
Wer eine Panikattacke hat oder tief depressiv ist, der fühlt sich sehr wenig klientig. Dem macht es auch nichts aus, sich nicht auf Augenhöhe mit dem Therapeuten zu fühlen – im Gegenteil: Er freut sich, wenn er aufgefangen und gehalten wird. „Regression im Dienste des Ichs“ heißt dieser Zustand. Ich würde mich freuen, wenn es wieder mehr Patienten und weniger Kunden gäbe. Will ich Kunde sein, dann geh‘ ich zu Aldi.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 13.9.2013
Aktualisiert am 26.7.2017
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