„Ich kehre heim“, sagen manche Sterbende und fühlen sich geborgen. Manche rufen den Namen ihres verstorbenen Partners aus, andere freuen sich darauf, ihre Eltern wiederzusehen. „Es wäre für mich der reinste Horror, wenn ich sterbe und als Erstes meine Mutter sehe!“, sagt eine Patientin, die bereits als Baby massive Gewalt erfuhr. „Ich habe niemanden, den ich mir vorstellen kann – daher macht mir das Sterben solche Angst.“ Unser tägliches Leben wird von Vorstellungen und Phantasien geprägt. Unsere Seele lebt dabei von Beziehungen – von der Beziehung zu uns selbst, zur Natur, zur Familie, zu den Menschen, die wir hassen und lieben. Weiterlesen
„Wo ich hinkomme, reagieren die Menschen mit Ärger auf mich. Ich weiß nicht, wieso. Es sind sehr unbefriedigende Begegnungen.“ Eine Patientin erzählt, dass fast alle ihre Kontakte von unbegreiflicher Aggression betroffen sind. Erst im Laufe der Zeit entdeckt sie, dass sie die anderen ständig steuern will. Sie macht Witze, damit die anderen lachen und sie denkt sich vorher genau aus, was sie sagt, damit die anderen in dieser oder jener Weise reagieren. Auf einmal versteht sie, warum so viel Langeweile in ihrem Leben herrscht: Sie vermeidet die lebendige Begegnung.Weiterlesen
Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als zu hoffen. Manchmal kann man nichts anderes tun, als Tee zu trinken und zu warten. Während man sich so ohnmächtig fühlt, schlägt einem das Herz bis zum Hals. Es fühlt sich an, als müsse man sterben. Weil man eben nichts tun kann, während das Innere rast. Aber man kann hoffen – immer wieder hoffen und hoffen. Weiterlesen
Noch drei Minuten, sagt der große Zeiger. Gleich wird er klingeln, mein Patient. Wie fast jeden Tag zur vollen Stunde. Und ich kann nichts dagegen tun. Er wird da sein. Er wird wollen. Er will, dass ich zuhöre und nachdenke. Ich kann nicht weg. Dabei bin ich müde. Wie eine Mutter. Doch der Säugling, er gibt keine Ruhe. Er fordert und fordert und fordert. || Noch drei Minuten, sagt das Autoradio. Dann steige ich aus und begebe ich mich zur Tür meines Lehranalytikers. Er wird da stehen und auf mich warten. Ohne Gnade. Er fordert von mir, dass ich sage, was mir einfällt. Ständig. In jeder Sekunde. Meine ich. In meiner Welt. Er sitzt da und wartet und wartet und wartet. Wie ein Herrscher. Ich bin müde, ich will nichts mehr sagen. Doch er ist da, komme, was wolle.Weiterlesen
Da ist eine Perle in mir. Ich bin eine Auster und lasse mich in der Tiefe des Meeres sanft hin- und herbewegen. Meistens ist meine Schale zu, denn ich befürchte, dass man mir meine Perle klauen könnte, wenn ich mich öffne. Was aber, wenn es gar nicht (mehr) so ist? Was, wenn die anderen respektvoll vor mir stehen bleiben? Wenn sie mein Gesicht, meine Perle respektieren? Wenn sie selbst darum bemüht sind, meine Perle zu beschützen? Ich komme an einer anderen Auster vorbei. Sie ist weit offen und trägt eine wunderschöne Perle. Ich sehe sie glänzen. Neid kommt auf. Und auf einmal bin ich es, der rauben will! Ich will diese Perle haben, ich will sie klauen, mir zu eigen machen. Doch dann fällt mir meine eigene Perle ein. Ich hätte nichts davon, die andere Perle zu klauen. Sie würde nicht zu mir passen. Ich hinterließe eine leere Schale und würde selbst einsam werden. Da ist es doch sinnvoller, ich lasse meine eigene Perle in Ruhe wachsen, sodass sie selbst schön glänzt.Weiterlesen
„Also Du hast den Patienten verstanden. Und was machst Du dann, damit Du ihm hilfst?“, werde ich manchmal gefragt. „Da hat der Analytiker mich verstanden und ich habe mich allein dadurch um Längen besser gefühlt. Ich habe das Gefühl, es hat sich wirklich etwas verändert“, erzählt eine Patientin. „Und dann?“, fragt die Freundin. „Nichts ‚und dann‘ – das hat gereicht“, sagt die Patientin. Tatsächlich geraten Patienten und Analytiker manchmal in Erklärungsnot, wenn es an dieser Stelle um die Wirkung der Psychoanalyse geht. Es müsse doch etwas folgen, man müsse doch etwas machen, so der Gedanke. Doch man darf gelassen bleiben. Weiterlesen
Wir alle tragen Mutter und Vater (so wir sie denn hatten) in unserer Seele mit herum – der eine mehr, der andere weniger. Mutter und Vater sind als „Primärobjekte“ (primäre Objekte) in unsere Seele sozusagen eingebaut. Sie lieferten uns den Prototyp der Kommunikation. Wie wir uns bei Vater und Mutter fühlten, so fühlen wir uns später im Leben immer wieder mal. Diejenigen, dieüberwiegend eine liebevolle Beziehung zu Mutter und Vater hatten, genießen das und zehren ihr ganzes Leben davon. Doch die schwer traumatisierten Kinder haben später oft nur Eines im Sinn: Mutter und Vater aus der Seele heraus zu befördern. Weiterlesen