Es gibt sicher kaum eine alleinerziehende Mutter, die diesen Satz nicht schon mal gehört hat: „Mein Mann kommt immer erst spät nach Hause – ich bin sozusagen auch alleinerziehend.“ Ich antwortete dann meistens: „Die Tage sind nicht das Problem. Erst in der Nacht spürt man die Last.“ Alleinerziehend zu sein ist deshalb oft so anstrengend, weil abends eben niemand nach Hause kommt. Nach einem anstrengenden Tag fällt man totmüde ins Bett. Und wird vielleicht mitten in der Nacht geweckt, weil das Kind spuckt oder mit Fieber aufwacht. Nachts kommen die Geldsorgen, die Sorgen um die Konflikte mit dem Vater, die Gefühle des Alleinseins und Überfordertseins. Es ist das leere Bett, das schmerzt. Weiterlesen
„Ich habe so viel zu erledigen, ich kann mich nicht hinsetzen und ‚Oom‘ singen“, sagt eine Frau. Sobald sie sich vornimmt, Yoga zu machen oder zu meditieren, drängen sich ihr unglaublich wichtige, ja lebenswichtige Dinge auf: Der Streit mit dem Partner, das nicht überwiesene Geld, der zu verschiebende Termin, der Schimmel im Kühlschrank, der Hautfleck, der wie Krebs aussieht, die Drohung des Nachbarn, einen Rechtsstreit zu beginnen – all das schwirrt im Kopf herum. „Ich muss mich doch sofort daran begeben, zu telefonieren, zu schreiben, zu reden, zu handeln, damit um mich herum keine Brände entstehen, oder?“ „Wenn ich ruhig werde, obwohl um mich herum alles höchst beunruhigend ist, dann betäube ich mich doch selbst, oder?! Wenn ich Geldsorgen habe und eine Stunde meditiere, anstatt zu arbeiten, dann wird doch alles viel schlimmer!“
„Ich habe Angst, dass ich durch das Ruhigwerden nicht mehr auf die alltäglichen Katastrophen reagiere und dann irgendwann aufwache und merke, dass alles kaputtgegangen ist, nur weil ich in meiner Ruhe nichts bemerkt habe“, sagt einer.
Doch wenn man sich trotz der Brände und Aufregungen in einem und um einen herum hinsetzt und versucht, ruhig zu werden, stellt man oft fest: Das Leben regelt sich von selbst. Der Anrufer, der eben noch so dringend drängte, hat eine andere Lösung gefunden. Der verschobene Termin wird durch einen günstigeren ersetzt. Die Flammen, die man als sehr hoch phantasierte, sind nur kleine Kerzenscheine. Und anstatt „betäubt“ zu sein, wird man durch die Ausgeglichenheit sensibler für Entwicklungen, kann über die Dinge besser nachdenken, sie ruhiger beeinflussen und leichter mit anderen reden. Bei der Meditation ist es dann manchmal wie im Urlaub: Während man in den ersten Tagen noch unruhig ist, merkt man nach einiger Zeit vielleicht, wie man ruhiger wird und mehr Abstand gewinnt. Auch, wenn wir nicht da sind, geht das Leben weiter. Irgendetwas fängt uns auf, hält uns, wenn wir ruhig werden.
Irgendwann merken wir: Nicht das Ruhig-Werden ist das Problem, sondern das dauerhafte Mitbrennen, Mit-Hetzen, Handeln und Aktiv-Sein. Durch das Ruhigwerden werden unsere Größenphantasien kleiner, wir werden im positiven Sinne etwas unwichtiger. Der Lebenspuls geht weiter, so wie unser Herz einfach weiterschlägt, ganz besonders dann, wenn wir es in Ruhe lassen.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 11.5.2017
Aktualisiert am 5.9.2020