Wir schenken ihnen kaum Aufmerksamkeit, dabei sind sie so mächtig: die Momente auf der Schwelle. Das Baby weint, wenn es ins Bettchen gelegt wird – zu groß ist das unangenehme Gefühle an der Schwelle zum Getrenntsein und zum Schlaf. Da ist das gequälte Mädchen, das fast einen Orgasmus bekommt, weil sie hört, dass ihre Mutter gleich zur Tür hereinkommt (Beispiel erzählt von Professor Wolfgang Berger im Podcast). Bevor die Psychotherapiestunde beginnt, kommt der Druck, auf die Toilette zu laufen. Gleich geht der Vorhang auf und man betritt die Bühne. Weiterlesen
Die Angst ist überall. Sie ist tief in mir und war schon immer dort. Sie bedrängt mich, sie füllt mich aus. Sie ist wie ein riesiges Loch. Es gibt keinen Kern mehr in mir. Die Realität greift nicht mehr. Niemand kann mich trösten, niemand kann mir Halt geben. Die anderen, sie interessieren mich nicht. Das Leben ist nichts als eine riesige Bedrohung. Ich kapituliere. Medikamente helfen nicht. Expositionstraining hilft nicht. Beziehung nicht. Selbst im Tod bin ich mir nicht sicher, dass ich nicht auf immer irgendwelche Höllenqualen leiden muss. Nichts hat wirklich gegriffen. Ich bin Dieselbe geblieben.
Der Schriftsteller Jean Améry hat sich das Leben genommen, weil diese Angst für ihn unerträglich war. Das macht mir Angst – ich will nicht, dass es mir auch so geht. Diese Angst, sie lässt sich nicht erklären. Und doch kennen andere Menschen genau dieses. Vielleicht kannst Du irgendwo in Dir eine Grenze spüren. Und ein Bedürfnis.
Kommentar: So wie hier beschrieben fühlen sich Menschen mit einer schweren Angststörung manchmal. Es fehlt das Gefühl: Das andere gibt es auch. Im Sommer kann man sich den Winter kaum vorstellen – und umgekehrt. Manchmal hilft aber das pure Wissen, dass das andere noch da ist und gefunden werden kann.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 26.5.2022
Erst ist man auf der Suche. Vielleicht sein halbes Leben lang. Oder länger. Und dann trifft man auf einen Menschen, der ist gut. Der nimmt sich Zeit, der nimmt einen ernst, der lehrt einen, sich selbst zu verstehen. Da gibt es keine „brutale Ehrlichkeit“, sondern vorsichtiges Fragen, vorsichtiges Interesse. Dann tritt noch ein guter Mensch in das eigene Leben. Und dann noch einer und noch einer. Keine Angst, es ist auszuhalten, denn der schlechten Menschen gibt’s genug. Aber das Gute, das ist wie eine Kette. Ein Glied reiht sich an das andere. Irgendwann wird man gehalten und aufgefangen vom Guten. In Freiheit. Und Sicherheit. Und plötzlich kommt es: Das späte Glück, die späte Familie ist da.Weiterlesen
Das Kind, es war das Ein-und-Alles für seine Eltern. Sie waren nicht weit gekommen, die Eltern. Sie kamen aus dem Krieg. Das Kind, es durfte sich nur mit großer Vorsicht an seiner Entwicklung freuen. Das Wachsen erschien ihm wie ein Sich-satt-Essen neben den hungrigen Eltern. Es durfte nicht zu sehr wachsen, nicht zu reich werden und auch keine bessere Familie gründen. Es setzte Himmel und Erde in Bewegung, um wenigstens eine kleine Wolke zu erreichen. Da saß es nun drauf. Die Eltern, sie waren stolz und sie waren es nicht. Sie waren beschämt ob des Unterschieds. Der Magnet zog das Kind wieder in den Abgrund. Eine große Kraft. Wieder unten angekommen war das Kind arm und kalt. Aber ohne Schuldgefühl. Weiterlesen