Sind wir überrascht, heben wir die Augenbrauen und öffnen die Augen weit. Das tun alle Menschen auf der Welt – unsere Gesichter spechen eine Sprache. Der amerikanische Psychologe Paul Ekman (Wikipedia) hat sein ganzes Berufsleben lang Gesichter und die averbale Kommunikation erforscht. Zusammen mit seinen Kollegen Wallace V. Friesen und Joseph C. Hager entwickelte er das „Facial Action Coding System“ (FACS), eine Datensammlung einer schier unglaublichen Anzahl von Gesichtsausdrücken. Ekmans Erkenntnisse werden unter anderem in der Therapie von Menschen mit Autismus eingesetzt – hier können die Patienten „lernen“, welche Gesichtsausdrücke welche Gefühle ausdrücken. Paul Ekman erforschte jedoch nicht nur die Mimik, sondern auch die gesamte Körpersprache. Weiterlesen
Die Angst, sich zu übergeben (Emetophobie, specific phobia of vomiting, SPOV), kann enorme Ausmaße annehmen. Wenn Du selbst betroffen bist, hast Du vielleicht keine Freude mehr an gemeinsamen Mahlzeiten. Schon nach wenigen Bissen hast Du vielleicht das Gefühl, alles wieder ausspucken zu müssen. Du meidest vielleicht deswegen Konzerte, Unternehmungen mit Freunden oder Vorträge. Ein Globusgefühl oder ein ständiger Würgereiz kann die Folge eines angespannten vegetativen Nervensystems sein. Hier können tägliche Atemübungen helfen. Vielleicht hilft es Dir, immer ein Mittel gegen Übelkeit bei Dir zu haben – auch, wenn Du es nie nimmst, so hast Du vielleicht ein wenig das Gefühl, im Ernstfall etwas tun zu können. Weiterlesen
„Da muss jetzt unbedingt etwas passieren. Was soll ich tun?“ Nichts. Manchmal einfach nichts. Oder sogar öfter mal nichts. Wir kommen so oft in Bedrängnis, weil wir ständig das Gefühl haben, dass wir aktiv etwas tun sollen. Wir wollen immer sofort reagieren. Im Rechtsstreit, bei medizinischen Problemen, bei psychischen Beschwerden. Schlimmer noch: Wir wollen nicht nur sofort reagieren, wir wollen sogar verhindern, dass etwas passiert. Doch so kann sich nichts entfalten. Gerade in der Meditation oder in der Psychoanalyse entdecken die Menschen häufig unerwünschte Gefühle, die sie sofort wieder loswerden wollen, nachdem sie sie entdeckt haben: „Was soll ich jetzt tun?“, ist die Frage, die sofort kommt. Weiterlesen
Wenn wir einen Tinnitus haben, befürchten wir vielleicht, verrückt zu werden, weil da was ist, was wir so absolut nicht wollen oder kontrollieren können. Der eigene Körper quält uns mit Tönen, Summen, Piepsen, Pochen und Geräuschen. Ohren kann man nicht verschließen, das ist ja schon im täglichen Leben so. Aber bei äußerem Lärm kann man sie sich zuhalten oder weglaufen. Da nutzen auch die zahlreichen Erklärungen nichts, etwa, dass jeder Ohrgeräusche habe, aber nicht jeder darauf höre. Das denke ich nicht. Ich denke, dass der Tinnitus tatsächlich ein „neuer Ton“ für den Betroffenen ist. Weiterlesen
Ich hatte mich oft gewundert, dass ich morgens nach dem Yoga vegetativ gestresst bei der Arbeit ankam. „Du machst zu viel davon“, sagte mir die Stationsschwester, mit der ich zusammenarbeitete. Und konnte es kaum glauben, denn ich machte gar nicht so viel. Außerdem beendete ich meine Yogarunden mit der Ruheübung Savasana (Leichenstellung). Yoga ist sehr wirksam und insbesondere Menschen mit Angststörungen und frühen Traumata müssen es oft sehr langsam angehen lassen. Die meisten Youtube-Videos stammen von jungen dynamischen Yogalehrern und -lehrerinnen. Schon beim „Anfängerkurs“ möchte man gleich wieder abschalten. Weiterlesen
„Im Hinterkopf“, sagt ein 9-jähriges Kind auf die Frage, wo im Körper es Langeweile spürt. Ein Kleinkind sagt: „Mir ist so langweilig“ und übergibt sich. Langeweile lädt zum Gähnen ein und kann ein Zeichen für Hunger sein – sie kann aber auch Hunger vorgaukeln. Während wir essen, ist es uns meistens nicht langweilig. Wenn wir in einem Raum sitzen, in dem die Luft verbraucht ist, kann uns leicht langweilig werden. Nächtliches Wachliegen ist langweilig, doch bettschwer werden, träumerisch dösen und einschlafen ist nicht langweilig. Allerdings sagt Calvin von „Calvin und Hobbes“ einmal: „I bored myself awake“ („Ich langweilte mich wach“).Weiterlesen
Wenn wir nachts hören, wie unser Nebenmann schläft, können wir möglicherweise die „Ujjayi-Atmung“ hören. Es hört sich an, als würden wir im Winter eine Scheibe anhauchen, die dann beschlägt. Dieses Geräusch können wir besonders gut beim Ausatmen machen. Es hat viele Wirkungen, die die Yogalehrerin Geetha Kanthasami auf Youtube gut erklärt. Es bewirkt unter anderem, dass wir tiefer in eine Yogaposition kommen können. Es ist hilfreich für Menschen mit Stimmproblemen. Interessant: Beim Ausatmen in Ujjayi fühlt es sich an, als würde die Luft an der Vorderwand der Luftröhre entlang strömen, während man beim Einatmen spürt, wie die Luft an der Hinterwand vorbeigeht.Weiterlesen
„Die Chefs erkennen die Bewerber am Stallgeruch“, heißt es in den höheren Etagen. Die Bewerber bräuchten nur den Raum zu betreten und die Chefs wüssten bereits, wie sie sie einordnen können. Manchmal sind dann selbst die motiviertesten Menschen chancenlos, wenn es ihnen am entsprechenden Stallgeruch fehlt (siehe Soziologie-Professor emeritus Michael Hartmann auf (deutschlandfunk.de, 2002), TU Darmstadt). Man kann es sich nicht antrainieren, weil z.B. auch die unwillkürliche Gesichtsmuskulatur viel über den Menschen aussagt. Es sind kleine Details, die wir nicht beeinflussen können. Viele intelligente Kinder kommen nicht in den Genuss von Bildung, weil ihr sozialer Stress zu hoch ist – sie sind beschäftigt mit den lauten Streitereien in der Familie, den unkontrollierbaren Reaktionen der Eltern und den Anspannungen, die durch Armut entstehen.
Es ist sehr schwierig, über diese Dinge zu schreiben, denn leicht können sich Lesende hier verletzt fühlen. Ich zeichne hier ein übersteigertes Schwarz-Weiß-Bild, damit die Dinge klarer werden. Die Realität der Menschen liegt immer irgendwo zwischen den Extrempunkten. Sogenannte „hochstrukturierte psychische Anteile“ können auch in einem einzigen Menschen gleich neben „niedrigstrukturierten Anteilen“ liegen. Und auch Menschen aus wohlhabenden, gebildeten Familien können sehr mit existenziellen Sorgen und psychischen Erkrankungen kämpfen.
Bei Menschen aus bildungsbenachteiligten und armutsbetroffenen Schichten ist der Stresspegel oft sehr hoch (McDonald et al. 2015), sodass auch die körpereigene Stressachse (HPA-Achse) oft stärker aktiviert ist als bei Menschen aus höheren sozialen Schichten. Das lässt sich häufig schon am „Lärm“ ablesen, der in Familien aus bildungsferneren Schichten möglicherweise öfter vorherrscht. Doch wie wird sichtbar, aus welcher Schicht ein junger Mensch stammt? Oder wird es sogar vielleicht riechbar?
Nicht selten lässt sich der Bildungsstand bereits am Gesicht, an der Mimik, Gestik und Körperhaltung ablesen. Sogar am Gesichtsausdruck von Babys lassen sich Hinweise auf den Bildungsgrad der Mutter finden. Die Mutter spiegelt den Gesichtsausdruck des Babys – und umgekehrt. Blickt das Baby den größten Teil der Zeit in das Gesicht einer hoffnungslosen, sorgenvollen, überforderten, abwesenden, wenig unterstützten und wenig gebildeten Mutter, hat das Auswirkungen auf sein eigenes Gesicht. Säuglinge, die in das Gesicht einer überwiegend depressiven Mutter schauen, sind selbst weniger ausdrucksstark (Brenda Lundy et al., 1996). Mütter wiederum, die aus armutsbetroffenen, bildungsferneren Schichten stammen, sind einer kleinen Studie zufolge möglicherweise häufiger von postpartalen Depressionen betroffen (Deepika Goyal et al., 2010).
Auch nehmen Eltern aus höheren sozialen Schichten ihre Kinder schon sehr früh ernst, was den Kindern Sicherheit im Umgang mit anderen vermittelt. Wenn ein Kind nicht sofort etwas versteht, haben gebildete Eltern oft mehr Ruhe, alles nochmal von einer anderen Seite her zu erklären, während andere Eltern oft so große Schwierigkeiten haben, sich auszudrücken, dass sie dasselbe einfach immer wieder, nur lauter, wiederholen.
Unter Bildung verstehe ich hier immer auch die Herzensbildung, die Mentalisierungsfähigkeit und die Beziehungsfähigkeit. Oft gehört dazu auch eine höhere Toleranz gegenüber Leiden, so heißt es oft. Doch Menschen aus armutsbetroffenen, bildungsfernen Schichten müssen jeden Tag so vieles erleiden, dass ihre Frustrationstoleranz aufgebraucht ist. Sie zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie auf alles schneller reagieren müssen und weniger warten können.
Emotionaler Stress, Armut und geringe Bildung gehen Hand in Hand. Wer finanziell abgesichert ist und selbst schon aus einer gebildeten Familie kommt, hat häufig weniger existenziellen Stress. All dies hat Auswirkungen auf den Körper und auch auf den Gesichtsausdruck. Spielt die Polyvagaltheorie hier eine Rolle?
Unsere Mimik ist zu großen Teilen unwillkürlich. Selbst, wenn wir es nicht wollen, verzieht sich unser Gesicht für Bruchteile von Sekunden, wenn wir jemanden sehen, der uns unsympathisch ist. Blitzartig hat der andere unsere wahre Stimmung erfasst. Selbst wenn wir noch so sehr wollen: Wir können unser Gesicht meistens nicht so kontrollieren, dass der andere nichts bemerkt. Die Gesichtsmimik bis in seine Einzelheiten untersucht hat der bekannte Gesichtsforscher Paul Ekman.
Der amerikanische Wissenschaftler Stephen Porges forscht daran, wie das vegetative Nervensystem auch unser soziales Verhalten beeinflusst. Mimik, Stimme und Mittelohr werden vom Nervus vagus, also dem parasympathischen Teil des autonomen Nervensystems beeinflusst.
Kinder, die ständig Scham, Angst, Wut oder Ohnmacht erleben, die in das betrunkene Gesicht eines Elternteils schauen, blicken anders als Kinder, denen es gut geht. Kinder, denen es gut geht, sehen „erholter“ und dadurch gleich auch „gepflegter“ aus.
Kinder, die größtenteils von gebildeten Menschen umgeben sind und mit ihnen kommunzieren, übernehmen deren Mimik und Gestik, sodass sie als Erwachsene oft auch dann für Akademiker gehalten werden, obwohl sie nicht studiert haben.
Schauen gebildete Menschen nachdenklicher? Entspannter? Wie beanspruchen sie beim Lernen ihre Gesichtsmuskeln? Führt der differenzierte Wortschatz zu einer breiter gefächerten Mimik? Sind schon die Blicke der gebildeten Mutter mit ihrem Säugling anders? Wie funktioniert das Mentalisieren in den verschiedenen sozialen Schichten?
So, wie man am Körper eines Menschen erkennt, ob er gesund ernährt, ausgeschlafen, geschmeidig, flexibel und stabil ist oder nicht, kann man am Gesicht erkennen, welche Lern-, Kommunikations-, Gefühls- und Lebenserfahrungen ein Mensch gemacht hat. Wer sich aus einer unteren Schicht „hocharbeiten“ konnte, dem sieht man die Bildung ebenfalls an der Körperhaltung und dem Gesichtsausdruck an. Dennoch sieht man vielleicht mehr Spuren der Anstrengung. Wer sich auf dem Lebensweg selbst gut kennenlernen und Beziehungen gut gestalten kann, der hat gute Chancen, zu den „oberen Schichten“ dazuzugehören. Und dennoch bleibt die Herkunft aus einer bildungsfernen und armutsbetroffenen Schicht an manchen Weggabelungen immer wieder schmerzlich spürbar.
Bjornsdottir, R. Thora and Rule, Nicholas O. (2017):
The visibility of social class from facial cues.
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Kleisner K. et al. (2014)
Perceived Intelligence Is Associated with Measured Intelligence in Men but Not Women
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Social status modulates neural activity in the mentalizing network
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Paul Ekman, der Gesichtsforscher
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Deepika Goyal et al. (2010):
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Rational snacking: Young children’s decision-making on the marshmallow task is moderated by beliefs about environmental reliability.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 15.11.2014
Aktualisiert am 30.12.2022