Noch drei Minuten, sagt der große Zeiger. Gleich wird er klingeln, mein Patient. Wie fast jeden Tag zur vollen Stunde. Und ich kann nichts dagegen tun. Er wird da sein. Er wird wollen. Er will, dass ich zuhöre und nachdenke. Ich kann nicht weg. Dabei bin ich müde. Wie eine Mutter. Doch der Säugling, er gibt keine Ruhe. Er fordert und fordert und fordert. || Noch drei Minuten, sagt das Autoradio. Dann steige ich aus und begebe ich mich zur Tür meines Lehranalytikers. Er wird da stehen und auf mich warten. Ohne Gnade. Er fordert von mir, dass ich sage, was mir einfällt. Ständig. In jeder Sekunde. Meine ich. In meiner Welt. Er sitzt da und wartet und wartet und wartet. Wie ein Herrscher. Ich bin müde, ich will nichts mehr sagen. Doch er ist da, komme, was wolle.Weiterlesen
Ist ein „Danke“ unter Zähneknirschen ein wirkliches Danke? Wer sein Kind gut „erziehen“ will, hört sich vielleicht dann und wann sagen: „Und was sagt man da?“ Verschüchtert versteckt sich das Kleine hinter Mamas Bein und flüstert: „Danke.“ Irgendwie beschämt kommt dieses Wort hervor. Und so wird sich das Kind auch fühlen. Manchmal sollen schon kleine Kinder „Danke“ zu etwas sagen, das sie gar nicht haben wollten. Oder sie sollen sich bei jemandem bedanken, den sie nicht mögen. Dann gesellt sich Ärger zum „Danke“ des Kindes. Wir selbst kennen die Aufforderung, Danke zu sagen, vielleicht noch allzu gut von unseren eigenen Eltern. Dahinter steckt die Sorge, ein Kind könnte „gutes Benehmen“ ansonsten nicht lernen. Doch das ist nicht so.Weiterlesen
Der Satz „Ich mache mir Sorgen um Sie“ ist sicher einer der sensibelsten in der Psychotherapie. Es kann so vieles heißen. Das Sich-Sorgen kann anzeigen, dass eine bedeutsame Bindung zwischen Analytiker*in und Analysand*in entstanden ist. Manche erleben es vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sich überhaupt jemand um sie sorgt. Hier kann der Satz eine korrigierende emotionale Erfahrung ermöglichen. Er kann jedoch auch verunsichern und auf fruchtlose Weise beunruhigen. Der Satz kann das Gefühl auslösen, dass etwas Schlimmes passieren wird, ohne dass irgendjemand hier noch die Zügel in der Hand hätte.Weiterlesen
Wie schafft man es, die Liebe in sich aufrecht zu erhalten? Wenn man alleine, verlassen und einsam ist? Wie schafft man es, die Liebe in sich aufrecht zu erhalten, wenn man täglich Schmerzen hat? Wenn man schon Gewalt erfuhr, bevor man sprechen konnte? Wenn Lebensträume nicht in Erfüllung gingen? Wie schafft man es, die Liebe in sich zu erhalten, wenn alle weg sind? Wenn sich Tod, Hass und Bitterkeit breit machen? Wie schaffen es die Menschen, zu lieben – sich selbst und andere zu lieben – obwohl sie scheinbar keinen Grund dazu haben? Es muss ein Geheimnis darin liegen. Man kann es schaffen. Man schafft es durch eine neue Begegnung in dem Wissen, dass der andere Mensch genau so leidet wie man selbst. Weiterlesen
„Also Du hast den Patienten verstanden. Und was machst Du dann, damit Du ihm hilfst?“, werde ich manchmal gefragt. „Da hat der Analytiker mich verstanden und ich habe mich allein dadurch um Längen besser gefühlt. Ich habe das Gefühl, es hat sich wirklich etwas verändert“, erzählt eine Patientin. „Und dann?“, fragt die Freundin. „Nichts ‚und dann‘ – das hat gereicht“, sagt die Patientin. Tatsächlich geraten Patienten und Analytiker manchmal in Erklärungsnot, wenn es an dieser Stelle um die Wirkung der Psychoanalyse geht. Es müsse doch etwas folgen, man müsse doch etwas machen, so der Gedanke. Doch man darf gelassen bleiben. Weiterlesen
Unvereinbar. Die Mutter, sie möchte helfen und Schlimmeres verhindern, doch sie übt Gewalt aus. Sie quetscht das Kind in der Vojta-Behandlung. Diese Brüste über dem Kind! Viel zu früh wird es gezwungen, Widerstand zu leisten, ein Ich zu entwickeln, sexuelle Erregung zu empfinden. Immerhin: Das Schreien wirkt fast wie ein Schmerzmittel. Die Mutter, die selten zärtlich sein kann, ist die Angreiferin. Sie spricht dem Kind tröstlich zu. Nun ist es vollends verwirrt. Liebe, Gewalt, Erregung – so vermischt, dass es nicht zu verarbeiten ist. Diese Gefühl, etwas nicht verarbeiten zu können, etwas nicht genießen oder annehmen zu können, jemandem nicht angstfrei begegnen zu können, eine unaushaltbare Ambivalenz zu verpüren, lässt das Kind nie mehr los. Weiterlesen
Als ich damals mit meiner Psychotherapiepraxis begann, brachten irgendwann die ersten Mütter ihr Baby oder Kleinkind mit zur Sitzung, wenn sie keine Betreuung fanden oder das Kind noch sehr klein war. Zuerst saßen wir auf unseren Stühlen, während das Kind herumkrabbelte oder an Mamas Bein hing. Es war nur natürlich, dass sich die Mütter bald auf den Boden neben das Kind setzten und von dort aus weitererzählten. Mich hat dabei sehr berührt, wie schnell sie Vertrauen fassten und in dieser Position die Psychotherapie nutzen konnten.Weiterlesen
Auf der Website publicseminar.org (Clara Mucci, Josh Maserow) fand ich den Begriff „Borderline-Body“. Die Psychoanalytikerin Clara Mucci beschreibt, wie sie in der psychoanalytischen Ausbildung nicht genügend Handwerkszeug fand, um komplex traumatisierten Menschen zu helfen. Sie beschreibt, dass es sich bei den unerträglichen Zuständen der Betroffenen um eine Art „Erinnerung“ (siehe implizites Gedächtnis) an das handeln könnte, was die Betroffenen in frühester Kindheit erfahren haben. Die Betroffenen waren Opfer und haben den Angreifer hautnah erlebt. Ihr Körper war der „Grund“ für den Angriff. Die Psyche scheint die Erfahrungen in der Form aufzunehmen, dass man sich hilflos, körperlich schmerzvoll und verfolgt fühlt und sich gleichzeitig auch selbst angreift, wenn der furchtbare Zustand gerade wieder da ist. Weiterlesen