Was passiert eigentlich, wenn wir sagen: „Ich hasse mich!“? Wer ist „Ich“ und wer ist „mich“? „Ich“ bin der Steuermann, während das „Mich“ unser Kern ist, unser Selbst, insbesondere auch unser Körper („Ich schneide mich“). Das „Ich“ ist der Aktuer, das „Mich“ ist derjenige, der erlebt, der erfährt, dem etwas widerfährt. Allerdings gibt es viele Definitionen von „Ich“ und „Selbst“, die dann dieses Bild auch wieder durcheinanderbringen. Sigmund Freud sagte: „Das Ich ist vor allem ein Körperliches“ (Freud: Das Ich und das Es, 1923, Projekt Gutenberg. Zeichnung dort: Vdgt = Verdrängtes). Wir spüren unser Ich durch unseren Körper und sagen: „Ich habe Hunger. Ich bin hungrig.“ Weiterlesen
Auf einer Skala von eins bis zehn – wie groß ist Dein Hass? Hass taucht dann auf, wenn wir zutiefst verletzt werden und uns niemand versteht. Es gibt verschiedene Arten von Hass. Die Mutter hasst den Vater, der ihr das Baby wegnimmt – oder umgekehrt. Es ist ein Hass ohne Boden, ein Leere-Hass, ein Angst-Hass, ein Verzweiflungs-Hass, ein unerträgliches Gefühl der Ohnmacht. Du wirst fallen gelassen. Das Kind hasst die Lehrerin, die es zu etwas zwingt, was es nicht will. Hass entsteht, wo einer von einem anderen abhängig ist und wo einer dem anderen Böses tut oder etwas abverlangt, was völlig gegen den eigenen Willen ist. Es gibt Hassgefühle, die entstehen durch einen gewaltsamen Kontakt, aber auch Hassgefühle, die entstehen, weil etwas gewaltsam entzogen wird. Je tiefer der Schaden, desto größer der Hass.Weiterlesen
Das Trauma, es ist immer in mir. Ich erinnere mich (nicht). Ich habe (keine) Bilder dazu. Ich sehe außen so vieles davon wieder. In Gesichtern, Absichten, Körperhaltungen, Tageslichtern. Worten. Täglichen Gefängnissen. Doch wie soll ich leben und arbeiten, wenn es immer in mir ist? Ich spüre: Es ist nicht starr. Ich kann es hin- und herbewegen. Und ich kann meinen Körper bewegen. Manche Körperhaltungen bringen mich dem Trauma näher. Und wieder weiter weg. Das Trauma will gesehen, gefühlt, besprochen, beschwiegen, gehalten und gewürdigt werden. Aber es ist auch das andere da. Das Gute und Gesunde und das Unbeschädigte. Das Leben ist wie eine Welle – es geht auf und ab. Weiterlesen
Wenn Du überwiegend gute Bindungen in Deiner Kindheit erfahren hast, wirst Du Berührungen wahrscheinlich genießen können. Wenn Du weniger gute Erfahrungen gemacht hast, bist Du vielleicht vorsichtiger. Dennoch sehnst Du Dich wahrscheinlich nach Berührung. Wenn Du keinen anderen Menschen hast, den Du berühren kannst und der Dich berührt, kann auch ein Haustier für Wohlbefinden sorgen. Verschiedene Studien mit Katzen konnten zeigen, dass sie beruhigend und stimmungsaufhellend wirken. Das Streicheln eines Tieres kann möglicherweise ebenso beruhigen wie die Berührung eines anderen Menschens. Der Wissenschaftler Pavel Goldstein und seine Kollegen (2017) haben erforscht, wie Berührung Schmerz lindern kann, aber auch, wie sich die vegetativen Reaktionen zweier Menschen bei Berührung aufeinander abstimmen. Weiterlesen
Manche Menschen sagen, der Glaube habe sie gesund gemacht. Doch was meinen sie damit? Gerade junge Menschen mit schweren psychischen Störungen suchen oft in der Religion oder in Glaubensgemeinschaften ihr Heil. Doch die Beschäftigung mit Glaube und Religion führt bei manchen, besonders Frühtraumatisierten, dazu, dass sie sich psychisch noch schlechter fühlen. Der Grund: Sie haben oft kaum sichere Bindung erfahren. Sie verfügen kaum über ein gutes „inneres Objekt“, das sie in Ruhe lässt und ihnen wirklich gut tut. Viele schwer Leidende konnten in ihrem Leben bisher kein Bild von einer sicheren und dennoch freien Beziehung aufbauen. „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“, heißt es in der katholischen Messe. Was ist aber mit den unzähligen Menschen, die diesen Satz als Heilungschance verstehen und dann enttäuscht feststellen, dass es ihnen trotz ihrer Glaubens-Bemühungen nicht besser geht? Weiterlesen
Fühlen sich kleine Kinder gestresst, laufen sie zur Mama und schmiegen sich an sie. Dort „tanken sie auf“, wie es die Kleinkindforscherin Margaret Mahler (1897-1985) nannte. Auch Erwachsene geben sich gegenseitig Kraft durch gute Bindung und Berührung. Nicht nur das Kind tankt bei der Mutter auf, sondern auch die Mutter genießt die Berührung des Kindes, wenn sie gerade in der Stimmung ist. Viele Menschen unterschätzen ihre eigene Wirkung. Doch Berührung wirkt schmerzlindernd, angstmildernd und blutdrucksenkend. Weiterlesen
Gefangen in der Uniklinik. Mit einem Gleichgewichtsnerven außer Gefecht schwanke ich mühselig von Untersuchung zu Untersuchung. Hektische Ärzte, unfreundliche Anweisungen auf dem Drehstuhl, den ich mit Schrecken im laufenden Betrieb verlasse. Warten auf dem Flur. In den Gängen Betrieb. Ungewissheit. Ich weiß nicht, was los ist, keiner sagt mir was. Die letzte Station: Ein kleiner Technikraum im Keller. Das Fenster auf, frische Morgenluft, ein paar Vögel zwitschern. Ein freundlicher Assistent. Ein ganz einfacher Mann. Die einzige Anweisung: Einige Minuten lang ruhig liegen bleiben während der Hirnstammaudiometrie. Er sitzt die ganze Zeit neben mir und sagt nichts. Er hält meine Hand. Er macht mich gesund. Am Ende stehe ich auf und fühle mich das erste Mal seit vielen Tagen wieder halbwegs sicher auf meinen Beinen.Weiterlesen
Ich stehe morgens früh auf – manchmal will ich gleich effektiv sein und räume mit sehr viel Mühe die Spülmaschine aus. Jede Tasse scheint extra Kraft zu kosten. „Erledige erst das Unangenehme, denn danach fühlst du dich gut“, lese ich in Ratgebern. Manchmal ist es ja so. Aber an diesem Morgen stellt sich nur Erschöpfung ein. Manchmal zwingst auch Du Dich vielleicht zur Erledigung von Aufgaben, die auch später erledigt werden können. Die innere Kraft zu berücksichtigen, würde jedoch zu echter Kraftersparnis führen. Weiterlesen
„Ich habe Kinder, aber ich habe keine Familie“, sagt eine alleinerziehende Mutter. Viele können diesen Satz sehr gut nachempfinden. Wer chronisch einsam ist, ist es oft deshalb, weil er schon in unsicheren Bindungen groß wurde (Benoit und DiTommaso, 2020). Obwohl viele eine Ursprungsfamilie haben, so haben sie doch keine Familie, die auf gute Weise für sie da ist. Manche haben auch tatsächlich keine Familie (mehr). Dann ist die Versuchung groß, zu glauben: „Wenn ich eine Familie hätte oder hoffentlich eines Tages haben werde, dann geht es mir gut.“ Doch während man es denkt, begeht der vermeintlich glücklich verheiratete Nachbar, Jurist und Vater von drei gesunden Kindern, Suizid. Weiterlesen
Aufgewachsen in Geschrei, Gewalt und Todesangst. Aufgewacht in dieser kalten Welt. Auf einmal sickert Dir ins Bewusstsein: „Du bist ganz allein.“ Allein wie eine Aussätzige. Wie hinter einer Glasscheibe bewegen sich die anderen – als Paare, Familien, Geschwister, als Kinder und Eltern. Lachend und gemeinsam. Schmerzvermeidung tut weh. Du selbst bleibst unberührt. Du berührst niemanden. Und dann diese Stiche! Unaushaltbare Schmerzen. Die anderen, die haben das, was Dir fehlt: Sie haben täglich Berührung. Sie wollen auch Dich berühren, aber Du sträubst Dich, denn der Schmerz, dass sie wieder gehen, ist zu groß. Du wirst alleine nach Hause gehen.Weiterlesen