Für uns selbst können wir denken, machen, tun, was wir wollen. Zwar kann man sich auch vor sich selbst schämen, doch Scham tritt besonders dann auf, wenn andere Menschen hinzukommen. Wer sich schämt, befürchtet, verachtet zu werden und schuldig zu sein (Gerhart Piers und Milton Singer, 1953: Shame and Guilt: A Psychoanalytic and Cultural Study). Wir schämen uns, wenn wir merken, dass unser „Ich“ nicht dem „Ich-Ideal“ entspricht (Piers 1953). Scham entsteht, wenn wir angeschaut werden und erkannt werden in einer Situation, von der wir uns wünschten, der andere hätte uns nicht so gesehen oder wahrgenommen. Bei der Scham fühlen wir uns ertappt. (Text & Bild: © Dunja Voos) Weiterlesen
Das lateinische Wort „affectus“ bedeutet „Gemütsverfassung, Stimmung“. Ein Affekt ist eine intensive, aber eher kurz anhaltende Reaktion auf einen inneren oder äußeren Reiz. Der Affekt wird von körperlichen Erscheinungen begleitet, wie z.B. einem höheren Herzschlag bei Wut, einem Augenaufreißen bei Überraschung oder einem Erröten bei Scham. Affekte können mit Impulsen verbunden sein, außerdem mit den Trieben wie z.B. Hunger, Durst oder sexueller Erregung. Nicht immer ist es leicht, seine Affekte zu regulieren, doch durch gute Beziehungen, Selbstreflexion, Bewegung, ausreichend Schlaf und Meditation können wir lernen, uns immer verlässlicher zu steuern. Weiterlesen
Manchmal fühlen wir uns zu etwas „getrieben“. Ohne Hunger und Durst ist kein Leben möglich. Wir kennen unzählige Triebe. Manchen müssen wir unbedingt nachkommen, z.B. dem „Trieb“, uns zu entleeren. Das, was uns körperlich oder emotional treibt, wird in unserer Psyche als Vorstellung wiedergegeben: „Ich hab‘ Dich zum Fressen gern!“ Sigmund Freud sagte: „Unter einem ‚Trieb‘ können wir zunächst nichts anderes verstehen als die psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen Reizquelle, zum Unterschiede von ‚Reiz‘, der durch vereinzelte und von außen kommende Erregungen hergestellt wird.“ Weiterlesen
Das „Ich“ ist die steuernde Instanz in uns. Bildlich gesprochen liegt es zwischen Es und Über-Ich. Von unten kommt das „Es“ mit seinen Trieben. „Ich habe Hunger!“, schreit es. Von oben kommt das „Über-Ich“ mit seiner Moral: „Du kannst jetzt nicht mitten im Konzert etwas essen!“, flüstert es. Das Ich sagt: „Nach dem Konzert werde ich etwas essen gehen.“ Es kann aber auch sein, dass man den ganzen Tag nichts gegessen hat und man sich im Konzertsaal auf einmal schlecht fühlt. Der Hunger „überkommt“ einen, der Körper reagiert. Man geht raus, um eine Kleinigkeit zu essen. „Das Ich ist zu allererst ein Körperliches“, sagte Sigmund Freud. Weiterlesen
Stell Dir vor, Dein Liebster hat Dich verlassen. Dann trauerst Du darüber, aber Du genießt es vielleicht ganz versteckt auch, den anderen zu erzählen, wie fies Dein Partner zu Dir war. Im Tagtraum stellst Du Dir vor, wie Du sterbenskrank bist. Dein Liebster käme und würde alles zutiefst bereuen. Du gehst vielleicht als Verlierer aus der Beziehung hervor, aber Du kannst immer noch „Sieger im Leiden“ sein. Wenn Du Dein Leiden zelebrierst, Dich unschuldig fühlst und es „genießt“, dass die anderen die Täter sind, dann feierst Du einen „masochistischen Triumph“. Das ist ein schwieriges Kapitel, denn es geht um ganz feine Regungen und auch um echte Not, die ernsthaft anzuerkennen oft das Schwierigste ist. Es ist nicht leicht, sich hier ehrlich zu erforschen.
Im Leiden zu verharren und in den Augen der anderen bemitleidenswert zu sein, kann zu einem wohligen Gefühl führen. So wollen wir uns am Täter rächen. Soll er doch sehen, was er mir angetan hat! Er soll sich so richtig, mächtig schuldig fühlen. Darauf zu verzichten, den anderen an den Pranger zu stellen, kann ein Kraftakt sein. Aber es ist auch ein Trennungsschritt, der es ermöglicht, neue Wege zu gehen.
Wer gequält wurde, zeigt durch masochistischen Triumph auch: „Seht her, ich werde gequält!“ Das kann Lust bereiten. Darin kann aber auch die Hoffnung stecken, dass endlich jemand kommen möge, der das tiefe Leiden, das immer auch da ist, sieht, versteht und beendet.
Die „Lust am Leiden“ hat viele Ursachen und Formen. Oft ist masochistisches Verhalten auch der Versuch, schlimmeres, ungesteuertes Leiden zu verhindern – das Leiden ist dann quasi ein „Nebenprodukt“, das bei diesem Versuch entsteht (siehe z.B. Joseph Fernando: The Processes of Defense, 2009, rowman.com). Wer sich intensiv mit diesem Thema beschäftigen möchte, wird in dem Buch „Das Rätsel des Masochismus“ des Psychoanalytikers Leon Wurmser (1931-2020) Antworten auf viele Fragen finden.
Leon Wurmser:
Das Rätsel des Masochismus.
Psychosozial-Verlag, 2014
Dieser Beitrag erschien erstmals am 23.7.2012.
Aktualisiert am 15.5.2023
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Hält eine Mutter ihr Baby im Arm, träumt sie. Sie schaut es an und erahnt dabei, was in ihm vorgehen mag. Wir kennen das: Manches bekommen wir viel besser mit, wenn wir verträumt sind. Wir haben etwas nur „aus dem Augenwinkel“ gesehen, aber wir haben es doch wahrgenommen. Dieses Tagträumen über das Baby, diese Reverie, ist ein entscheidender Teil der frühen Kommunikation zwischen Mutter und Säugling. Der Ausdruck „Reverie“ stammt in diesem Zusammenhang von dem britischen Psychoanalytiker Wilfred Bion (1897-1979).
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 10.8.2015
Aktualisiert am 12.5.2023
Mithilfe der 4. Achse des Systems „Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik“ (OPD) schätzt der Psychotherapeut ein, wie „strukturiert“ ein Patient ist, also wie gut er sich selbst und seine Beziehungen (die Beziehungsstruktur) regulieren kann. Das Strukturniveau beschreibt die Fähigkeit zur „Regulierung des Selbst und der Beziehung zu inneren und äußeren Objekten“. Siehe: Reiner W. Dahlbender und Karin Tritt, Einführung in die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD), Psychotherapie 2011, Bd. 16, Heft 1 (PDF). Weiterlesen