Wenn der Körper reagiert, obwohl eigentlich heftige Gefühle angesagt sind, dann sprechen Psychoanalytiker von einem „Affektäquivalent“. Anstatt Angst zu empfinden, entsteht Schwindel, anstatt Wut zu spüren, kämpft man mit Bauchkrämpfen oder Hyperventilation. Dies sind typische Beispiele für Affektäquivalente. Das Affektäquivalent kann dem Konversionssymtpom ähnlich sein, wobei die Konversion das Gedachte stärker symbolisiert. Durch die stärkere Symbolisierung lässt sich von außen leichter sagen, was der Betroffene mit seinem Symptom uns eigentlich sagen will.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 11.5.2008
Aktualisiert am 17.6.2022
Bei der introjektiven Depression hat man Zweifel an sich selbst. Man erlebt sich als schlecht, als Versager und man verachtet sich. Dagegen bezieht sich die „anaklitische (= anhängliche) Depression“ auf die Beziehung zu einem anderen Menschen (anaklinein = altgriechisch: sich anlehnen): „Ich wurde verlassen, das Leben ist sinnlos“, lautet der Gedanke. Meistens kann man diese Depressionsformen nicht voneinander trennen. Sowohl die introjektive Depression als auch die anaklitische Depression sind Teil einer Depression.
Nach der Theorie der Psychoanalytiker ist ein Kind (in unserer Kultur) zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr in der ödipalen Phase, auch „phallische Phase“ genannt (phallus = griechisch: Penis). Hier werden die Themen, die sich rund um das eigene Geschlecht, die Sexualität und die Geschlechterrollen drehen, besonders deutlich. Mädchen und Jungen entdecken intensiv den Unterschied zwischen den Geschlechtern. Doktorspiele sind jetzt beliebt. In dieser Zeit hört man von manchen Mädchen, sie wollten später den Vater heiraten. Sie spielen Prinzessin in dem Wissen, dass die Mutter die „Königin“ ist und sich nicht vom Thron werfen lässt. Wenn man Kinder in ihrer Entwicklung beobachtet oder Erwachsene psychoanalysiert, ist man erstaunt, wie vieles sich davon wiederfindet. Vieles ist uns nicht bewusst, sondern spielt sich in unbewussten Phantasien ab.
Der Begriff „ödipale Phase“ geht auf die griechische Ödipus-Sage zurück, in der Ödipus seinen Vater Laios tötet und seine Mutter Iokaste heiratet, ohne es zu wissen.
Viele Jungen suchen der Theorie nach in der ödipalen Phase besonders die Nähe zur Mutter. Sie möchten vielleicht nicht mehr alleine im eigenen Bett schlafen und bestehen darauf, dass sie nachts zur Mama krabbeln dürfen. Bei Mädchen mag es in dieser Zeit umgekehrt sein: Sie lieben ihren Papa über alles, während die Mama ihnen nichts mehr recht machen kann. Die Kinder gehen nach dieser klassischen Theorie einen Kampf mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil ein und wollen unbewusst diesen Elternteil aus dem Weg räumen. Nur so können sie den begehrten Elternteil ganz für sich gewinnen. Tatsächlich lassen sich Anteile dieser Theorie immer wieder bei Kindern beobachten. Die Wünsche der Kinder sind mit starken Ängsten verbunden. Diese Theorie ist jedoch auch kulturabhängig und immer mit gesundem Abstand zu betrachten.
Viele Jungen fürchten sich laut Freuds Theorie vor der Rache des Vaters. Die „Kastrationsangst“ steht hierbei im Vordergrund. In Träumen und Phantasien zeigt sich die Angst des Jungen, dass seinem Penis oder anderen Körperteilen Schaden zugefügt wird. Er bangt um seine männliche Identität. In dieser Zeit haben viele Jungen, aber auch Mädchen, Angst vor lauten Geräuschen, vor Rasenmähern, bellenden Hunden, Staubsaugen und Kreissägen – eben vor allem, was zu Verletzungen führen könnte. Auch die Angst vor dem dunklen Keller oder dem Drachen unterm Bett kann da sein. Alte Erziehungsmethoden fördern diese Angst, wenn Erwachsene z.B. damit drohen, den Daumen abzuschneiden, wenn das Kind nicht aufhören will, daran zu nuckeln.
Den Mädchen bleibt nur der Pferdeschwanz
Viele Mädchen setzen sich mit dem fehlenden Glied auseinander. Man könnte sagen, sie haben das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Auch als Erwachsene können wir uns noch bewusst machen, wie es sich anfühlt, „da unten“ „nichts“ oder eben einen Penis zu haben.
Unbewusst geben die kleinen Mädchen der Mutter die Schuld dafür, dass sie keinen Penis haben – so jedenfalls die Theorie der Psychoanalytikerin Melanie Klein (1882-1960). Das verstärke die inneren Kämpfe des Mädchens mit ihr. Auch hier wieder kann man sagen: Es ist gut, solche phantasievollen Denkweisen und Theorien zu kennen. Wir können solche Theorien bei manchen Kindern oder auch bei uns selbst in Träumen oder Phantasien wiederentdecken, aber sie sind kein allgegenwärtiges Gesetz.
Die Mädchen leiden nach Sigmund Freud am so genannten Penisneid. Der Begriff „Penisneid“ kann konkret oder auch symbolisch verstanden werden. Gemeint ist der Neid des Mädchens auf den Jungen bzw. der Frau auf den Mann. Der Neid, dass Männer zum Beispiel mehr Geld verdienen oder häufiger im Beruf mehr Macht haben, zählt im weiteren Sinne ebenfalls zum Penisneid. Natürlich begegnen wir im Alltag auch handfesten Ungerechtigkeiten. Doch vielleicht können wir uns einmal darauf einlassen, uns selbst zu erforschen: Wie fühlen wir uns körperlich als Frau in der Schamregion, wenn wir neben einem Mann liegen?
Bei ihrer Entwicklung geben Mädchen und Jungen irgendwann ihren Kampf um den Vater bzw. die Mutter auf. Gemäss den Theorien von Sigmund Freud, Melanie Klein und anderen Psychoanalytikern „resignieren“ die Mädchen und Jungen und merken, dass sie ihren Wunsch, zu heiraten, vertagen müssen. Vater oder Mutter können sie jedenfalls nicht heiraten. Und sie können die Eltern auch nicht trennen, denn die Eltern gehören zusammen – im Idealfall. Lassen sich die Eltern trennen, haben die Kinder meistens große Schuldgefühle. Diese Schuldgefühle gehen zwar weit über die Themen der „ödipalen Phase“ hinaus, aber sie können doch damit zusammenhängen. Im Idealfall gehören die Eltern zusammen und lieben sich. Es gibt wohl kaum ein Kind, das dieses Vater-Mutter-Kind-Idyll nicht liebt. Wohl die meisten Kinder wollen die Eltern im Trennungsfall wieder zusammenführen.
Wenn die ödipale Phase beendet ist, haben die Kinder auch „sich selbst“ gefunden. Für das Kind bleibt, bildlich gesprochen, die Schlafzimmertür der Eltern zu. Das schmerzt das Kind einerseits, denn es bemerkt, dass es getrennt ist vom Elternpaar. Es merkt aber anderseits auch, dass es sich seiner selbst sicher sein kann. Es kann in Ruhe seine Sexualität, seine Geschlechtsidentität finden, ohne dass die Gefahr des sexuellen Missbrauchs besteht.
Die Jungen und Mädchen wenden sich wieder dem gleichgeschlechtlichen Elternteil zu. Das Mädchen „versöhnt“ sich mit der Mutter, der Junge mit dem Vater. Sie wollen vieles wieder gutmachen, weil sie sich schuldig fühlen, dass sie das gleichgeschlechtliche Elternteil so schlecht behandelt haben. Das Verhältnis zur Mutter bzw. zum Vater wird wieder liebevoller – der Dritte im Bunde wird akzeptiert (Triangulierung). Diese Phasen von Kampf und Versöhnung, von Anhänglichkeit, Bevorzugung oder Rückzug können immer wieder auftreten. Ab dem siebten Lebensjahr treten die Kinder, so Sigmund Freud, in die so genannte Latenzphase ein, die bis zur Pubertät anhält. Dann wird das Interesse für die Sexualität auf einer reiferen Stufe neu geweckt.
Probleme im Erwachsenenalter, die mit der ödipalen Phase zusammenhängen (z.B. übertriebenes Konkurrenzdenken oder ständige Feindschaften zum gleichen Geschlecht, wiederholtes und schmerzhaftes Verlieben in verheiratete Männer oder Frauen, hypochondrische Ängste, Folgen von Missbrauchserlebnissen) wurden in psychoanalytisch traditioneller Sprache als „hysterische Neurose“ bezeichnet. Heute ist es mit den Erkenntnissen der Säuglings- und Traumaforschung komplizierter geworden und Folgen von Missbrauchserlebnissen werden z.B. als komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) diagnostiziert.
Die ödipale Phase ist eng verknüpft mit der Gefahr des sexuellen Missbrauchs in der Familie. Wenn die Eltern keine stabile Partnerschaft haben und Väter und Mütter emotional durchgerüttelt oder traumatisiert sind, dann nehmen sie die liebevoll-wilde Annäherung („Verführung“) des Mädchens/des Jungens leicht an und sexueller Missbrauch kann entstehen. Natürlich hat hier das Mädchen/der Junge keine Schuld. Die Kinder befinden sich in einem gesunden Entwicklungsstadium. Es ist Aufgabe von Vater und Mutter, die Grenze zu ziehen – sind sie geschwächt, brauchen sie Hilfe, die möglichst nicht moralisierend ist.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 29.7.2012
Aktualisiert am 3.6.2015