Wer einen Zusammenhang zwischen zwei Dingen sieht, die in Wirklichkeit nicht zusammenhängen, der denkt magisch. „Klopf auf Holz“, sagen wir, um ein Unglück abzuwenden. Dabei kann Holzklopfen wohl kaum etwas ausrichten. Aber es beruhigt uns. Das magische Denken kann eine Lebenshilfe sein, doch wenn es zu stark wird, wie zum Beispiel bei einer Zwangsstörung, leiden wir darunter. Für kleine Kinder in der analen Phase (2. bis 3. Lebensjahr) ist das magische Denken ein normaler Bestandteil der Entwicklung. Je weiter sich das Kind entwickelt, desto sicherer wird es sich, dass es zwischen den Gedanken und der äußeren Realität eine Grenze gibt.
Wer sich ständig vor Krebs fürchte, der würde ihn auch bekommen, höre ich immer wieder. Oder wer verkrampft schwanger werden wolle, bei dem werde es nicht klappen. „Wünschen“ müsse gelernt sein und „Wünsche ans Universum“ hätten ihre Wirkung. Manchen Menschen helfen solche Sichtweisen, anderen machen sie richtig Angst. Oft stimmen sie einfach nicht.
Wer als Kind nicht ausreichend lernen konnte, sich selbst von anderen zu unterscheiden und die Innenwelt von der Außenwelt abzugrenzen, der lebt oft in großer Angst. Häufig sind Menschen mit Psychosen von dieser Unsicherheit betroffen. Sie hatten oft Mütter, die sich nicht ausreichend als „Gefühlscontainer“ zur Verfügung stellen konnten.
Die Betroffenen sind äußerst sensibel für das Unbewusste des Gegenübers, sodass sie häufig recht treffsicher im anderen lesen können, was wiederum an Gedankenübertragung erinnert. Das Eine geht in das Andere über. „Starke Menschen“ mit guten Beziehungen zu ihren Eltern, mit einem guten Körpergefühl, wie zum Beispiel Sportler, sind geschützter, bodenständiger und sicherer: Sie spüren die eigenen Grenzen stärker.
Manchmal erleben wir Dinge, die wir uns nicht erklären können. Und das macht auch den Psychologen mitunter Angst. Daher suchen sie gerne nach wissenschaftlichen Erklärungen. Doch die Wissenschaft kann vieles nicht erklären. Der Umgang mit den „magischen Dingen“, mit „Synchronizität“ nach C.G. Jung (Deutschlandradio Kultur), mit der Grenze zwischen Innen und Außen, mit Unsicherheiten und Sicherheiten will gelernt sein.
Ob man etwas Schlimmes mit seinen Gedanken anrichten kann oder nicht, damit macht wohl jeder seine eigenen Erfahrungen. Die Parapsychologische Beratungsstelle Freiburg kümmert sich um solche Themen.
Oft machen wir beruhigende Erfahrungen wie diese: Wir fürchten uns ein Leben lang vor Krebs und werden in guter Gesundheit alt. Wir dürfen ruhig verkrampft schwanger werden wollen und werden es auch. Wir dürfen dem Nachbarn die Pest an den Hals wünschen und dennoch lebt er zufrieden weiter.
Gedanken und innere Realität von der äußeren Realität zu trennen, ist eine wichtige Aufgabe in der Psychotherapie von Zwangsstörungen. Magisches Denken hat oft zu tun mit Gefühlen von „Allmacht“ (Omnipotenz). Diese Gefühle wiederum sollen das Gefühl von Wehrlosigkeit abwehren.
Natürlich beeinflussen Gedanken ständig unsere Wirklichkeit: Wenn wir uns das Abitur wünschen, arbeiten wir daran, es zu schaffen. Was wir oft ängstlich bemerken ist, dass uns unbewusste Phantasien stark beeinflussen können. Beispiel: Wer sich unbewusst schuldig fühlt, dass er studieren darf, obwohl die Eltern es nie durften, der „verbietet“ sich unbewusst die Weiterentwicklung im Studium. Er fällt dann immer wieder durch Prüfungen, weil er Schuldgefühle hat, wenn er weiterkommt. Wird so etwas erkannt, zum Beispiel in einer psychoanalytischen Therapie, dann ist diese Einsicht oft sehr erleichternd und was vorher „wie durch Zauberhand“ verhindert wurde, wird nun möglich.
Bei Jean Piaget gehört das Magische Denken zur „Präoperationalen Phase“ eines Kindes im Alter von zwei bis etwa sieben Jahren. Mehr dazu: Jean Piaget über Magisches Denken, www.philosophie-wissenschaft-kontroversen.de
Dieser Beitrag erschien erstmals am 19.11.2011
Aktualisiert am 24.7.2020
Die Angst, den Penis abgeschnitten zu bekommen – das verstehen wohl die meisten Menschen darunter, wenn sie den Begriff „Kastrationsangst“ hören. Auch Sigmund Freud fasste den Begriff „Kastrationskomplex“ eng. Heute verstehen viele Psychoanalytiker mehr darunter: Die Angst, in seiner Integrität beschnitten zu werden, einen Teil seines Körpers, seines „erweiterten Körpers“ (wie Handy, Auto, Spielzeug) oder seiner Macht (Potenz) zu verlieren, kann zur Kastrationsangst gehören. „Castrare“ ist zwar das lateinische Wort für „entmannen“, aber das Wort „Castra“ bedeutet „Lager“. „Castrensis“ heißt „zum Lager gehörig“. Immer also, wenn man Angst hat, dass der eigene Körper, die eigene Person, Schaden nimmt oder etwas verliert, kann es „Kastrationsangst“ sein.
„Unter Anerkennung all dieser Wurzeln des Komplexes habe ich doch die Forderung aufgestellt, daß der Name Kastrationskomplex auf die Erregungen und Wirkungen zu beschränken sei, die mit dem Verlust des Penis verknüpft sind.“ Sigmund Freud: Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben (1909)
Viele Kinder haben Angst vor dem Frisör – hier spiegelt sich ihre „Kastrationsangst“ wider. Sie haben Angst, „beschnitten“ zu werden und das noch junge Gefühl, ein ganzer und eigenständiger Mensch zu sein, wieder zu verlieren. Bei kleinen Jungen ist die Kastrationsangst oft größer als bei Mädchen – sie haben ja auch mehr zu verlieren. Besonders Jungs fürchten sich manchmal davor, ein Bein oder einen Arm zu verlieren. Viele kleine Jungs haben in ihrer Entwicklung eine Phase, in der sie sehr große Angst vor lauten Geräuschen haben. An der Kettensäge oder Heckenschere des Nachbarns können sie ebenso wenig vorbeigehen wie an einem Hund – auch, wenn sie noch wenige Monate zuvor überhaupt keine Angst vor diesen Dingen hatten.
Es ist, als hätte es in ihrem Kopf „Klick“ gemacht und sie hätten ihren Körper als Ganzes begriffen. Damit steigt die Angst, es könnte ihm etwas zustoßen, es könnte etwas abfallen.
Mädchen sind oft zwar weniger betroffen, doch auch sie befürchten, beschädigt zu werden. Auch sie fürchten das Nägelschneiden oder den Frisör, weil er ihnen den „Pferde-Schwanz“ abschneiden könnte. Bei Mädchen kann die Phantasie vorkommen, dass sie früher einmal einen Penis hatten, der ihnen dann abgeschnitten wurde. Auch kleine Jungen denken beim Anblick des Mädchens manchmal, man hätte dem Mädchen den Penis abgeschnitten. Daher befürchten sie, es könnte ihnen auch so gehen. In dieser Phase fürchten sich die kleinen Kinder oft vor Strafen und sie wollen besonders „lieb“ sein, um die Erwachsenen zu besänftigen.
Berechtigte Angst. Immer noch werden Jungs bei einer Phimose relativ leichtfertig operiert (Zirkumzision = Beschneidung). Dabei wird die Vorhaut des Penis entfernt. Doch die Vorhaut hat wichtige Funktionen – unter anderem verstärkt sie das sexuelle Erregungsempfinden. Viele Männer leiden darunter, dass ihnen die Vorhaut genommen wurde. Mehr dazu im Buchtipp: „Ent-hüllt“.
Verstärkt werden Kastrationsängste oft durch alte Erziehungsmethoden. Droht man dem kleinen Jungen, der noch am Daumen lutscht, dass man ihm den Daumen abschneiden würde, löst man damit viele beängstigende Phantasien aus. Auch in der Kindergeschichte vom „Struwwelpeter“ ist es so: Dem Daumenlutscher wird der Daumen abgeschnitten. Interessant ist vielleicht auch, dass viele Kindergärtnerinnen bei den kleinen Jungs um ihren „Umgang mit der Schere“ besorgt sind.
Bei Erwachsenen äußert sich die Kastrationsangst oft darin, dass er befürchtet, er könnte an Macht und Einfluss verlieren. Der erwachsene Mann hat Angst davor, dass sein Auto beschädigt wird oder sein Geld verloren geht. Alles, was ein Symbol für seine „Potenz“ ist, ist in Gefahr, beschädigt zu werden oder abhanden zu kommen. Natürlich haben wohl alle Menschen immer wieder solche Gedanken und Ängste. Besonders stark sind diese Ängste jedoch in der ödipalen Phase des Kindes, also etwa im Alter von 4-6 Jahren, in dem die Kinder sich stark mit dem eigenen und dem anderen Geschlecht auseinandersetzen.
In der Pubertät können Kastrationsängste erneut erwachen, etwa, wenn der junge Mann befürchtet, die Scheide der Frau könnte seinen Penis „fressen“. In asiatischen Ländern ist die psychische Störung „Koro“ wohl eine besondere Form der Kastrationsangst. Hier befürchtet der Mann, dass der Penis sich zurück in den eigenen Körper ziehen könnte. Konflikte rund um die ödipale Phase, also um die Themen Mann, Frau und Sexualität, können Kastrationsängste verstärken. Sie spielen bei der hysterischen Neurose eine Rolle.
Beschneidung fördert Kastrationsangst
Der Standard, 1. August 2012
Dieser Beitrag erschien erstmals am 24. Oktober 2013
Aktualisiert am 18.4.2020