Wut – Gefühle erklärt für Kinder (aber nicht nur)

Wenn Du richtig wütend bist – wie fühlt sich das an? Wie ein Erdbeben? Wie eine Wallung, die von unten hoch kommt? Zittern deine Hände? Wirst Du rot und möchtest ganz laut schreien? Wut ist ein sehr, sehr starkes Gefühl. Wenn man wütend ist, bekommt man ungeheure Kraft. Und es wird einem alles egal – man will die Wut nur los werden. Wir glauben manchmal, dass wir explodieren, wenn wir jetzt nicht jemanden anschreien. Kleine Kinder schlagen einfach zu, wenn sie wütend sind. Das ist wie ein Reflex: Zack, ist die Schaufel auf dem Kopf des anderen.

Je älter Kinder werden, desto besser können sie ihre Wut beherrschen. Sie suchen dann eher nach Worten und können weiterhin nachdenken, obwohl sie wütend sind. Aber das ist nicht immer so. Kinder, denen es zu Hause sehr schlecht geht, können auch, wenn sie älter sind ihre Wut nur schwer zügeln. Dann schlagen sie auch noch als Jugendliche oder Erwachsene schnell den anderen.

Wie Wut entsteht

Es gibt viele Möglichkeiten, wie Wut entsteht. Oft entsteht Wut dann, wenn man daran gehindert wird, das zu tun, was man gerade will. Wenn man schnell nach Hause möchte, aber Autos die Straße verstopfen, wird man wütend. Wenn man zum Klo muss und nicht gehen kann, weil der Lehrer es verbietet, wird man auch wütend. Wenn das Nachbarskind gerade die rote Schaufel hat, obwohl man sie selbst haben möchte, kommt Wut auf.

Wenn man nicht verstanden wird

Oft wird man wütend, wenn andere einen nicht verstehen oder nicht ernst nehmen. Wenn der andere etwas völlig Falsches von einem denkt, dann macht einen das wütend. Stell dir vor: Du willst dich gerade hinsetzen, um Hausaufgaben zu machen. In dem Moment sagt Deine Mutter: „Nun mach‘ endlich deine Hausaufgaben! Wenn ich Dich nicht immer daran erinnern würde, dann würdest Du sie gar nicht machen.“ Hier denkt die Mutter etwas Falsches über Dich. Denn du wolltest Dich ja gerade an die Hausaufgaben machen. Dann fühlst Du Dich vielleicht völlig ungerecht behandelt und es ist sehr gut zu verstehen, dass Du dann wütend bist.

Wenn man erkannt wird

Man kann wütend werden, wenn einen jemand zu wenig kennt, aber auch, wenn ein anderer einen „zu gut“ kennt. Jeder hat Seiten an sich, die er gerne versteckt. Wenn ein anderer aber an einem etwas entdeckt, das man lieber versteckt gehalten hätte, dann kann das auch wütend machen. Man hat dann das Gefühl, dass einem der andere zu nahe kommt und dass man selbst ein Stück Freiheit verliert.

Das, was man vorher bei sich „geheim“ gehalten hatte, hat der andere entdeckt – und das macht wütend.

Im Märchen vom „Rumpelstilzchen“ hält das Männlein seinen Namen geheim. Doch als die Prinzessin den Namen erfährt und das Männlein bei seinem Namen nennt, wird es so wütend, dass es sich selbst in der Mitte zerreißt.

Wenn andere nett sind

Manchmal wird man wütend, obwohl das völlig „falsch“ erscheint. Zum Beispiel kann es Dich wütend machen, wenn ein anderer nett zu Dir ist, obwohl Du selbst gerade total schlecht gelaunt bist. Die gute Laune von anderen kann echt nerven, wenn man selbst gerade grummelig ist.

Kinder, denen es zu Hause schlecht geht und die viel angeschrieen werden, können es manchmal schwer vertragen, wenn ein anderer nett zu ihnen ist.

Damit Du das verstehen kannst, stelle Dir einmal vor, Dir würde es ganz schlecht zu Hause gehen (vielleicht ist das ja auch in echt so). Vielleicht streiten Deine Eltern den ganzen Tag oder Du bekommst ständig wegen irgendwas geschimpft. Dann hast Du vielleicht das Gefühl, dass niemand Dich liebt. Wenn dann einer kommt, der freundlich zu Dir ist, dann bist Du einerseits dankbar. Andererseits merkst Du aber auch, wie selten Dir das vielleicht gerade passiert. Das macht Dich dann traurig. Außerdem ist es oft schwer zu ertragen, wenn ein anderer gut drauf ist, während man selbst schlecht gelaunt ist.

Wut auf Dich selbst

Du kannst auch sehr wütend auf Dich selbst werden, wenn Du Dich nicht traust, was Du Dich gerne trauen würdest. Wenn Du einen Jungen oder ein Mädchen aus Deiner Klasse sehr nett findest und ihm/ihr das gerne sagen würdest, dann kannst Du wütend auf Dich werden, wenn Du Dich nicht traust.

Überhaupt kann man leicht wütend auf sich selbst werden, wenn man sich nicht traut, die eigenen Gefühle zu zeigen.

Wenn Liebe fehlt

Wenn einer plötzlich nett zu Dir ist, obwohl alle anderen das nicht sind, dann merkst Du vielleicht, wie sehr Dir die Liebe fehlt. Sobald man merkt, wieviel Gutes einem fehlt, wird man wütend. Der andere macht dann alles nur noch schlimmer, wenn er freundlich ist. Das löst Schmerz aus. Manche Kinder haben es dann fast lieber, wenn der andere nicht so freundlich zu ihnen ist – Unfreundlichkeit kennen sie halt gut. Trotzdem mögen diese Kinder es natürlich auch, wenn man nett zu ihnen ist. Doch die Kinder können das nicht so zeigen. Sie sind in einer Zwickmühle und man kann es ihnen nicht recht machen. Sie sind irgendwie wütend und verstehen selbst nicht so richtig, warum.

Wut und Gewalt hängen eng zusammen

Manche Menschen werden leicht gewalttätig, wenn sie wütend werden. Sie sind dann „blind vor Wut“ und schlagen und treten einfach zu. Das passiert oft dann, wenn man selbst von den Eltern geschlagen wurde. Denn was die Eltern einem antun, das ist wie ein „Stempel“ – leicht passiert es einem, dass man selbst andere schlägt. Oder aber das Gegenteil ist der Fall: Viele Kinder würden als Erwachsene niemals einen anderen schlagen, weil sie selbst es so schrecklich fanden, geschlagen worden zu sein.

Wenn die Eltern ein Kind immer wieder schlagen, dann ist es, als wenn sie dem Kind dieses Verhalten „einstempeln“. Wenn das Kind dann einmal wütend wird, reagiert es leicht so, wie die Eltern immer reagiert haben: Es schlägt einfach zu. Viele Kinder kehren sich aber auch ins Gegenteil und werden so „lieb“, dass sie fast krank davon werden. Denn wenn man seine Aggressionen immer versteckt, ist das auch nicht gesund.

Wenn der Dritte fehlt

Wut entsteht oft dann, wenn man zu zweit ist. Wenn man zu dritt ist, dann kann der Dritte wie ein Puffer sein. Vielleicht kennst Du das: Wenn Deine Mutter gerade doof zu Dir ist, dann bist Du erleichtert, wenn Du zu Deinem Vater oder jemand anderem gehen kannst. Aber vielleicht kennst Du auch das: Wenn Deine Eltern sich getrennt haben, bist Du über längere Zeit mit Deinem Papa oder Deiner Mama ganz alleine. Wenn Du dann wütend auf Mama oder Papa wirst, versuchst Du vielleicht, Deine Wut zu verstecken. Du hast dann vielleicht Angst, dass Du ganz alleine auf der Welt bist, wenn Du Dich mit Papa oder Mama streitest. Dann hilft es Dir vielleicht, wenn Du wenigstens an einen anderen Menschen denken kannst, den Du gerne hast und den Du vielleicht bald wiedersiehst.

Zu zweit allein

Ist man nur zu zweit, dann ist es oft eng und Wut kann schneller aufkommen und gefährlicher sein. Manchmal gibt es einen „Kurzschluss“: In der Wut greift man den anderen sofort an. Wenn man aber einen Zwischenraum hat, ist es leichter, nicht sofort auf den anderen loszugehen. Wenn Du Dich mit Deinem einen Freund streitest, dann kannst Du Dich damit trösten, dass du ja noch einen anderen Freund hast.

Wenn Du am Nachmittag noch etwas Schönes vorhast, dann findest Du es nicht ganz so schlimm, wenn Du am Vormittag wütend auf jemanden bist. Du denkst dann einfach an Dein schönes Vorhaben.

Das fühlt sich dann vielleicht so an, als hättest Du einen „inneren Notausgang“. Es ist wichtig, einen „inneren Notausgang“ zu haben, denn dann rollt die Wut nicht so sehr wie eine mächtige Welle über einen. Man kann dann innerlich ein bisschen fliehen.

Wenn die Freiheit bedroht wird

Jeder Mensch hat eine eigene Grenze. Wenn du zum Beispiel in einem Geschäft an der Kasse stehst, dann findest Du es vielleicht unangenehm, wenn der Nächste in der Schlange Dir auf die Pelle rückt. Man will, dass der andere einen bestimmten Abstand einhält. Wenn ein anderer zu nahe kommt – ob mit Worten oder mit dem Körper – dann macht das wütend.

Besonders wütend werden Kinder, wenn Eltern die Grenzen überschreiten – wenn sie einen zum Beispiel schlagen. Aber auch, wenn Deine Eltern einfach in dein Zimmer kommen, ohne vorher anzuklopfen, kann das wütend machen. Es ist dann wichtig, dem anderen zu sagen, dass man das nicht möchte. Das ist aber leider gerade bei den Eltern oft nicht einfach.

Wut entsteht auch aus Angst

Wenn du in einer großen Menge stehst, kann es sein, dass Dir das Angst macht, denn jeder Mensch braucht seinen eigenen Platz. Wenn Du aber Angst hast, dann kann das auch umschlagen in Wut auf alle, die Dir zu nahe kommen. Ganz oft hängen Wut und Angst zusammen und manchmal weiß man gar nicht mehr, was zuerst da war.

Ausgeschlossen sein macht wütend

Wenn Du Dich ausgeschlossen fühlst, dann kannst Du vielleicht sehr wütend werden. Wir alle wollen zu einer Gruppe dazugehören. Alleinsein fühlt sich oft ein bisschen gefährlich an. Viele Tiere können nur überleben, wenn sie in einer Gruppe sind. Auch wir Menschen bekommen leicht Angst, wenn wir irgendwo nicht dazugehören dürfen. Wenn Du versuchst, in eine Gruppe hineinzukommen und merkst, dass das irgendwie nicht klappt, dann ist das ein großer Schmerz. Dann kann es helfen, sich eine andere Gruppe zu suchen. Es kann auch helfen, wenn Du Dir jemanden suchst, der sehr ehrlich sein kann. Dann kannst Du fragen: „Warum glaubst Du, darf ich nicht dazugehören?“ Eine Antwort tut vielleicht weh, aber sie kann Dir weiterhelfen. Wir alle haben manchmal Verhaltensweisen an uns, die wir gar nicht bemerken, die aber dafür führen, dass andere nicht mit uns zusammen sein wollen.

Tim fand es immer schwer, in eine Gruppe zu kommen. Seine Eltern hatten viele Probleme, sein Vater trank und seine Mutter konnte sich nicht um den Haushalt kümmern. Tim roch manchmal nicht gut. Und dafür wurde er gehänselt. Und er verhielt sich in Gruppen oft wie ein großer Bestimmer. Er hatte Angst, wieder rauszufliegen, wenn er nicht der Bestimmer war. Mithilfe einer Schulpsychologin konnte er an diesen Dingen arbeiten: Er achtete darauf, gut zu riechen und er versuchte, in einer Gruppe etwas stiller zu sein und erstmal nur zu gucken. Das half ihm, bald eine Gruppe von Freunden zu finden.

Wut ohne Grund

Manchmal ist man wütend, ohne dass man sagen kann, warum man eigentlich wütend ist. Diese Wut lässt sich dann oft nur sehr schwer verstehen. Oft hat man den Grund verdrängt und längst vergessen.

Wenn ein Kind von seinen Eltern ständig alles verboten bekommt, dann wird dieses Kind wütend. Es kann sich nicht entfalten und entwickeln. Manchmal muss es sich dann einfach an die Eltern anpassen. Es tut dann ganz viel, um den Eltern zu gefallen. Aber in Wirklichkeit will es das selbst gar nicht.

Manche Kinder müssen zum Beispiel immer „Danke“ sagen, auch, wenn sie denjenigen gar nicht mögen, der ihnen etwas geschenkt hat. Wenn das ganz oft passiert, dann weiß man gar nicht mehr, was man selbst wollte und was man nur tut, um anderen zu gefallen. Dann ist man verwirrt. Manchmal ist man dann gar nicht mehr „man selbst“, weil man nur noch tut, was andere wollen.

Irgendwann hat man dann ein „falsches Selbst“. Und das macht wütend, weil man sich sozusagen selbst verlassen hat. Oft kann man dann gar nicht mehr sagen, warum man dann so wütend ist. Denn die Wut ist über lange Zeit entstanden.

Wut kennenlernen

Wenn man ein bisschen auf sich selbst acht gibt, dann kann man erkennen, wann die Wut auftaucht. Man kann sie dann vielleicht schon zeigen, bevor sie überkocht. Wenn es einem gerade ganz gut geht und man zufrieden ist, dann wird man auch nicht so leicht wütend. Wenn die Wut dann da ist, dann hilft es manchmal auch, ganz still zu werden. Das vermeiden wir oft, weil wir denken, wir würden dann platzen. Aber das tun wir nicht. Wenn wir wütend sind, still werden und abwarten, merken wir vielleicht, wie unsere Stimmung irgendwann einfach wieder besser wird.

Manchmal, wenn man gar nicht mehr weiß, wohin man mit seiner Wut gehen soll, dann kann man auch die telefonseelsorge.de anrufen (Telefon 0800-1110111). Oder man geht zu einem Psychotherapeuten (Adressen für Kinder und Jugendliche: vakjp.de, für Erwachsene: dgpt.de). Oft hilft es aber auch, schöne Bücher zu lesen oder gute Filme im Fernsehen zu sehen, die zeigen, wie man mit Wut umgehen kann.

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Links:

Dunja Voos:
Liebst Du mich, auch wenn ich wütend bin?
Was gefühlsstarke Kinder wirklich wollen
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Fred Rogers (1928-2003), Erfinder der amerikanischen Kinderserie „Mr. Rogers‘ Neighborhood“, hat ein wunderbares Lied zum Umgang mit der Wut geschrieben:
What Do You Do with the Mad that You Feel?

Barbara Diepold:
Diese Wut hört niemals auf (PDF)
VAKJP 1996, 1: 73-85

Otto Kernberg:
Wut und Hass
Über die Bedeutung von Aggression bei Persönlichkeitsstörungen und sexuellen Perversionen
Klett-Cotta 2001

Dieser Beitrag erschien erstmals am 7.3.2013
Aktualisiert am 9.7.2024

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4 thoughts on “Wut – Gefühle erklärt für Kinder (aber nicht nur)

  1. jang sagt:

    Ich finde, für Kinder und auch für Erwachsene gut erklärt und zusammengefasst. Die Punkte „Wenn andere nett sind“ und „Wenn Liebe fehlt“ würde ich ergänzen, dass Ablehnung durch Wut ausgedrückt werden kann, da man sich auf dieses freundliche und liebevolle Verhalten nicht verlassen will. Die Freundlichkeit des anderen nicht an sich heranlassen, um einer möglichen Enttäuschung vorzubeugen.

  2. Interessanter Artikel. Wann kommt der zweite Teil – wie man mit wut richtig umgeht? :)

  3. Bella sagt:

    Schöner Artikel. Mein Sohn ist auch jähzornig, das hat er wohl von mir, ich war als kind auch so. Aber ich heb gelernt, dass man ihm seinen Zorn zugestehen muss.

  4. Katharina sagt:

    Danke für diesen Artikel, mein Sohn gehört wohl altersmässig noch nicht zur Zielgruppe, da er jedoch unter sehr heftigen Wutanfällen leiden kann sind wir immer wieder um Ansätze froh, mit denen wir ihm da durchhelfen können und er hoffentlich lernen kann, wie er die Wut regulieren kann.

    „Das kleine Wutmonster“ aus der Reihe Maxi Pixi von Carlsen empfanden wir dabei als sehr hilfreich. Das „Personalisieren“ der Wut erlaubt ihm manchmal, sie fortzuschicken wenn sie ihn packt.

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