„Man“ oder „Ich“ in der Psychotherapie
In Psychotherapien werden Patienten häufig darauf aufmerksam gemacht, dass sie „Man“ statt „Ich“ sagen, wenn sie von sich sprechen. Die Zielsetzung dieser Intervention ist klar: Der Patient soll an „Ich-Stärke“ gewinnen, indem er bewusst „Ich“ sagt, denkt und fühlt. Viel wichtiger finde ich es jedoch, länger damit zu warten, den Patienten darauf aufmerksam zu machen. Denn es ist extrem interessant, darauf zu achten, wann er von „Man“ spricht und wann von „Ich“. Oft ist es hilfreich, den Patienten erst dann darauf aufmerksam zu mache, wenn man schon ein System dahinter erkennt. Oder man wartet einfach und schaut, wie sich die Sprache im Laufe der Therapie verändert.
Manche sprechen z.B. von „Man“, wenn sie über den Beruf und berufliche Konflikte sprechen, aber von „Ich“, wenn sie von genussvollen Erlebnissen erzählen. Das genauer zu analysieren und zu schauen, wo die Trennlinie zwischen „Man“ und „Ich“ verläuft, kann sehr interessant sein.
Manche sagen „Man“, um den Therapeuten mit einzubeziehen. „Man geht ja im Winter auch nicht ohne Jacke raus“, heißt: Sowohl ich als Patient als auch Du als Therapeut, wir beide ziehen im Winter eine Jacke an. Das haben wir gemeinsam. Das „Man“ ist dann unter anderem der Ausdruck eines Wunsches nach Verbundenheit. Natürlich kann „Man“ auch bedeuten, dass ich mich von mir selbst distanzieren und der Scham aus dem Weg gehen möchte. Es hat etwas Entschuldigendes – schließlich macht „man“ es so. Ich kann da nichts für. Ebenso kann „Man“ eine Distanzierung vom schrecklichen Erleben, aber auch vom Therapeuten bedeuten, z.B. wenn man sich über ihn ärgert: „So kann man das doch nicht sagen!“ kann auch heißen: „So können Sie das doch nicht sagen! Das hat mich verletzt.“ Jeder macht in verschiedenen Situationen seine eigenen Erfahrungen mit dem „Man“, dem „Ich“ und dem „Wir“.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 6.9.2022
Aktualisiert am 7.12.2023