19 Wie wird man Psychoanalytiker*in? Woher kommt der Druck in der Ausbildung?
„Ich stehe in meiner Psychoanalyse-Ausbildung unter einem ungeheuren Druck“, sagt so manche Ausbildungskandidatin. Für viele ist zunächst die finanzielle Belastung der größte Druck. Man verdient wenig Geld, hat hohe Kosten und fragt sich, woher das Geld für die Ausbildung kommen soll. Der Druck, das Geld für die Ausbildung zusammenzubekommen, rührt oft von einem inneren Druck her: Man möchte drängende Lebensthemen bearbeiten, unter denen man selbst schon immer gelitten hat und wittert in der Ausbildung eine einmalige Chance.
Schon allein einen hohen Kredit ohne materiellen Gegenwert aufzunehmen, löst in vielen großes Unbehagen aus. Nicht selten hängt dieses Unbehagen mit einem geringen Selbstbewusstsein zusammen. Es dauerte einige Zeit, bis ich irgendwann begriff: Ich bin Ärztin und Ärzte nehmen Kredite auf, um in die Zukunft zu investieren.
Innere Welt und äußere Realität hängen eng zusammen
Mit zunehmendem Selbstvertrauen wächst auch die Bereitschaft, einen Kredit aufzunehmen oder mehr Geld für seine beruflichen Tätigkeiten zu verlangen. Die Realität ist nicht kleinzureden und die Gefahr, dass alles schiefgeht, besteht immer. Das ist jedem Ausbildungskandidaten bewusst und es ist Teil des ungeheuren Drucks.
Mit der Ausbildung wächst jedoch häufig auch die Fähigkeit, in sich selbst und dem Leben zu vertrauen. Man setzt sich mit dauernder Unsicherheit auseinander. Es wächst die Fähigkeit, eine gute Beziehung zu sich selbst und anderen zu führen. Daraus entsteht auch der Gedanke: Ich werde nicht fallen gelassen. Mir half damals sehr das Video von Amanda Palmer: „Die Kunst des Bittens“ (TED-Talks). Und ich fand tatsächlich Freunde, die mir finanziell unter die Arme griffen.
Nur das!
Doch der Druck geht weiter: „Nur diesen Beruf des Psychoanalytikers kann ich mir vorstellen. Ich will dazugehören!“, denkt man vielleicht. Doch auch dieser Gedanke erwächst häufig aus einer inneren Not, die noch nicht gelöst werden konnte. Es dauert unter Umständen Jahre der Lehranalyse, bis die innere Not gefunden, genau formuliert und gelindert werden kann.
Es geht in der Ausbildung um Themen wie Zugehörigkeit, Ausgeschlossensein, soziale Schicht, Geld, Beziehung, Neid, Einsamkeit, Macht und Unterwerfung, Anpassung, Eigenständigkeit und Kreativität. Auf einer tieferen Ebene geht es oft auch um Leben und Tod. Der Druck, der in der Ausbildung entsteht, ist schon lange in uns vorhanden.
Es ist die Sehnsucht nach der Lösung schwerer innerer Nöte, die uns bedrängen und wir spüren, dass die Lehranalyse und das Institut mit seinen Strukturen genau diese Nöte aus dem Staub herauspoliert. Wir begegnen in der Ausbildung sehr viel Unverständlichem, was jedoch mit der Zeit immer verständlicher werden kann. Mit der Zeit wächst auch die Libido, das Interesse an sich, am anderen und an der Welt, sodass auch andere Dinge als die Psychoanalyse zunehmend Platz in unserem Leben bekommen.
Abhängig von vielen Menschen und Faktoren
Zum Druck gehören auch die ganzen Regularien und der Konflikt der Analyse, ob sie nun ins Gesundheitssystem passt oder nicht. Es gibt sehr viele Abhängigkeiten: Werde ich Patienten finden, die für die von der vierstündigen Psychoanalyse profitieren und dafür geeignet sind? Werde ich die Patienten halten können? Hat mein Wunsch-Supervisor noch einen Platz frei? Wird der Gutachter der analytischen Psychotherapie zustimmen? Solche Fragen können zu großer Anspannung führen. Die Ausbildung ist hoch individuell. Sie ist gleichzeitig ein einsames Unterfangen und ein Gemeinschaftsprojekt.
Manchmal sitzt man am Wegesrand dieser Ausbildungsreise und denkt: „Ich geb‘ auf, ich gehe keinen Schritt weiter.“ Doch die Erfahrung der Älteren zeigt: Es geht tatsächlich immer irgendwie weiter – manchmal auf unerwartete und wundersame Weise. Auf diese Erfahrung zu vertrauen und hingebungsvoll abzuwarten, kann helfen, den Druck auszuhalten und sich in der Unsicherheit zu entspannen.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 12.12.2016
Aktualisiert am 13.12.2020