Geld kommt, wenn man die Dinge nicht tut, um damit Geld zu verdienen

Mit dem Geld ist es wie mit der Diät: Sobald man krampfhaft versucht, mehr zu verdienen, werden die Zahlen auf dem Konto kleiner. „Konto rauf, Gewicht runter“ – das funktioniert meistens nicht, wenn man darüber nachdenkt und es kontrollieren will. Wenn man versucht, Diät zu machen, steigen die Kilo-Zahlen auf der Waage. Es ist so verflixt wie mit dem Einschlafen: Wenn man es krampfhaft versucht, weil man doch den Schlaf braucht, liegt man stundenlang wach. Wenn man nur noch ans Geld denkt, fehlt einem die Energie zur liebevollen Arbeit.

Zu Beginn meiner Weiterbildung zur Psychoanalytikerin musste ich der Bank gelegentlich vorrechnen, wie das bei den hohen Kosten alles klappen kann. Ich rechnete dann aus: Ich brauche soundsoviele Patienten und soundsoviele Einnahmen durch Blog-Abos und Buchverkäufe. Und auf einmal fühle ich mich furchtbar überlastet. Kam ein Patient, dachte ich: „Nach dieser Sitzung habe ich wieder etwas verdient. Darum muss ich die Sitzung unbedingt stattfinden lassen, auch wenn ich schwer erkältet bin.“

Zahlenkämpfe führen zum Burnout

Doch die Kraft ging mir dabei verloren. Ich erkältete mich ständig und dachte nur noch an Zahlen. Ich setzte mich hin und bloggte etwas, weil ein Berater mir sagte: „Du musst den Lesern täglich etwas liefern, damit die Leserzahlen steigen.“ Der Businessplan hing an der Wand. Doch kaum dachte ich so, nahmen die Leserzahlen wieder ab und niemand kaufte einen Blogzugang. Bei manchen Selbstständigen mag es ja so klappen: Sie rechnen sich aus, was sie einnehmen müssen, kämpfen dafür und die Rechnung geht auf. Bei mir ist es nicht so. Mich macht diese Rechnerei krank.

„Wenn Du tust, was Du liebst, dann wirst Du alles haben, was Du brauchst.“

Eine Weile nach dem Jahres-End-Gespräch mit der Steuerberaterin lasse ich von dem Gedanken ans Geldverdienen wieder ab. Ich höre auf, zu zählen. Ich beginne wieder zu vertrauen. Kinder sagen: „Ich will Arzt werden, um den Menschen zu helfen.“ Sie sagen nicht: „Ich will Arzt werden, um meine Kredite abbezahlen zu können.“ Ich finde den Weg zurück zum Ursprung: „Ich möchte arbeiten, um den Patienten zu helfen und nicht, um Geld von ihnen zu bekommen. Selbst wenn mir das Geld ausginge, so hätte ich so viel Freude an diesem Beruf, dass ich diese Arbeit in irgendeiner Form fortführen würde.“ Die Kraft kam zurück und mit ihr kamen die Patienten und die Leser.

Beim Einschlafen geht es ähnlich: Wenn wir die Gedanken einfach laufen lassen, schlafen wir ein. Wenn wir festhalten an dem Gedanken, schlafen zu müssen, geht es nicht.

Was wirklich zählt

Was im Psychoanalytiker-Beruf zählt, ist, das Unbewusste. Es kommt darauf an, das Leid zu erfassen und mit dem Patienten in eine Beziehung zu kommen. Dasselbe mit dem Blog: Wenn ich mich nicht mehr zwinge, jeden Morgen etwas zu schreiben, dann fallen mir die interessantesten Themen beim Yoga oder auf dem Weg zum Bäcker ein.

Wenn ich etwas blogge, um die Leserzahlen zu erhöhen, sehe ich, wie eben diese Zahlen sinken. Weil die Leser sowas merken. Den Blog-Beiträgen fehlt dann das Leben. Sie pulsieren nicht mehr. Sie sind nur noch „Zweck“ und dann wie tot.

Dankbarkeit lässt sich nicht erzwingen

„Jetzt habe ich mich extra um Dich bemüht und Du sagst noch nicht mal Danke!“, hörte ich einmal. Wenn jemand etwas tut, DAMIT wir „Danke“ sagen, dann haben wir schon keine Lust mehr, seine Hilfe anzunehmen. Es gibt dann nur noch Zähneknirschen. Doch wenn ich vor den rätselhaften Aufgaben des Lebens stehe und blogge, weil mich etwas berührt, gequält, überrascht oder befreit hat, weil ich es teilen möchte, weil ich Hoffnung geben, Wissen verbreiten und trösten möchte, dann sehe ich, wie sich die Leser eingeladen und verstanden fühlen und mir wunderbare Rückmeldungen geben. Sie bekommen Lust, zu lesen.

„Geld ist immer da.“ Zitat einer Freundin und Wirtschaftswissenschaftlerin.

Wenn das eine da ist, kommt das andere von selbst

In der Psychoanalyse funktioniert es ähnlich: Die frei schwebende Aufmerksamkeit ist eben nur möglich, wenn es gelingt, die Sorgen ziehen zu lassen. Manchmal muss man sich das für den Moment etwas erarbeiten. Es ist nicht so, dass ich das Geld ganz vergesse. Man muss auch lernen, zu verlangen (Danke, Safi Nidiaye) und die eigene Arbeit wertzuschätzen. Um Psychoanalyse betreiben zu können, braucht man einen Raum zum Wohlfühlen, der bezahlt werden will. Um zu bloggen, braucht man einen Serverplatz, eine Logo-Entwicklerin, einen Techniker, ein funktionierendes Internet, einen zuverlässigen Rechner. Das Kind hat Hunger (man selbst natürlich auch), die Dinge kosten. Das Bewusstsein, dass ich Geld brauche, ist da – ebenso wie das Bewusstsein, dass meine Arbeit etwas wert ist. Doch es ist etwas anderes, ob man denkt: „Du musst jetzt Betrag X zusammenkriegen“ oder ob man denkt: „Vergiss‘ Betrag X und tu, was Du gut kannst und was Dich erfüllt. Am Ende wird Betrag X einfach da sein.“

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Link:

Ruizhi Zhang and David Roland-Holst (2015):
An Analysis of the Effect of Income on Body Adult Body Weight in China
SemanticScholar

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 6.1.2017
Aktualisiert am 23.5.2023

2 thoughts on “Geld kommt, wenn man die Dinge nicht tut, um damit Geld zu verdienen

  1. Dunja Voos sagt:

    Liebe sonja,
    ich freue mich sehr über Ihren Kommentar, vielen Dank! Kommentare von Kolleginnen sind für mich immer eine wertvolle Orientierung.

  2. sonja sagt:

    Liebe Dunja Voos,

    ich arbeite selbst als Psychotherapeutin (TP) und verfolge seit einigen Wochen Ihren Blog.
    Sie haben mir schon einige Fachausdrücke, über die ich wieder und wieder nachgedacht habe, nahegebracht und mir gefallen Ihre Alltagsbetrachtungen.

    Ihre Art zu denken und zu formulieren empfinde ich als ausgesprochen anregend, tröstlich und ermutigend. Ich schätze Ihre gewissenhafte Recherche und Ihr fundiertes Wissen und freue mich, Weiteres von Ihnen zu lesen. Herzliche Grüße aus Hamburg.

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