Ein bisschen Voodoo hilft
„Das ist magisches Denken“, sagt der Psychotherapeut und will die Bedenken des Patienten relativieren. Vielleicht will er auch seine eigenen Bedenken ausradieren. Wir können so vieles nicht erklären und das macht uns besonders dann Angst, wenn es uns an sicheren Beziehungen fehlt. Und vielleicht finden wir deswegen ein bisschen zu wenig Voodoo in unserem Alltag, weil es so vielen Menschen an sicheren Bindungen mangelt.
„Never ever needle yourself! (Nadele dich niemals selbst!)“, sagte der Arzt, bei dem ich Akupunktur lernte. Schade, dachte ich, denn ich wollte die Methode doch auch lernen, um mir selbst helfen zu können. „Du kannst Dir nicht selbst die Energie geben, die Du brauchst. Akupunktur ist nicht nur die Nadel. Akupunktur heißt auch, die Energie des Akupunkteurs zu empfangen.“ Genauso ist es mit Psychotherapie und Psychoanalyse: Wir können uns nicht ausschließlich „selbst entdecken“. Am besten geht es vorwärts, wenn wir jemanden haben, bei dem, mit dem und durch den wir uns entwickeln können.
Die Hühnersuppe
Im Geburtshaus arbeiten erfahrene Hebammen. Kommt eine Frau zur Entbindung, dann wird eine Hühnersuppe aufgesetzt. „Die Hühnersuppe köchelt so lange, wie die Geburt dauert. Die Frau soll genau die Energie zurückbekommen, die sie verloren hat.“ Messen kann man sowas nicht. Aber ist es für die Frau nicht schön, zu wissen, dass da in der Küche eine Suppe für sie gekocht wird? Dass da eine Verbindung zum Alltag besteht, während sie sich selbst in einem Ausnahmezustand befindet? Schmeckt diese Suppe nicht köstlich, wenn es vollbracht ist?
Schlechte Energien wegwedeln
Die Therapeutin im australischen Busch wedelt „schlechte Energien“ von dem Platz weg, den gleich der Patient einnehmen wird. Auch hier lässt sich wohl nichts messen. Und doch: Der Platz für den Patienten ist immer sauber. Es duftet immer gut, es ist immer frische Luft da, es gibt immer ein schönes Licht. Ein Ort zum Wohlfühlen. Indem die Therapeutin die „schlechten Energien wegwedelt“, gibt sie acht auf diesen Platz. Sie macht ihn schön.
Aufwendig den Morgenkaffee zaubern. Kapsel auf, in die Maschine rein, Kaffee entnehmen. So kann’s gehen. Oder aber man mahlt die Kaffeebohnen, stellt die Espressomaschine auf den Herd, erhitzt die Milch und schäumt sie auf. Welcher Kaffee gibt mehr Energie? Wir wissen es nicht – es kommt auch auf die Menschen drumherum und den Ort an.
„Alle guten Wünsche!“
Jedes „Ich denk‘ an Dich“, „Ich zünde ein Kerzchen für Dich an“, „Ich bete für Dich“ bedeutet auch, dass theoretisch das Gegenteil möglich ist: „Ich wünsche Dir den Teufel an den Hals“, „Dir soll nur Schlechtes widerfahren“, „Ich werde Dich mit meinen Gedanken krank machen.“ Menschen mit psychischen Störungen leiden oft an ihrem magischen Denken. Sie glauben an „Fernwirkungen“ und bekommen dadurch schreckliche Angst. Auch gute Wünsche eines anderen nehmen sie mitunter als sehr bedrohlich wahr.
„Zum Teufel mit Dir!“
Wir können den anderen noch so sehr auf die Ferne verwünschen: Es wird nicht wirklich das Pech vom Himmel über ihn fallen. Dennoch befürchten nicht wenige Menschen, dass so etwas Schlechtes passieren könnte. Wenn wir überwiegend negative Beziehungen im Leben erfahren haben, sind wir häufig skeptisch. Wir lehnen oft auch gute gedankliche Verbindungen ab aus der Sorge heraus, sie könnten uns ebenso schaden wie sie uns guttun könnten. Doch eine einzige vertrauensvolle Beziehung kann ausreichen, um unser Gefühl zu verändern. Wenn wir eine vertrauensvolle Bindung haben, fühlt es sich schön an, wenn wir uns mit dem anderen gedanklich verbunden fühlen. Es gibt Kraft und Energie.
Kaum etwas macht den Menschen mehr Angst als die Gedanken der anderen – wie man an den sogenannten Glaubenskriegen sieht.
Soul of Africa
Wer sich für Voodoo interessiert, dem sei das Museum „Soul of Africa“ in Essen empfohlen. Wenn man dem Leiter Henning Christoph dabei zuhört, mit wieviel Voodoo seine Museumsstücke von Afrika nach Essen gelangten, kann man nur ehrfürchtig staunen. Der Geist dieser Liebe zu den Dingen ist deutlich spürbar.
Und schließlich, wenn gar nichts mehr geht, können wir immer noch beten.
Ein bisschen träumen, ein bisschen an Voodoo glauben, Energie in die Dinge stecken, sich Mühe geben, den Dingen Aufmerksamkeit schenken, sich hingeben – das ist das, was uns Kraft schenkt. Kraft, die wir brauchen, um die ganz irdischen Dinge zu bewerkstelligen: Um uns mit den Kollegen auseinanderzusetzen, um die Steuererklärung zu machen und um die Nerven nicht zu verlieren, wenn wir im Stau stehen oder auf einen medizinischen Befund warten.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 29.6.2016
Aktualisiert am 15.7.2023