Ein Teil von mir hat Angst
Es kann entlastend sein, wenn wir bemerken, dass wir „nicht nur“ so oder so sind. Wir sind nicht „nur neidisch“, sondern „ein Teil von uns“ ist neidisch. Kritik ist weniger zerstörerisch, wenn sie einen Teilaspekt von uns trifft. In der Psychotherapie wird häufig diese Sichtweise verwendet: Patienten erhalten die Erklärung, dass eben nur ein Teil von ihnen ein ängstlicher oder depressiver ist. Wer aber eine Panikattacke erleidet, der ist durch und durch voller Angst. Wer depressiv ist, spürt nicht mehr einen „depressiven und einen nicht-depressiven Teil“, sondern der Betroffene ist „depressiv durch und durch“. In seiner ganzen Person. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Je ausgelieferter, je schlimmer, desto mehr „durch und durch“
Da, wo wir gesund sind, können wir differenziert denken und fühlen. Wir spüren: Der andere hat sowohl gute als auch weniger gute Anteile. Auch wir selbst finden Seiten an uns, die wir mögen und die wir ablehnen. Besonders wenn wir aktiv denken, dann können wir teilweise dieses und teilweise jenes denken. Doch wenn wir Schmerzen oder Angst haben, fühlen wir uns dem passiv ausgeliefert. Wenn wir uns in den Finger schneiden, sagen wir: „Ich habe Schmerzen“ – wir sind im Ganzen beeinträchtigt. Wir können nicht sagen: „Ein Teil von mir hat Schmerzen.“
Je stärker wir von etwas betroffen sind, je passiver und ausgelieferter wir uns fühlen, desto stärker ist das Gefühl, „voll und ganz“ betroffen zu sein. Sind wir sehr sauer auf den anderen, dann erscheint er als „nur noch“ böse, während wir selbst ganz und gar kochen vor Wut. Vielleicht ist es vergleichbar mit dem Schlaf: Im Tiefschlaf schlafen wir „voll und ganz“, aber wenn wir dösen, spüren wir unseren eher wachen und unseren eher schlafenden Anteil.
Verschiedene Ich-Zustände
Doch was tun, wenn wir eine Angstattacke haben und mit jeder Faser unseres Körpers, mit jeder Ecke unserer Seele davon betroffen sind? Dann finden wir in uns kaum noch einen „starken Anteil“. Zu irritiert sind wir, zu ergriffen von der Angst. Die Fähigkeit, nachzudenken, kann ganz verschwunden sein. Wir fühlen uns gelähmt. Aber dennoch gibt es Grund zur Hoffnung: Vielleicht sind wir JETZT ganz und gar in diesem Zustand. Aber die Zeit bringt es mit sich, dass wir uns auch wieder stärker und entspannter fühlen können. Die Zustände in zeitlicher Abfolge zu betrachten, kann also etwas helfen, wenn wir uns im Hier und Jetzt nur ganz und gar so oder so fühlen.