Wie es ist, in der Gruppen-Supervision auf dem heissen Stuhl zu sitzen. Ein Erfahrungsbericht.

Schon in den Ferientagen zuvor überkamen mich Angst und Übelkeit – ein mulmiges Gefühl. Wie würde es nach dem Urlaub weiter gehen? Zurück in der Klinik schauten Teammitglieder weg, als ich sie grüsste. Das war mir noch nie passiert. Irgendwas war anders. Ich merkte, dass auf der Station kaum einer mit mir sprach. Immerhin sollte mittags unsere Supervisionsrunde sein, auf die ich mich normalerweise freute. Doch heute war irgendetwas anders. Wir setzten uns in eisigem Schweigen auf unsere Stühle. Die anderen des Teams durften zuerst reden. Mir wurde angedeutet, dass ich jetzt gar nichts sagen sollte.

Der Erste beklagte sich über mich. Ich wollte mich rechtfertigen, doch der Zweite kam dran. Auch er schilderte sein Leid mit mir. Als ich antworten wollte, wurde ich vom Supervisor am Reden gehindert. Es sprach der Dritte der Gruppe, dann der vierte. Und mir dämmerte langsam, dass ich heute im Mittelpunkt stand.

Reihum wurden alle befragt, wie es ihnen denn gehe, wie sie denn fühlten, was sie denn meinten. Und das Thema war ich. Meine Arbeitsweise, meine Kommunikationsform, meine Teamfähigkeit, meine Fähigkeiten als Ärztin und Therapeutin, meine Unfähigkeit und Bequemlichkeit, während andere Kollegen für mich angeblich die Arbeit erledigten und alles wieder korrigieren müssten, was ich vermasselt hätte. Sollte ich vielleicht aufstehen und den Raum verlassen? Nein, lieber wollte ich mich verteidigen. Erneut wurde mir das Sprechen untersagt, doch endlich setzte ich mich darüber hinweg und sagte, was ich zu sagen hatte. Ich sagte, dass ich noch vor Vertragsende gehen werde. Das beruhigte die Gruppe.

Ich wusste nicht, was mir geschehen war, kannte den Begriff „heisser Stuhl“ noch nicht. In meiner Auswegslosigkeit berichtete ich einem Analytiker davon und hoffte auf Verständnis. Doch zu allem Überfluss fand auch er, dass die Gruppe gar nicht so unrecht hatte. In den USA gebe es ähnliche Methoden, um Alkoholiker mit ihrer Sucht zu konfrontieren, erklärte er: Der Raum sei dunkel, wenn der Betroffene hineinkäme und dann erst ginge das Licht an und die Gruppe würde ihn ansprechen. Vielleicht hätte ich so etwas gebraucht. Es war so schrecklich, dass ich mich plötzlich seltsam beruhigt fühlte. Ich glaube, dass die Seele das Unfassbare in eine merkwürdige Ruhe umkehren kann.

Noch am Abend schrieb ich meine Kündigung. Ich konnte das nicht mehr – in der Psychiatrie arbeiten und auf Oberarztanordnung Medikamente verordnen, obwohl Patienten über Erektionsstörungen und andere heftige Nebenwirkungen klagten. Ich wollte keine Anti-Suizidverträge mit Patienten schliessen, weil ich solche Verträge („zur rechtlichen Absicherung“) für eine Farce halte. Ich konnte es nicht ertragen, wenn Patienten zur Elektrokrampftherapie („modernes Verfahren zur Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen“, Netdoktor, 2022) geschickt wurden oder gerade daher kamen.

Ich würde immer „Jaja“ sagen, aber nicht hinter den Dingen stehen. Nun, da hatten sie teilweise recht. Doch ich sah für mich damals kaum eine andere Lösung. Kein einziger in dieser Gruppe hat die Hand erhoben und gesagt: „Moment mal, was machen wir hier eigentlich?“ Das hätte die Situation wahrscheinlich aufgebrochen. Doch die ein oder zwei Teammitglieder, die mir möglicherweise zu Hilfe gekommen wären, fehlten an diesem Tag.

Bis heute rennen mir die Szenen dieser Supervisionsrunde nach. Die Psychiatrie ist für die, die dort arbeiten, einer der krankesten Orte überhaupt, denke ich manchmal. Und doch sehe ich auch die langen guten Zeiten, die ich bei meiner Arbeit hatte. Möglicherweise ist auch die Gruppe in eine Dynamik gekommen, die sie so nicht wollte. Vieles hängt eben auch ab vom Leiter der Gruppe, also dem sogenannten Supervisor. Dass das Team unter mir auch litt, kann ich in dem Sinne verstehen, dass es umgekehrt ähnlich war. Wenn die Nicht-Passung zu gross ist, wird Zusammenarbeit sehr schwierig. Als angehende Psychoanalytikerin in der Psychiatrie spürte ich oft, wie Integration kaum möglich war.

Mit der Psyche zu arbeiten, hat immer auch gefährliche Seiten. Einige Wochen später kam ein neuer Supervisor. „Bei mir gibt’s keinen heissen Stuhl“, sagte er. Erst jetzt hatte ich einen Namen für das, was mir geschehen war. Erst jetzt wurde mir richtig klar, dass sich die Gruppe während meines Urlaubs abgesprochen haben musste. Richtig erleichtert war ich dann, als eine weitere Ärztin mir einige Jahre nach meinem Weggang schrieb: „Wie hast Du es so lange in dieser Klinik ausgehalten? Ich bin gleich wieder gegangen.“

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