Emetophobie – die Angst, sich zu übergeben

Die Angst, sich zu übergeben (Emetophobie, specific phobia of vomiting, SPOV), kann enorm gross sein. Wenn Du selbst betroffen bist, hast Du vielleicht keine Freude mehr an gemeinsamen Mahlzeiten. Für andere ist es vielleicht schwierig nachzuvollziehen, doch du spürst genau, dass dir schon nach wenigen Bissen schlecht wird und du das Gefühl bekommst, alles wieder ausspucken zu müssen. Du hast selbst Appetit, würdest gerne essen, aber es geht nicht.

Vielleicht geht es dir damit so schlecht, dass du schon Unternehmungen mit anderen meidest. Ich selbst litt als Jugendliche darunter – gemeinsames Kaffeetrinken mit Bekannten oder ein Vorspiel in der Musikschule (man beachte die sexuelle Konnotation) führten zu einem so starken Gefühl des Erbrechens, dass ich mich nur noch zusammenreissen musste. Hinterher konnte ich manchmal weinen. Interessant finde ich es heute, als erwachsene Ärztin ganz selten wieder dieses Gefühl zu haben. Es fühlt sich so körperlich an, dass ich manchmal an der rein psychosomatischen Erklärung dafür zweifele/

Ein Globusgefühl oder ein ständiger Würgereiz kann die Folge eines angespannten vegetativen Nervensystems sein. Vielleicht magst du einmal damit beginnen, dich für die Atemtechniken des Yoga (Pranayama) zu interessieren. Es gibt viel zu lesen und gute Videos dazu. Auch ein Yogalehrer könnte dir einige Übungen im Einzelunterricht beibringen, doch wenn du zum Beispiel frühtraumatisiert bist, kann auch diese Zweiersituation mit dem Lehrer und den Übungen schon wieder zu viel sein. Sinnvoll kann es sein, immer ein Mittel gegen Übelkeit bei Dir zu haben – auch, wenn Du es nie nimmst, so hast Du vielleicht ein wenig das Gefühl, im Ernstfall etwas tun zu können.

Die Ängste bei der Emetophobie sind vielfältig: Manche haben die Vorstellung, das Erbrechen würde nie wieder aufhören, oder das Erbrechen könnte so stark werden, dass auch Fäkalien mit hochkommen. Das nennt man „Miserere“, doch das passiert eigentlich nur bei todkranken Patienten im letzten Stadium ihrer Erkrankung. Vielleicht bekommst Du das Gefühl, Dich übergeben zu müssen, besonders auch bei Anstrenung. Vielleicht hast Du sogar als Baby die Vojtatherapie (auf dem Küchentisch) erhalten, wobei sich Babys manchmal tatsächlich vor Anstrengung übergeben. Die aktuelle Emetophobie kann dann eine Art „Körpererinnerung“ an frühe Qualen sein. Auch die Sorge, Dich in der Öffentlichkeit infolge des Erbrechens zu blamieren, kann so groß sein, dass Du vielleicht die Öffentlichkeit meidest. Eine soziale Phobie kann eine Mit-Ursache für die Emetophobie sein – doch den umgekehrten Weg halte ich für wahrscheinlicher: Die Emetophobie ist so schlimm, dass sie wur sozialen Phobie führt.

Vielleicht hast Du auch Angst, Du könntest beim Erbrechen ersticken, weil du vielleicht beim Erbrechen schon einmal einen Stimmritzenkrampf erlebt hast. Mache Dir bewusst, dass Ruhe-Bewahren dabei das Allerwichtigste ist: Wenn Duu Dich zur Ruhe zwingst, kann sich Dein Kehlkopf wieder entspannen. Wenn Du beim Erbrechen relativ ruhig bleibst und Deine Atmung kontrollierst, kann Dir das die Angst vor dem Ersticken ein wenig nehmen. Mit dem Älterwerden und der zunehmenden Körpererfahrung lassen vviele Beschwerden und Ängste auch nach.

Emetophobie tritt häufig ab der Pubertät auf. Übelkeit und Sexualität können eine grosse Rolle spielen. Hormone können Übelkeit verursachen und wenn Du Deine Regel bekommst, dann zieht sich nicht nur deine Gebärmutter etwas zusammen, sondern deine gesamte sogenannte glatte Muskulatur wird emfindlicher, also z.B. auch die Darmmuskulatur und die Muskulatur des Harnsystems.

Vielleicht kommen bei Dir auch viele Faktoren zusammen. Es geht nicht selten auch um Ängste und Sorgen rund um das Thema Sexualität – hier findet psychologisch gesehen eine „Verschiebung“ der Vorstellungen von unten (den Geschlechtsorganen) nach oben (zu Mund und Speiseröhre)“ statt. Solche Verschiebungen kommen auch im sprachlichen Alltag vor – schließlich sprechen wir von „Po-Backen“, „Scham-Lippen“, „Mutter-Mund“ und bei Schwangeren von „Mutter-Kuchen“ (= Name der Plazenta, in der das Baby in Mutters Bauch liegt).

Übelkeit und Erbrechen können das Gefühl von Sterben(-Wollen) auslösen. Möglicherweise hast Du als Kind traumatische Erfahrungen gemacht, z.B. im Rahmen von sexuellem Missbrauch oder medizinischen Behandlungen im Krankenhaus. Infolge vieler (operativer) Eingriffe kann die unbewusste Phantasie bestehen, ein anderer wäre irgendwie in Dich eingedrungen und Du könntest Dich nur durch Kotzen wieder befreien. Vielleicht sollte Dir ja auch etwas „eingetrichtert“ werden, z.B. eine Religion oder ein bestimmter Lern-Stoff. Vielleicht willst Du das irgendwie wieder los werden, hast aber gleichzeitig Schuldgefühle, wenn Du Dich „befreien“ willst. Komplizierte Konflikte wie diese können bei der Emetophobie mit im Spiel sein.

Die Emetophobie kommt relativ häufig in der Pubertät vor – also in einer Zeit der Trennung und des Eigenständig-Werdens. Es gibt Hinweise darauf, dass Betroffene schon in der Kindheit unter Trennungsängsten litten (Lipsitz et al., 2001), was wiederum ein Hinweis auf frühe Traumatisierungen sein kann. Der Hormonrhythmus kann an der Übelkeit beteiligt sein – manche Frauen leiden vor der Regel unter Übelkeit und Durchfall. Auch in der Schwangerschaft kommen Übelkeit und Erbrechen häufig vor.

Tipp: Wenn Dir andere raten, tief durchzuatmen, dann schaue, ob Dir das wirklich gut täte, denn die flache Atmung hat oft ihren Sinn. Vielmehr kann es helfen, lange auszuatmen, z.B. in den Ellbogen-Ärmel. Das Ausatmen gegen Widerstand kann hilfreich sein, zum Beispiel, indem Du Dir die Nasenlöcher etwas zuhältst. Vielleicht leidest Du auch an einem Globusgefühl, also an einem Gefühl, dass da etwas im Hals steckt, ohne dass der Arzt etwas krankhaftes feststellt. Hier können regelmäßige Atemübungen aus dem Yoga manchmal helfen.

Spiele mit Deinen Ideen: Was findest Du vielleicht zum Kotzen? Wen hast Du vielleicht „gefressen“ oder zum Fressen gern? Möchtest Du gerne von zu Hause ausziehen? Leidest Du unter Deiner Mutter oder einem Lehrer und weißt nicht, wohin mit Deinem Ärger? Kommen Dir andere – vielleicht auch Deine Eltern – zu nah? Alle möglichen Situationen, Gefühle, Erinnerungen und Phantasien können zu der Emetophobie beitragen.

Oft lässt sich nicht so leicht an die Ursachen der Emetophobie herankommen, doch Du kannst Dich selbst erforschen, Dich viel bewegen und nachdenken. Schaue vielleicht auch, wie bestimmte Speisen auf dich wirken. Aus praktischer Sicht ist es gut, wenn Du etwas bei Dir trägst, was Dir zumindest etwas hilft: Erfrischungstücher, eine gut duftende Creme oder Mandarinen-Duftöl. Auch Lakritze oder Nux-vomica-Präparate können etwas helfen. Wenn Du verstärkt unter Emetophobie leidest, dann sei gut zu Dir selbst. Überfordere Dich nicht und entscheide je nach Verfassung, was Du Dir heute zutrauen kannst. Nimm Dich selbst und andere Menschen ernst.

Zum Nachdenken und Erspüren: Die verschiedenen Arten von Übelkeit

Hast Du schon einmal bemerkt, wie viele verschiedene Arten von Übelkeit es gibt? Ähnlich, wie man einen Schmerz als drückend, stechend, pulsierend, dumpf etc. beschreiben kann, so lässt sich auch die Übelkeit in Worte fassen. Das kann dem Arzt wichtige Hinweise geben und bei der Medikamentenauswahl helfen. Uns kann übel sein in der pubertät, in den wechseljahren oder im schockzustand. wir können bemerken, ob unsere übelkeit vom magen kommt oder ob die ursache im nacken, innenohr oder kopf liegt. Unser Magen liegt wie ein beutel relativ weit oben im bauch. er biegt sich links herum – so, als würden wir mit unserem linken arm ein baby halten.

Die Arten der Übelkeit

  • „Der Magen ist verdorben“ – das ist eine Übelkeit, die eindeutig vom Magen kommt. Wir spüren ihn und wollen ihn durch Erbrechen entleeren. Auch bei der Magen-Darm-Grippe spüren wir, dass der Ziel-Ort der Viren der Magen-Darm-Trakt ist.
  • „Hormone schwirren durch den Körper“ – diese Art von Übelkeit kennen Frauen in der Schwangerschaft, vor der Regel oder in den Wechseljahren. Es ist eine Übelkeit, bei der man spürt: Der Magen selbst ist eigentlich unbeteiligt. Es fühlt sich eher an wie eine „strömende Ganzkörperübelkeit“. Der Nervus vagus ist gereizt, aber die Ursache liegt nicht in Nahrungsmitteln oder Krankheitserregern, sondern in der Wirkung durch Hormone.
  • Übelkeit während der Geburt oder während des Geschlechtsverkehrs – sie wird oft durch Zug und Druck auf die glatte Muskulatur des Gebärmutterhalses, der Gebärmutter und des Magen-Darm-Trakts hervorgerufen.
  • Reiseübelkeit – kennt vielleicht jeder, besonders aus der Kindheit. Diese Übelkeit wird durch Schwindel verursacht, an dem das Innenohr beteiligt ist.
  • Übelkeit, die durch Schwindel hervorgerufen wird, der aus dem Innenohr kommt, findet sich auch z.B. bei Morbus Meniere, bei Lagerungsschwindel oder bei der Neuronitis vestibularis. Eng verwandt hiermit ist Übelkeit, die durch Verspannungen im Nacken hervorgerufen wird, aber auch die Reiseübelkeit.
  • Übelkeit durch Betrachten eines unangenehmen Lichts. Lichtverhältnisse zu bestimmten Tageszeiten oder Jahreszeiten können Übelkeit hervorrufen – diese ist unter Umständen verbunden mit unbewussten Erinnerungen an Traumata, die man bei ähnlichen Lichtverhältnissen erlebte.
  • Übelkeit, die durch „Vergiftung“ hervorgerufen wird, z.B. nach Narkosen, durch Chemotherapie oder nach Alkoholgenuss.
  • Übelkeit, die wir erleben, wenn wir etwas Furchtbares sehen, z.B. einen Unfall. Das fühlt sich ein wenig an, als würde jemand direkt auf unseren Magen drücken.
  • Übelkeit, die wir durch Müdigkeit erleben, z.B. wenn wir nachts wach werden oder morgens zu früh aufstehen.
  • Kreislaufbedingte Übelkeit, z.B. bei Bluthochdruck oder zu niedrigem Blutdruck.
  • Muskulaturbedingte Übelkeit, z.B. bei Überanstrengung oder bei allgemein erhöhtem Muskeltonus, der die glatte Muskulatur des Magen-Darm-Trakts sozusagen mit „ansteckt“.
  • Übelkeit in körperlichen Notsituationen, z.B. bei einem Herzinfarkt, einem Schlaganfall oder einer inneren Blutung. Die Betroffenen erleben oft eine „nie gekannte Übelkeit“.
  • Übelkeit, die durch Angst und Panik entsteht. Die verschiedensten Affekte und Erinnerungen können Übelkeit hervorrufen. Hinzu kommen oft „nervöses Schwitzen“ und Durchfall.
  • Langeweile und Übelkeit hängen oft zusammen.
  • Durch Geruch hervorgerufene Übelkeit.
  • Durch Ekel hervorgerufene Übelkeit.
  • Durch Schmerz hervorgerufene Übelkeit, z.B. bei Migräne (wobei hier auch der Gefäßtonus eine Rolle spielt), Nierensteinen oder bei Unfällen und Knochenfrakturen
  • Übelkeit beim Sterben – wir fühlen uns oft „sterbenskrank“, wenn uns übel ist. Dies ist vielleicht eine Vorahnung, denn am Ende des Lebens ist oft nicht der Schmerz das Problem, sondern es sind die Übelkeit und die Atemnot.

Jede Form der Übelkeit fühlt sich ein bisschen anders an. Wenn du es dir zum Hobby machst, deinen Körper genau zu beobachten, werden die Unterschiede interessant. So spürt man auch besser, was einem gut tut und was den Zustand verschlechtert und man kann vielleicht rascher auch Selbstdiagnosen stellen.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Links:

Ralf Vogt (Hrsg.):
Ekel als Folge traumatischer Erfahrungen
Psychosozialverlag, 2. Auflage 2020

Lipsitz Joshua D et al. (2001)
Emetophobia: Preliminary results of an internet survey.
Depression & Anxiety, Volume14, Issue2, 2001: Pages 149-152
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/da.1058

Michael Simons und Timo Daniel Vloet:
Emetophobia – A Metacognitive Therapeutic Approach for an Overlooked Disorder
Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Hogrefe 2001
Online veröffentlicht: September 29, 2016, https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000464
https://econtent.hogrefe.com/doi/full/10.1024/1422-4917/a000464

ICD 10: Emetophobie: zählt zu den spezifischen (isolierten) Phobien: F40.2

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 22.11.2010
Aktualisiert am 23.3.2025

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