Zerstörung ist eine sichere Sache

Ich habe alles versucht: Ich war freundlich, ehrlich, ich habe mich gut vorbereitet. Ich habe Kuchen mitgebracht, mich angepasst, mich mit meinen Aggressionen und manchmal sogar schlicht mit meiner Meinung zurückgehalten. Doch ich habe auch versucht, mich zu zeigen, über Konflikte zu sprechen, der Auseinanderstzung nicht aus dem Weg zu gehen. Ich war fleißig. Engagiert. Mein Ziel war eine gute Beziehung. Aber ich bin abhängig vom anderen. Wenn ich dem anderen freundlich gesinnt bin, ist es der andere dann auch? Wenn ich gut gestimmt bin, ist es der andere auch? Wenn ich mit dem anderen eine schöne Zeit verbringen will, will der andere es dann auch? Es ist scheinbar Glücksache. Und anscheinend habe ich mehrheitlich Pech.

Ich könnte mich fragen, ob ich dem anderen wirklich freundlich gesinnt bin oder ob ich mir nur wünschte, ich wäre es. Ich werde wütend, versuche weiter, mein Ziel zu erreichen. Doch wenn ich mit freundlichem Gesicht und Wut im Bauch ankomme, reagiert der andere vielleicht insbesondere auf meine Wut und weniger auf meinen guten Willen – je nach Persönlichkeit. Es funktioniert nichts mehr, alles läuft aus dem Ruder. Ich kann meine Wut weder verstecken noch auslöschen. Ich kann sie beim anderen vielleicht aber auch nicht wirkungsvoll zur Sprache bringen. Vor allem, wenn der andere vielleicht eine psychisch schwer kranke Mutter ist. Dann funktionieren die normalen Gesetze nicht mehr. Alles wird immer unsicherer.

Doch eine Lösung bleibt mir – eine, die ich gut kenne: Ich kann kaputtmachen. Ein Turm ist mühselig aufzubauen, Vertrauen und Beziehung wachsen nur langsam. Da ist immer die Unsicherheit, ob es klappt, ob es gut ausgeht, ob ich es schaffe. Ich weiß nie, wie der andere reagiert und ob er meine Annäherung freundlich aufnimmt und erwidert. Doch wenn ich zerstöre, bin ich in Sicherheit. Ich weiß, dass es funktioniert. Ich weiß, wie ich es machen muss, ich weiß, wie ich den anderen vertreibe. Wenn ich zerstöre, habe ich die Macht. Ich bin nicht mehr angewiesen auf die Reaktion des anderen. Es ist totsicher. Ich kann das auf Festen, in Prüfungen, unter Freunden. Die Beziehung wird kaputt sein. So beruhigend.

Was hier fehlt, ist das wirkliche Ernstnehmen. Wer mit einer psychisch schwer kranken Mutter gross wurde, muss das Ernstnehmen manchmal erst lernen. Manchmal müssen wir überhaupt erst lernen, psychisch ausreichend gesunde Menschen zu finden, mit denen wir wirkungsvoll kommunizieren können, wo das Gehörtwerden funktioniert, wo man übereinander nachdenken kann. Wenn ich mich selbst und den anderen ernst nehme, dann kann eine stabile Beziehung entstehen.

Mütter mit Depressionen können auf ihre Kinder häufig nicht so antworten, wie das Kind es bräuchte. Wenn das Kind lächelt und die Mutter fast permanent nicht zurücklächelt ooder wenig Mimik zeigt, bedeutet das eine schwere Irritation und Verunsicherung für das Kind. Der Blick in einen „toten Blick“ ist schwer auszuhalten. Ein Kind, das immer wieder erlebt, dass seine Zuneigung nicht erwidert wird, entwickelt das Gefühl von Ausgeliefertsein, Chaos und Chancenlosigkeit.

In Gruppen herrschen nochmal ganz eigene Gesetze. Gruppen grenzen oft an chaotische Systeme. Und in manche Gruppen passen wir vielleicht einfach nicht rein. Es gibt sogenannte „dysfunktionale Familien“ und auch Gruppen. Was hier meistens „funktioniert“, ist eine Mischung aus Wut, Eigensinn ohne Mitgefühl, Streit und Zerstörung.

Manchmal müssen wir im Leben erst reifen, um die ganzen anderen wichtigen Dinge leben zu können: Trauer, Abwarten, Nachdenken und Sprechen. So, dass wir miteinander in Resonanz treten können. Wenn wir uns selbst besser kennenlernen, wissen wir auch, nach wem oder wonach wir suchen müssen, wo wir Passung und Verständnis finden. Wenn wir unsere innere Schwingung kennen (insbesondere auch die negative), können wir auch unser Gegenüber realistischer wahrnehmen.

Ernstnehmen, Abwartenkönnen, Traurigseinkönnen, fûr sich auch leiden zu können – das kann bewirken, dass sich auch unsere Neuanfänge und Beziehungen ehrlicher und befriedigender anfühlen. „Sich mit Hingabe dem anderen annähern“, sagte mir mein Yogalehrer mal. Commitment selbst fühlt sich irgendwie sicher an – doch auch bei noch so gutem Willen müssen wir vielleicht die Unsicherheit mit einbeziehen, dass wir nicht wissen, was von aussen kommt und wie der andere reagiert.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 30.12.2022
Aktualisiert am 12.01.2025

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