Das Eigenleben der Seele, das Eigenleben des Körpers

Ich liege im Gras. Mein Körper ist angenehm warm. Irgendwo da oben im verlängerten Rückenmark wird meine Temperatur für mich reguliert. Der Atem geht von selbst. Millionen Darm-Bakterien sorgen fürs Gleichgewicht. Kommt ein Virus, macht der Körper, was er will. Ich höre meinen Puls. Es ist schön, dass ich mich nicht um alles kümmern muss. Ich kann mit meinen Gedanken spazieren gehen und der Körper lebt von selbst. Auch die Seele lebt. Vieles kann ich steuern. Doch nachts, da träume ich.

Wenn ich einen Alptraum habe, kann ich nichts dagegen tun – außer zu warten, bis ich aufwache. Manchmal kann ich schreien und mich damit selbst wach machen. Psychotische Bilder drängen sich im Traum auf – egal wie intelligent, kontrolliert und seriös ich sonst bin. Auch am Tag träume ich: Ich weiß, dass der Zahnarzt kein böser Mensch ist. Und doch erlebe ich das Abendbrot vor meinem Termin wie eine Henkersmahlzeit.

Ich weiß, dass ich diese Rede nicht halten muss – und doch fühlt es sich an, als sei ich eine Stunde lang gefangen. Scham kann mich fesseln wie ein Spinnennetz ihr Opfer. Und auch der beste Mensch auf Erden erscheint mir böse, wenn ich in der Zwickmühle bin. Ich stehe wieder in dem Raum ohne Worte. In dem Raum, in dem man das Licht anknipsen will, aber es nicht geht. 1000-mal gefühlt. Man kennt „es“. Man weiß, was passiert: Ich werde so, wie andere mich nicht haben wollen. Wie ich es selbst nicht will. Ich schade mir. Ich schade den anderen. Obwohl ich es besser weiß. Es ist wieder da. Er ist wieder da. Dieser Alptraum am Tag.

Die Psyche ist so selbstständig wie der Neurodermitisfleck auf meiner Haut. Man kann fasten, man kann beten, manchmal ist er weg. Und doch kommt er wieder, wenn das Leben alte Gefühle wachruft. Dann kann man nur Cortison auftragen. Oder erneut fasten. Oder einfach abwarten. Und demütig sein. Das Eigenleben von Körper und Psyche ist wie die Wolken: Sie ziehen vorbei, sie stapeln sich, sie malen Bilder in den Himmel. Und niemand kann vorhersagen, wie sie sich verhalten werden. In mir tobt der Mob. Wie sollte ich mich da über das Chaos in der Welt noch wundern? Wie sollte ich da die Welt da draußen noch verurteilen?

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 7.11.2016
Aktualisiert am 18.1.2025

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