„Ich will nicht mehr leben!“ Suizidalität – über das Gefühl, dass dir nicht mehr zu helfen ist
Vielleicht hast du das Gefühl, dass dir nicht mehr zu helfen ist. Vielleicht erscheinen dir deine Situation, deine Gefühle von Sinnlosigkeit und deine innere Leere so groß, dass du dich nach dem Tod sehnst. Das ist nicht unbedingt „krank“, wie manche sagen. Die Suche nach Ruhe und dem Ende der Qual ist auch eine gesunde und natürliche Regung der Psyche – ein Versuch der Selbstregulation und der Selbstfürsorge. Innerer Schmerz und Horror können so groß sein wie eine unaushaltbare körperliche Not. Der Tod, so die Hoffnung, ist ein mögliches „Ticket out“ (Cathy Penney in „Take these broken wings“, Youtube). Die Bindungen an das Leben und an andere Menschen scheinen wie gekappt zu sein – nichts und niemand interessiert dich mehr. Und doch kann sich dein Erleben wieder verändern.
Vielleicht leidest du aber auch unter der Vorstellung, dass der Tod nicht die Lösung wäre, weil du dich vielleicht vor Strafe fürchtest. Das kann auch eine Art Selbstschutz sein, der dich von der Selbsttötung abhält. Vielleicht hast du die Vorstellung, dass das, was vielleicht nach dem Tod kommt, noch schlimmer sein könnte als das, was du jetzt durchleidest. Deine jetzige innere Situation überträgt sich in deiner Vorstellung auf alles andere – auf andere Menschen, Zeiten und Räume.
Doch egal, wie du denkst und fühlst: Im Grunde geht es um die Befriedigung deiner Bedürfnisse. Du sehnst dich nach Ruhe und Schmerzlosigkeit, nach Freiheit von Qual, auch von gedanklicher Qual. Vielleicht sehnst du dich auch nach einer befriedigenden Beziehung und nach echtem Verstandenwerden. Du möchtest nicht mehr einsam sein, möchtest dazugehören, dein Selbst(wert)gefühl wieder „normal“ werden lassen. Auch bei lebensmüden Menschen gibt es fast immer noch den Wunschfunken, weiterzuleben.
In der Palliativmedizin gewinnt so manch ein Sterbenskranker wieder die Freude am Leben zurück, wenn Schmerzen, Übelkeit und Luftnot gelindert sind und wenn es Menschen gibt, die sich kümmern.
Einsamkeit und Sehnsucht
Wohl die meisten, die sich das Leben nehmen wollen, fühlen sich unendlich einsam. Interessant ist vielleicht auch die Formulierung „sich das Leben nehmen“. Vielleicht möchtest du dir endlich das Leben verwirklichen, das wirklich deines ist. Doch gerade leidest du innerlich vielleicht grosse Qualen. Vielleicht hast du einerseits eine riesige Angst vor anderen, bleichzeitig aber auch eine riesige Angst vor der Einsamkeit. Am schlimmsten ist vielleicht die Einsamkeit im Zusammensein mit anderen. Ohne den anderen scheint es nicht zu gehen, aber mit ihm auch nicht. Wie schön wäre es, wenn es ohne den anderen ginge, aber mit ihm auch.
Die Angst kann eine grosse Qual sein.
Nichts scheint dir mehr etwas zu bedeuten. Dahinter steckt oft aber auch eine große Zerstörungswut. Du würdest vielleicht am liebsten nicht nur dich selbst zerstören, sondern gleich auch die ganze Welt. Es kann hilfreich sein, diese Zerstörungswut in sich zu spüren. Es kann erleichternd sein, dir vorzustellen, wie du alles zerstörst. Sich Dinge vorzustellen hält einen manchmal davon ab, Dinge wirklich zu tun. Auch, wenn deine Ohnmacht und deine Macht dir grenzenlos erscheinen, so hat alles seine Grenzen. Manchmal kann es erleichternd sein, zurück zu deinen Sorgen oder zu deinen Körperbeschwerden zu finden, denn sie führen dich mitunter weg von den Gedankenqualen und binden dich ans echte Leben hier. „Aber es funktioniert nicht“, magst du denken. Ja, manchmal ist die Hoffnung am Ende.

In einem Youtube-Video mit Zen-Meister Muho Nölke sprechen wir auch über Suizid. Muho sagt etwas sehr Kluges: Er rät manchmal dazu, einfach die Luft anzuhalten. Dann kommt der Drang, weiterzuatmen. Wir denken dann vielleicht, der Körper will uns überlisten. Wir wollen nicht mehr leben, aber der Körper will leben. Muho sagt, es sei die Frage, wer wen überlisten will. Wir könnten ja auch aus dem Fenster springen. Doch warum sollte man dem Körper nicht auch ein Mitspracherecht geben? Zen und Psychoanalyse: Gegner soder Spießgesellen? Youtube, Mai 2024
Entscheidend ist die innere Welt
Wir alle gehen mit wechselnden Lebensgefühlen durch die Welt. Sind wir in einem bestimmten Lebensgefühl drin, dann ist es, als seien wir in einem Haus in einem bestimmten, sehr weiten oder sehr engen Raum eingeschlossen. Wir können uns kaum vorstellen, uns je wieder anders zu fühlen. Es gibt Zeiten, da sind wir zufrieden und glauben, nichts bringt uns mehr aus der Ruhe. Wer körperlich oder psychisch krank ist, wer den Tod anderer Menschen verkraften muss (oder sogar den Tod anderer Menschen verschuldet), wer missbraucht wurde, Gewalt erlebt, in Rechtsstreitereien verwickelt oder in Schulden versunken ist, der fühlt sich unbeschreiblich schrecklich. Oft über viele Jahre und Jahrzehnte können wir gefangen sein in bestimmten Situationen. Was wir erlebt oder getan haben, ist geschehen und bleibt bis zu unserem Lebensende. Außen wie innen scheint es keine Perspektiven mehr zu geben – man ist ausgestoßen und es scheint, als ob sich auch das innere Erleben bei so viel äußerem Mist nicht mehr ändern könnte.
Die innere Welt erscheint vollkommen hoffnungslos – und auch die äußere Situation gibt oft wenig Anlass zur Hoffnung. Andere blicken dich vielleicht mit ebenfalls mit einem hoffnungslosen Blick an. Von einem Analytiker las ich einmal den Satz: „Erst, als ich als Therapeut auch die Hoffnung aufgab und wir beide in Hoffnungslosigkeit am Boden waren, war es, als ob sich uns etwas Neues eröffnet.“ Das innere Erleben kann sich wieder verändern.
„Es ist mir peinlich, ich bin schuldig, ich kann’s nicht mehr rückgängig machen!“
Gerade junge Menschen in auswegslosen Situationen fühlen sich oft unglaublich schuldig. Manche haben etwas getan, was nie wieder gutzumachen scheint oder rückgängig zu machen ist. Da geht es oft um Leben und Tod – um Schwangerschaften, Abtreibungen, um Sterben oder um körperliche Verstümmelung. Manche fühlen sich „falsch“ in dieser Welt und sind sich sicher, dass es nur ihnen so geht. Innen drin tobt ein existenzieller Kampf. Vielleicht fühlst du dich auch wie auf „Auto-Run“ gestellt. Duu fühlst dich vielleicht, als müsstest du auf dein Ende zurennen, ohne dass es noch einen Halt gäbe. Und doch wûnscht ddu dir vielleicht, dass du jemanden findest, der dich hält. Allein die Suche nach Hilfe ist wie die Beginn einer Reise, die viel Überraschendes bereit hält. Und manchmal, wenn du selbst schon alt und weise bist, hilft vielleicht nur noch die Vorstellung des „Sterbens auf dem Kissen“ (siehe Videos von Zen-Meister Muho Nölke). Wenn du so leben kannst, wie es dir selbst wirklich entspricht, lassen Angst und Qual oft nach und Lebensfreude taucht auf.
Viele Menschen mit Suizidgedanken sagen, dass Psychopharmaka ihnen nicht helfen. Was sie oft suchen und brauchen, ist Beziehung. Eine Psychoanalytische Therapie im Sitzen (2-mal pro Woche) oder eine Psychoanalyse im Liegen (3- bis 4-mal pro Woche) bietet die Möglichkeit, eine enge Beziehung zu einem Therapeuten aufzubauen. Sie wird von den gesetzlichen Krankenkassen in der Regel bezahlt. Adressen: therapie.de, dgpt.de
Wie soll das gehen?
Vielleicht stellst du in einer Psychoanalyse, aber auch im Yoga, im Zen oder auf einer langen Reise erstaunt fest, wie sich deine innere Welt verändern kann – auch, wenn sich an der äußeren Welt kaum etwas verändert. Obwohl die äußere Situation zunächst dieselbe bleiben mag, verändert sich durch die Beziehung zu dir selbst und/oder zum Psychoanalytiker die innere Welt. Es kann gut sein, dass du dich plötzlich wieder anders fühlst – selbst dann, wenn du meinst, dass es noch nie anders war. Es können zumindest neue Vorstellungen vom Leben und vom Tod auftauchen. Manchmal kann ein gutes Essen Dein Denken und Fühlen verändern. Und vielleicht musst du auch gar nichts tun. Ausser warten, atmen, schlafen (siehe Zen Master Gu Ja – „Just eat, sleep and shit“, Youtube).
„Ich leide, also bin ich“, höre ich in einer Predigt.
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Links:
Eckhart Tolle:
An Alternative to Suicide
Surrendering to Death
Surrendering to Life
Youtube
Dunja Voos:
Psychoanalyse tut gut
Psychosozial-Verlag 2011
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Pema Chödrön:
Die Weisheit der Ausweglosikgeit
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 12.5.2014
Aktualisiert am 28.4.2025
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Bei Hesse „Unter´m Rad“ ist das Finden eines Baumes, an dem sich Hans Giebenrath beschließt zu erhängen, der tröstliche Gedanke, der mit der Zeit den Anspruch an ihn, sein weggenommenes Leben lindert. Diese Linderung löst vom Genügen und Genügsamseinmüssen. Er wird – für ihn besehen – riskant, tut Dinge, die er mit Konsequenzaufnahme, nicht getan hätte. Er fühlt sich leichter, geradezu beschwingt durch die Aussicht auf Endlichkeit. Was vorher hemmte, wird frei. Auch seine Trauer um sein von anderen verplante und gehemmte Leben. Das verhinderte Selbst, hindert sich selbst nicht mehr, sondern beginnt zu werden.