„Ich habe Angst, meinem Baby etwas anzutun.“ Über Zwangsimpulse nach der Geburt

Das Baby fallen zu lassen, es mit dem Messer zu erstechen oder es aus dem dritten Stock zu werfen – solche Gedanken oder auch Impulse sind zutiefst erschreckend. Vielleicht fühlst du dich nach der Geburt deines Babys genau so. Innerlich ist es eine furchtbare Anspannung, die es schwer macht, über dein Problem zu sprechen. Du kannst vielleicht noch nicht einmal weinen, was ebenfalls ein Zeichen für die hohe Spannung ist. Du fühlst dich dir selbst ausgeliefert. Was hilft?
Unser Unbewusstes ist in Gegensätzen aufgebaut. Wenn du dich passiv dem Zwangsimpuls ausgeliefert fühlst, kannst du einmal versuchen, dein Denken in etwas Aktives zu drehen, also etwa so: „Vielleicht will ich ja meinem Baby etwas antun? Vielleicht bin ich ja aggressiv?“ Wenn das denkst, dann fühlst du dich innerlich vielleicht aktiver. Wenn du einen Wunsch spürst, kannst du aktiv auch „Nein“ dazu sagen.
Vielleicht musstest du ja schon ein Leben lang deine Aggressionen ganz besonders verstecken – vor dir und anderen. Vielleicht fühlst du dich ganz extrem schuldig fûr jede deiner Regungen und sei es nur für deine Bedürfnisse wie das Bedürfnis nach Schlaf, nach Ruhe oder einfach Essen. Ein Baby zu haben, kann dich unter den Druck setzen, es lieben zu müssen. Kleine Babys sind „egoistisch“ – sie fragen nicht, wie es dir geht, sondern sie schreien nach deiner Milch. Warum also sollte man nicht selbst auch aggressive Regugen gegen dieses kleine „Monster“ entwickeln? Erlaube dir, dir diese Frage zu stellen.
Eine andere Frage ist: Wie ging es dir wohl selbst, als du Baby warst? Hast du medizinische Behandlungen über dich ergehen lassen müssen, war deine Mutter vielleicht depressiv, wurdest du zu viel allein gelassen? Wenn wir unsere Kinder im Arm halten, können möglicherweise unbewusst „Erinnerungen“ an eigene Zustände in der frühen Kinderzeit entstehen.
Unser psychisches Befinden hängt sehr von unseren Körperzuständen ab. Wenn wir länger unbeweglich waren, also zu lange irgendwo eingekauert gesessen haben, dann können innerlich Druckgefühle entstehen – ja auch Lähmungsgefûhle oder Gefühle des Eingesperrtseins. Versuche ganz simpel, dich zu strecken. Das Sich-Strecken wirkt dem Druckgefühl entgegen. Atme dabei ein und wenn du ausatmest, dann atme gegen Widerstand aus, also atme in einen Ärmel oder atme so, als würdest du gegen ein Fenster hauchen – nur mit geschlossenem Mund. Schaue, dass deine körperlichen Bedürfnisse befriedigt sind. Hast du Hunger oder Durst? Brauchst du jetzt eine warme Dusche?
Du kannst Dich bei starker Müdigkeit auch fünf Minuten auf den Boden legen. Allein die liegende Positioin des Körpers kann viel bewirken.
Und schliesslich: Versuche, zu sprechen über deine Gefühle und Gedanken. Auch durch das Sprechen können Angst und Spannung nachlassen. Du kannst es fast jedem erzählen – du wirst erstaunt sein, wie viele Menschen diese Impulse kennen. Du kannst die Telefonseelsorge anrufen oder nach einem Onlinetherapieplatz Ausschau halten, wenn es schwer ist, in den ersten Wochen mit dem Baby eine Psychotherapie in Präsenz zu organisieren. Der Therapeut muss noch nicht einmal spezialisiert sein auf dieses speziell wirkende Problem. Allein, dass Du ein Gegenüber hast, dem du erzählen kannst, bewirkt vielleicht, dass du auch weinen kannst darüber. Und das Weinen wiederum ist Folge von Entspannung und bewirkt weitere Entspannung.
Setz dich nicht unter Druck. Du musst nicht alles erfüllen, was Du Dir vorstellst. Warte ab, rede mit anderen, befriedige deine eigenen Bedûrfnisse so gut es eben geht mit dem Baby und beobachte, was passiert.
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