Sich an die Teilprothese gewöhnen – eine Alternative zum Implantat

Ich will kein Implantat – keinen festsitzenden Fremdkörper in meinem Mund, wo es Entzündungen und viele Probleme geben könnte. Andererseits erinnere ich mich an eine Psychosomatik-Vorlesung, in der uns eine Tüte voller Teilprothesen gezeigt wurde. Manche Patienten würden sich viele Zahnprothesen anfertigen lassen und mit keiner davon zurechtkommen. Tatsächlich wird man sehr allein gelassen, wenn man sich für eine Teilprothese entscheidet. Was ist zu beachten?

„Die ersten drei Monate nach der Zahnextraktion machen wir erstmal gar nichts“, sagte mir ein sehr guter Zahnarzt. Andere Zahnärzte geben einem schon wenige Tage nach der Extraktion die Teilprothese mit. Vielleicht merkst du, dass dir die Teilprothese, die du bald nach dem Zähneziehen anprobierst, richtig weh tut. Sie fühlt sich einschneidend an und völlig fehlgeformt. An Essen ist überhaupt nicht zu denken.

„Du trägst die Teilprothese nur zum Essen, oder?“ – „Nein – ich ziehe sie nur zum Essen aus“, musste ich lange sagen.

Trauer und Verlorensein

Psychisch hat der Verlust Deiner Zähne und die Gewöhnung an Deine Teilprothese einen grossen Einfluss – die Hungersituation kann dich gerade am Anfang wirklich zutiefst verzweifeln lassen. Essen und Trinken ist neben dem Atmen überlebensnotwendig. Essen ist Genuss, ja auch Kauen ist Genuss! Und jetzt auf einmal stehst Du hilflos da.

Vielleicht bist Du erleichtert über die neue Schmerzfreiheit, nachdem deine kranken Zähne gezogen wurden. Und gleichzeitig ist da eine tiefe Trauer darüber, dass da Körperteile von dir unwiderruflich verloren gegangen sind. Die Trauer kann sehr tief sein. Man wird als ganzer Mensch geboren und dann passieren Dinge im Leben, die einem nach und nach die Vergänglichkeit vor Augen führen. Gerade, wenn Du Zähne in den Wechseljahren verlierst, mischt sich die Trauer um die Zähne vielleicht mit der Trauer um das Ende der fruchtbaren Zeit. Mögliche Freude über neue Freiheit und Trauer über die Vergänglichkeit gehören zusammen.

Du brauchst vielleicht viel Zeit, um dich mit deiner neuen körperlichen Situation auseinanderzusetzen. „Nur Babys und Omas haben keine Zähne“, mag es dir vielleicht durch den Kopf gehen. Hilfsmittel in Betracht zu ziehen, kann sehr schwierig sein, doch das Gute an einer Teilprothese ist: Du hast die Kontrolle. Du kannst sie einsetzen und herausnehmen, wie Du es möchtest.

Zeit, Zeit, Zeit

Nach einer Zahnextraktion ist die Situation im Mund ähnlich wie nach der Fraktur eines Knochens: Du brauchst enorm viel Zeit. Versuche vielleicht erstmal ganz auf Deine Teilprothese zu verzichten und gib Deinem Mund Zeit zum Heilen. Du kannst Dich vielleicht jeden Morgen nach dem Frühstück einige Minuten hinstellen und wie eine Art Yoga machen. Frage Dich, wie sich Dein Mund heute anfühlt.

Nach einiger Zeit kannst du mit dem Finger dein Zahnfleisch abtasten und schauen, wie schmerzempfindlich es noch ist. Du wirst sehen, dass eine Heilung stattfindet, aber dass es wirklich lange braucht. Du spürst vielleicht, wie sich der Kieferknochen nach der Extraktion nur langsam erholt.

Mache wie zur morgendlichen Yogaübung ein Prothesentraining. Lege dir die Prothese erst mal nur in den Mund und lass sie einige Minuten darin, wenn du es aushältst. Mache allein nur das fûr einige Tage oder auch Wochen. Nach einer Weile kannst du versuchen, die Prothese herunterzudrücken, sodass die Klämmerchen relativ fest auf den Zähnen sitzen. Wie ist es jetzt mit dem Schmerz? Vielleicht mit dem Würgegefühl? Meditiere darüber, konzentriere dich darauf. Nimm die Prothese wieder heraus, wenn es zu unangenehm wird.

Wieder nach ein paar Tagen oder Wochen versuche, die Prothese ganz hinunterzudrücken, sodass die Klammern fest sitzen. Konzentriere dich darauf. Wieder nach einer Weile kannst du mit dem Finger einmal die Prothese erst links und dann rechts hinunterdrücken – eine ähnliche Belastung würdest Du beim leichten Kauen erfahren.

Nimm die Prothese immer länger in den Mund – erst wenige Minuten, dann 10 Minuten, dann eine halbe Stunde und schliesslich immer länger. Mache Mundbewegungen, während du sie trägst. Mache Kussbewegungen und Grimmassen – spüre, wo etwas unangenehm wird oder weh tut und versuche, es zu beschreiben.

Wenn du einen Zahntechniker aufsuchen würdest – wie könntest Du ihm jetzt dein Problem beschreiben? Wann tut dir was weh, wann ist es höchst unangenehm und wann nicht?

Vielleicht merkst du nach einigen Monaten, wie Schmerz und Spannung nachlassen. Viielleicht bist Du nach vielen Wochen bereit, mit der Prothese im Mund einmal einen Schluck Wasser zu nehmen oder auf eine Banane zu beissen. Du merkst, wie sehr sich Statik und Dynamik unterscheiden: Wenn Du kaust und schluckst, passiert unendlich viel im Kiefer. Versuche, geduldig mit dir zu bleiben. Deine Teilprothese kann langsam, langsam Dein Freund werden.

Wenn du im „Bananenstadium“ bist, hast du es fast geschafft, aber übereile nichts. Die Vorstellung, dass du mit deiner Prothese kauen können wirst, kann langsam wachsen. Langsamkeit ist der Modus, mit dem Du Deine Möglichkeiten erweitern kannst.

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