Körperdysmorphophobie aus psychoanalytischer Sicht: wenn Du Dich oder Teile von Dir nicht akzeptieren kannst

Die ständige Sorge über die „unschönen Teile deines Körpers“ (Body Dysmorphic Disorder) kann unerträgliche Züge annehmen und hängt eng mit vielen anderen Leiden zusammen. Weil du meinst, dass dein Aussehen extrem unschöne Seiten hat, kann es sein, dass du dich zurückziehst und sogar soziale Kontakte meidest (Soziale Phobie). Die Körperdysmorphophobie kann auch mit abstossenden Empfindungen in Bezug auf Dein Geschlecht oder Gewicht zusammenhängen. Vielleicht aber belasten dich auch ganz konkrete Formen wie zum Beispiel ein Überbiss, eine auffällige Nase, die Folgen einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte als Baby, OP-Narben, X-Beine, schiefe Zähne und vieles mehr. Das Leiden bezieht sich oft auf Körperteile, die hervor ragen.
Die Beschäftigung mit den Körperanteilen, die du selbst an dir ablehnst, kann ganz hartnäckig sein. Sehr häufig sind junge Menschen betroffen, gerade dann, wenn Freunde und die anstehende Partnersuche besonders wichtig werden. Doch auch älter werdende Frauen können sich plötzlich in quälender Weise mit ihren Oberarmfalten oder Lippenformen beschäftigen, weil sie das Gefühl haben, dass es so gar nicht geht. Die Beziehung zum gesamten Körper, ja zum eigenen Selbst und zu anderen Menschen kann allein von den „nicht richtigen“ Körperregionen bestimmt sein. Vielleicht fühlst du dich aber auch insgesamt zu gross, zu klein, zu dick, zu dünn, zu muskelschwach etc. An wen erinnert dich dein Körper?
Aus psychoanalytischer Sicht kannst du dich einmal fragen: Wann fing das an und wie fing es an? Hast du selbst irgendwann im Spiegel deinen Makel entdeckt? Haben deine Eltern oder Freunde Bemerkungen gemacht? Hast du Fotos von dir gesehen und einen „Aha-Effekt“ gehabt? Wie wir uns in unserem Körper fühlen, hängt auch mit der Art zusammen, wie unsere Eltern uns angeschaut haben, ja sogar damit, wie sich uns als Kind berührt, gepflegt und getragen haben.
Der Psychoanalytiker Thomas Ogden schreibt in seinem Buch „Frühe Formen des Erlebens“ (Psychosozial-Verlag, 2006) sehr eindrücklich davon, welch grossen Einfluss erste Erfahrungen mit Berührung auf uns haben. Sie formen auch das Bild von uns selbst.
Die Beschäftigung mit den unerwünschten Körperformen kann auch an die Themen Essstörung, Magersucht und Körperidentitätsstörung grenzen. Du machst in Gedanken vielleicht alles von diesem einen Makel abhängig, den du empfindest. Dabei identifizierst du dich vielleicht auch mit deiner Mutter oder deinem Vater. Was sie über dich und deinen Körper denken, kann sich auf dich übertragen. Wenn dein Vater dich anschaut mit dem Gedanken: „Meine Tochter bewegt sich komisch“, dann kann sich dein Gefühl, dich komisch zu bewegen, verschlimmern. Du hättest dieses Gefühl aber wahrscheinlich auch ohne die Blicke deines Vaters.
Manchmal geben wir dann unseren Eltern die Schuld, aber ist das sinnvoll? Es kann sein, dass du tatsächlich einen Überbiss oder Segelohren oder X-Beine hast. Du siehst es und jeder sieht es. (Bei Geschlechtsfragen geht es darum, dass sich die Brüste entwickeln oder der Penis auch von aussen gut sichtbar wird.) Das heisst, wir können es sozusagen mit einem „objektiven Befund“ zu tun haben. Doch wie wir selbst das sehen und wie wir damit umgehen können, hängt von unglaublich vielen Faktoren ab.
Der Gedanke an den Makel wird wach
Vielleicht hast du dir nie Gedanken über deine Nase gemacht. Irgendwann sagt dir vielleicht eine für dich wichtige Person, dass du eine grosse Nase hast. Und dann kannn der Gedanke daran fast zur Obsession werden. Hier zeigt sich auch, wie nah die körperdysmorphe Störung an eine Zwangsstörung rücken kann. Und wie bei der Zwangsstörung, die sich ja „im Kopf“ befindet, kann es hilfreich sein, seine Aufmerksamkeit auf den Körper zu verlagern.
Vielleicht spürst du, wie hartnäckig dein Problem sein kann, also gib dir bei der Lösung deines Problems viel Zeit. Heute werden häufig verhaltenstherapeutische Hilfen angeboten – dazu gehört zum Beispiel ein gedankliches „Reframing“ und eine Konfrontation mit deinen unschönen Körperteilen und Problemen. Dadurch kann sich vielleicht vieles ändern – auch deine soziale Angst und dein Isolationsverhalten – aber der körperdysmorphische „Belief“ kann unverändert bleiben (Cromarty & Marks, 1995).
Die Weltumseglerin Violette Dorange (geboren 2002, Reddit) hörte ich einmal sagen, dass es wichtig sei, den schweren Sturm zu relativieren („relatitiviser la tempête“). Wenn du deinen ganzen Körper in einem Schattenbild siehst, wie ist es dann?
Vielleicht hast du schon vieles versucht und dir zum Beispiel Vorbilder auf Insta oder Tiktok gesucht, die ein ähnliches Körperproblem haben und sehr liebenswert sind. Auch das hilft vielleicht nur begrenzt. Was wirklich helfen kann, kann glaube ich nur in Minischritten erreicht werden – und das ist ein neues Körperempfinden durch langsames, körperbewusstes Yoga.
Yoga in vielen kleinen Schritten
Durch eine gute Yogalehrerin/einen guten Yogalehrer kannst du verschiedene Ebenen neu entdecken: Wie ist dein Körper bei geschlossenen Augen? Vielleicht ist es so, dass der Hass auf deinen Körper sich in dem Moment des Augenschliessens auf einen Hass auf dich selbst verschiebt. Es kann sein, dass du also merkst, wie auch Hass eine Rolle spielen kann – zum Beispiel auf deine Eltern, von denen du dich vielleicht bedrängt oder verlassen fühlst. Vielleicht ist dein Hass auf andere irgendwann auch zum Selbsthass geworden. Du glaubst, du hättest so grossen Einfluss gehabt, dass du am Unglück anderer Menschen schuld seist.
Weiter gehts auf der Körperreise. Wie ist dein Körper, wenn man ihn nicht sieht? Wenn das Licht ausgeht oder wenn dein Körper ganz verdeckt wäre? Welche Körpergefühle steigen in dir auf, wenn du im Yoga bestimmte Atemtechniken erlernst? Vielleicht kommen dann Gedanken an Körperzustände, die dir sehr unangenehm, aber vielleicht auch angenehm waren und die du vielleicht beim Schwimmen, beim Judo, beim Trampolinspringen oder in ähnlichen Situationen erlebt hast. Warst du schon mal nackt in einem kalten See oder Meer schwimmen? Wie fühlt sich dein Körper da an?
Und schliesslich: Welche Rolle spielt deine Stimme und die Stimme der anderen? Es gibt einen Jugendroman, dessen Namen ich leider vergessen habe, doch geht es darum wie ein blind gewordenes Kind seine Welt erlebt. Und irgendwann sagt es: „Sehen wird völlig überbewertet. Auf die Stimme des Menschen kommt es an.“ Kannst du eine liebevolle innere Stimme in dir finden?
Meiner Erfahrung nach kann tägliches Yogaüben das Verhältnis zum Körper enorm verändern. Es geht auch darum, nicht mehr wegzulaufen. Wenn du eine Körperform hast, die du ablehnst, dann kannst du einmal schauen, was passiert, wenn du dein Gefühl dazu erforschst. Wie fühlt sich das an, wenn ich mich auf dieses Störende konzentriere? Dieses Störende geht nicht mehr weg. Vielleicht wurdest du damit geboren, vielleicht hat eine Entwicklung, eine Krankheit, ein Unfall dazu geführt. Wenn du dir die Gelegenheit gibst, dabei zu bleiben, kannst du manchmal vielleicht feststellen, wie das quälende Gefühl nachlassen kann. Vielleicht bleibt es auch und es ist immer gleich.
Die Seele arbeitet manchmal wie ein Verdauungssystem: Wir können die meiste Nahrung verdauen, doch wenn wir einen Stein schlucken, dann bleibt er unverdaut. Wir können ihn dann nur wieder unverändert herausbefördern. Vielleicht kannst Du dann das Thema „Unveränderlichkeit“ finden. Sobald du in die Welt der Bilder und des Symbolischen gehst, entwickelt sich etwas in deiner Psyche weiter. Vielleicht findest Du dann auch irgendwann zum Selbst-Mitgefühl. Da ist was Störendes, das bleibt. Und welche Formen kannst Du finden, um das in Dein Leben zu integrieren? Oft erinnere ich mich an die wunderschönen Augen einer Chirurgin, die mir als Medizinstudentin im OP-Saal so viel Mut machte. Später sah ich sie einmal in der Stadt und erkannte sie kaum – ihre OP-Kleidung hatte ihr Gesicht verdeckt und sah ich, dass auch sie mit Makeln kämpfte.
Der Makel ist etwas, den wir selbst und die anderen sehen können. Aber das Körpergefühl, das entsteht, wenn wir am Meer sind oder im Wind auf dem Feld stehen, das bleibt davon vielleicht ganz unberührt.
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Links
Nicole Schnackenberg (2023)
Trauma-Informed and Embodied Approaches to Body Dysmorphic Disorder (BDD)
Jessica Kingsley Publishers
https://uk.jkp.com/products/traumainformed-and-embodied-approaches-to-body-dysmorphic-disorder
Das hässliche Entlein
Youtube, Waldt Disney