Unser Wollen – eine unglaublich grosse Kraft. Und was, wenn der Wille schwindet?

Unser Wille ist Energie. Mein Wille ist verbunden mit einer körperlichen und psychischen Kraft. Ich spanne die Muskeln an, balle die Hânde zur Faust, schlage auf die Brust und sage: „Ich will!“ Stark auch ist unser „Ich will nicht!“ Wir spûren unsere Lebenskraft und unsere (Körper-)Grenzen. „Des Menschen Wille ist sein Hilmmelreich“, sagen wir und hoffen inständig, dass nach dem Tod das eintritt, was wir uns erhoffen – und das kann eng mit unserem (Nicht-)Glauben, unserer Religion und unserer Kultur verbunden sein. Sicher ist es jedoch mit unseren gany persönlichen Lebenserfahrungen verknüpft. Der Wille ist ein wichtiger Aspekt der Psyche, doch in der Psychologie ist erstaunlich selten die Rede davon.

„Dein Wille geschehe“ wird im Vaterunser gebetet. Das kann ein mulmiges Gefühl hervorrufen, manchmal aber auch eine Erleichterung, weil wir selbst nichts mehr Wollen müssen. Alles Leiden rühre von unserem Wünschen und Wollen her, heisst es im Buddhismus manchmal und der Wille ist negativ eingefärbt.

Wenn Du schon einmal eine Schlafparalyse erlebt hast, dann warst Du schon bei Bewusstsein, während Dein Körper sozusagen noch schlief. Du hast vielleicht alle Willenskraft aufgewendet, um schliesslich wach zu werden, um Dich bewegen zu können. Vielleicht hast Du aber auch schon mal das Umgekehrte erlebt: Du warst vielleicht sehr krank, unter grossen Schmerzen, unter Schwindel und Übelkeit und wolltest sterben, aber Du konntest es nicht. Dein Körper war stärker als Dein Wille – er hat überlebt.

Manchmal wollen wir unsere Partnerschaft erhalten, aber schaffen es nicht – wir merken, dass da Kräfte im Spiel sind, die grösser sind als wir selbst, weil wir vielleicht vieles einfach noch nicht verstanden haben. Wir wollen eigentlich morgens früh aufstehen, aber schaffen es nicht, obwohl wir eigentilch wollen. Wir merken, dass der Wunsch, den Körper jetzt nicht zu bewegen, grösser ist. Zwei Willenskräfte sind da im Wettbewerb.

Wille, Trieb und Wunsch liegen nah beieinander. Bewusster psychischer Wille, Körperwille, Gottes Wille, der Wille der Umwelt, des Schicksals, Todestrieb und Lebenstrieb – mit all dem haben wir zu tun. Und bilden immer wieder Kompromisse, wie Freud es schon sagte. Hierauf beruht ganz wesentlich die Psychoanalyse.

„Kann ich nicht oder will ich nicht?“, fragen wir uns manchmal.

Wenn wir uns gesund ernähren, wenn wir Beziehungen haben, unsere Muskeln aufbauen, genügend schlafen und gute Luft haben, dann wachsen Ideen in uns und unser Willle wird stark. Wenn wir alt und schwach werden, lässt der Lebenswille vielleicht nach. Der Wille ist eine Energie, die wir manchmal willentlich aufbringen können und manchmal nicht. Es kann erleichternd sein, sich in das Gewollte zu begeben und den eigenen Willen aufzugeben. Der ungewollte Schwund an Wille kann sich jedoch auch bedrohlich anfühlen – mit dem Willen schwindet unser „Ich“. Manchmal können wir nichts tun, als die Hände in den Schoss zu legen und auf unseren Willen zu warten. „Jetzt weiss ich endlich wieder, was ich will“, sagen wir irgendwann erleichtert. Und das ist dann manchmal schon so, als wäre das, was wir wollen, schon in Erfüllung gegangen.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Links:

„…here your will is upright, free, and whole,
and you would be in error not to heed
whatever your own impulse prompts you to:
lord of yourself I crown and mitre you.“
Dante, The Purgatorio
Gefunden auf der Website von Daniel Dorman, Autor von „Dante’s Cure“
https://www.danieldormanmd.com/dantes-cure.html

Walter Mischel et al. (2011):
‚Willpower‘ over the life span: decomposing self-regulation
Social Cognitive and Affective Neuroscience, Volume 6, Issue 2, April 2011, Pages 252–256
https://doi.org/10.1093/scan/nsq081
https://academic.oup.com/scan/article/6/2/252/1619382

Kelly Burns, Antoine Bechara (2007)
Decision making and free will: a neuroscience perspective
Behavioral Sciences and the Law
Volume25, Issue2, Special Issue:Free Will, March/April 2007, Pages 263-280
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/bsl.751
„Moreover, there exist conditions, for example certain types of brain injury or drug addiction, in which an individual can be said to have a disorder of the will.“

Thomas Fuchs (2009)
Das Gehirn als Beziehungsorgan
Eine ökologische Sicht von Neurobiologie und Psychotherapie
Ärztliche Psychotherapie, November 2009, 4. Jahrgang, Heft 4, pp 217-222
https://elibrary.klett-cotta.de/article/99.120110/aep-4-4-217

Kurt Lewin
Vorsatz, Wille und Bedürfnis
In: Psychologische Forschung 7 (1926), S. 294–385
Bern/Stuttgart 1969

Schreibe einen Kommentar