78 Wie werde ich Psychoanalytiker*in? Heilen durch Verstehen

„Also Du hast den Patienten verstanden. Und was machst Du dann, damit Du ihm hilfst?“, werde ich manchmal gefragt. „Da hat der Analytiker mich verstanden und ich habe mich allein dadurch um Längen besser gefühlt. Ich habe das Gefühl, es hat sich wirklich etwas verändert“, erzählt eine Patientin. „Und dann?“, fragt die Freundin. „Nichts ‚und dann‘ – das hat gereicht“, sagt die Patientin. Tatsächlich geraten Patienten und Analytiker manchmal in Erklärungsnot, wenn es an dieser Stelle um die Wirkung der Psychoanalyse geht. Es müsse doch etwas folgen, man müsse doch etwas machen, so der Gedanke. Doch man darf gelassen bleiben.

Die intersubjektive Psychoanalytikerin Donna Orange schreibt in ihrem Buch „The Suffering Stranger“, dass „Verstehen“ eine Technik ist. Man brauche einen Sinn dafür, dass Verstehen eine Anwendung und dass es im weitesten Sinne heilsam ist („understanding is application [i.e. … understanding in the rich sense is curative]“ S. 26).

Verstehen ist oft mühsam

„Verstehen“ heißt manchmal einfach Da-sein, Zuhören und dabei träumen. Oft haben wir die Vorstellung, dass psychische Veränderung doch anstrengend sein müsse, dass man da Verrenkungen machen müsse und es sich nicht bequem machen dürfe. Doch manchmal bedarf es keiner Mühe, keiner bewussten Anstrengung, sondern das Verstehen kommt im Analytiker wie im Traume. Manchmal wiederum kann Verstehen schon harte Arbeit sein („understanding requires hard effort“, schreibt Donna Orange). Und: „understanding is a difficult practice“, Verstehen ist eine schwierige Technik. All unser Verstehen kann immer nur bruchstückhaft und fehlerhaft sein („all our understanding is partial and fallible“).

Verstehen in der Philosophie

Donna Orange schreibt, wie die Philosophen Hans Georg Gadamer (1900-2002) und Friedrich Schleiermacher (1768-1834) das Verstehen verstanden.

Orange schreibt: „A Schleiermachian sensibility can also keep us focused on the psychoanalytic project of healing through understanding, if that is how we understand our work, as many of us do.“

Eine Schleiermachersche Sensibilität kann uns helfen, das psychoanalytische Projekt ‚Heilen durch Verstehen‘ zu kultivieren, wenn es das ist, wie wir unsere Arbeit verstehen, wie es viele von uns tun.“

Immer wieder sage Schleiermacher, dass Verstehen nichts Mechanisches sei, denn es könne dafür keine Regeln geben. Verstehen sei eher eine Kunst: „Again and again he said that understanding is not something mechanical, because no rules can be given for it, but more like an art.“ (S. 10)

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Buchtipp:

Donna M. Orange:
The suffering stranger –
Hermeneutics for everyday clinical practice

2011 Routledge, Taylor and Francis Group
https://www.taylorfrancis.com/books/e/9781135184124

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 31.5.2018
Aktualisiert am 28.7.2024

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