Berührung – ein schwieriges Thema bei erwachsenen Kindern von alkoholkranken Eltern
Wenn Du bei alkoholkranken Eltern aufgewachsen bist, hast Du vielleicht recht oft erlebt, wie Du in unangenehmer Weise berührt wurdest. Da rutschte mal eine Hand aus, da kam ein Tätscheln wie aus Versehen, da wurde es schmierig und wabernd. Der betrunkene Elternteil hatte seine Bewegungen nicht mehr unter Kontrolle. Du fühltest Dich vielleicht abgestoßen, befremdet, vielleicht auch irgendwie negativ-fasziniert vom Unbegreiflichen. Die Berührung hatte vielleicht auch einen sexuellen Touch mit all der Verwirrung. Du wolltest diese Berührung nicht haben – Du schämtest Dich vielleicht, es hat Dich geängstigt und Du hast Dich geekelt, aber vielleicht auch selbst ekelig gefühlt. Du konntest nicht einordnen, was Du da mit der betrunkenen Mutter/mit dem betrunkenen Vater erlebt hast.
Jetzt bist Du vielleicht erwachsen und es fällt Dir mitunter schwer, Dich körperlich und emotional wirklich berühren zu lassen. Jede Berührung erscheint wie ein Gift, das unangenehme Gefühle und – teils unbewusste – Erinnerungen auslöst. Vielleicht tust Du Dich schwer damit, den „richtigen“ Partner zu finden. Wenn Du Dich bewegst, merkst Du vielleicht, wie Du an anderen vorbeihuscht, um nur ja keine versehentliche Berührung abzubekommen. Du gibst Dich vielleicht zugeknöpft und stocksteif. Der Kontakt zu Mitmenschen oder potenziellen Partnern wirkt verkrampft. Vielleicht leidest Du sogar unter einer dauerhaften Partner- oder/und Familienlosigkeit.
Wiederbelebung
In einer Psychoanalyse lassen sich die alten Gefühle nochmal durchleben. Du lauscht vielleicht ganz genau, wie sich Dein Analytiker bewegt und wie er atmet. „Ist der Analytiker hinter mir noch nüchtern oder schon im Suff eingeschlafen?“, lautet die bange, oft unbewusste Frage. Bei der Begrüßung und beim Hineingehen in den Praxisraum werden vielleicht alte Gefühle geweckt: Man huscht ängstlich am Analytiker vorbei. Mit einem strammen, zielgerichteten Schritt wanderst Du vielleicht zur Couch. Bloß nicht reizen, nichts erwecken, nicht verführen, nicht zur Berührung animieren. Es muss und soll tot bleiben zwischen Dir und dem anderen, es darf vor allen Dingen nicht zur Erregung, nicht zu unkontrollierten Bewegungen und Äußerungen kommen.
Jede Berührung löst ein Gefühlschaos, eine Verwirrung aus. Du spürst vielleicht, dass etwas nicht stimmt, dass Du „steifer“ bist als andere, aber Du kannst es nicht fassen.
Das Leben ist verkrampft
Um aus dieser Verkrampfung herauszukommen, ist dieser Weg möglich: Genau spüren, was da ist, die eigene Körperhaltung und Verkrampfung wahrnehmen, vielleicht die Phantasien bemerken, die Du hast und mit dem Therapeuten/Analytiker darüber sprechen. So kann es möglich werden, die innere Gespensterwelt genau wahrzunehmen und den Unterschied zur heutigen Außenwelt zu erkennen. Allerdings verlieben sich Kinder alkoholkranker Eltern nicht selten wieder in alkoholkranke Partner, sodass die neue der alten Welt sehr ähnelt. Hier ist es wichtig, wachsam zu bleiben und zu verstehen.
Es bleibt – dann kann es anders werden. Der größte Wunsch ist es vielleicht, dass doch noch irgendwie alles gut werden möge. Am Ziel sind wir aber erst, wenn wir begreifen, dass es in unserer inneren Welt auf gewisse Weise nicht gut wird. Es kann jedoch eingebettet werden von etwas Besserem und dadurch an Wirkungsmacht verlieren. Die Vergangenheit in all ihrer Problematik anzuerkennen und ihr einen Platz zu geben, ermöglicht es, das Hier und Jetzt neu zu gestalten und realistischer wahrzunehmen, sodass das krampfhafte Verhalten irgendwann nach und nach gelöst werden kann.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 25.5.2018
Aktualisiert am 7.3.2024