Enttäuschung – wie damit klar kommen?

Enttäuschung ist ein Herz-erdrückenes Gefühl. Man mag den anderen nicht mehr. Er fällt hinten rüber. Das, was man für wahr hielt, ist (nicht mehr) wahr. Vielleicht war es einmal wahr – für uns und für den anderen. Bei einer Enttäuschung hat sich etwas massiv verändert. Wir können etwas nicht mehr rückgängig machen. Wir haben uns im anderen – oder in uns selbst – getäuscht. Bei einer Enttäuschung tut sich ein Unterschied auf: zwischen jetzt und gleich, vorher und nachher, Vergangenheit und Zukunft, gedachtem und wahrem Zustand, vorhandenem und verlorenen Liebes- und Lebensgefühl. „So kann ich Dich nicht mehr lieben“, sagen wir. Wir wünschten, es könnte wieder werden wie früher und wünschen es doch nicht. Wir zerren am anderen herum, damit er wieder in den Rahmen passt, dem wir ihm gebastelt haben. Vielleicht passte er einmal dort hinein, aber er hat sich heraus bewegt. Vielleicht, weil es ihm zu eng wurde? Eine Enttäuschung bedeutet immer auch psychische Trennung. Gleichzeitig bedeutet Enttäuschung auch Wachstum.

Da steh‘ ich nun mit diesem neuen Wissen, dieser neuen Erkenntnis, dieser Enthüllung, Erfahrung, Entschleierung. Auf was kann ich mich jetzt noch verlassen? Konnte ich mich auf das verlassen, was ich früher fühlte? Kann ich mich auf das verlassen, was ich jetzt fühle und denke? Die ganze Welt scheint unberechenbar geworden zu sein. „Dis-appointment“ heißt es auf Englisch: Der Punkt wurde nicht getroffen, das Treffen, die Begegnung, die Erfüllung kam nicht zustande.

Härte folgt

Manche Menschen gehen knallhart mit Enttäuschungen um: „Du hast für immer bei mir verspielt“, sagen sie. Doch Enttäuschung gehört zu jeder Beziehung dazu. „Aber doch nicht in dem Ausmaß!“, möchten wir ausrufen. Das Ausmaß der Enttäuschung wird bestimmt von dem Ausmaß, in dem wir uns vorher getäuscht haben und/oder dem Ausmaß, in dem sich der andere und ich uns entwickelt haben. Menschen sind und fühlen „unberechenbar“ – wir wissen nie, was wir erleben werden, was uns umtreibt, wie wir auf das ein oder andere reagieren. „Das Spiel der Wolken wird sich nie berechnen lassen“, sagen Wissenschaftler. Und das ist gut so – eine Befreiung.

Lebendiges Warten. Wie tief uns eine Enttäuschung trifft und zu welchen Konsequenzen sie uns veranlasst, ist bei jeder Enttäuschung einzigartig. „Ich rechne immer mit Enttäuschungen bei Dir!“, bekommen wir zu hören. Das macht uns traurig und wütend. Sätze wie „Du warst nicht ehrlich“, „Ich vertraue Dir nicht (mehr)“, „Ich kann mich auf Dich nicht (mehr) verlassen“ kränken zutiefst.

Wer sich selbst gut kennenlernt, der weiß, wie leicht Enttäuschungen zustande kommen – insbesondere dann, wenn wir uns selbst etwas vormachen. Das Leben mit Enttäuschungen fällt uns viel leichter, wenn wir begreifen, dass sie dazugehören. Sie waren nicht eingeladen und sind auch nicht willkommen und dennoch können wir ihnen eine Chance geben.“Du wirst mich eh wieder enttäuschen!“, klagen wir an. Wir sagen das aus Wut, aus Angst vor weiteren Schmerzen und aus Hilflosigkeit. Wir wollen den anderen warnen, dass er uns nicht wieder enttäuschen soll.

Wohl niemand wünscht sich Enttäuschungen. Doch sie sind unvermeidlich und gehören zum Lernen wie das „Conceptual Change“. Dass die Erde keine Scheibe ist, ist eine riesige Enttäuschung, wenn man das immer glaubte – mehr noch: Es ist eine psychische Katastrophe.

Enttäuschung ist Angst vor der Zukunft

Eine Enttäuschung weckt die Angst, mit der neuen Erkenntnis nicht mehr leben zu können, sich nicht anpassen zu können, sich nicht darauf einrichten zu können. Der neue Unterschied scheint inkompatibel mit unserer Innenwelt zu sein. Und so befürchten wir, etwas Vertrautes verloren zu haben und nackt da zu stehen, ohne Halt. Wir fürchten um unser verloren gegangenes Liebes- und Lebensgefühl und trauern um die zerbrochene innere Sicherheit.

Wir können uns jetzt Zeit lassen. Enttäuschungen müssen erst einmal begossen werden wie eine Pflanze. Wir müssen erst einmal schauen, was da eigentlich Neues entsteht oder wie die neue Leere sich anfühlt. Wir müssen nicht sofort reagieren, den Partner, die Arbeitsstelle, den Urlaubsort verlassen. Wir können uns zurecht-ruckeln und neugierig sein auf die neue Welt, sobald wir uns wieder etwas sicherer fühlen. Zu viele Veränderungen auf einmal würden uns jetzt zu sehr erschüttern. .

Mitleid

Wenn Du es schaffst, ist es gut, Deine Reaktion nicht als Rache oder Waffe einzusetzen: „Ich brauche Zeit“, sagen wir und meinen es ehrlich. Oder wir lassen mit dieser Aussage den anderen über die Maßen und mit Absicht zappeln, damit der sich auch ja schlecht fühlt. Damit ist jedoch niemandem gedient. Der, der enttäuscht wurde, spürt einen tiefen Schmerz – doch auch der, der enttäuschen musste, hat Schmerzen und oft Schuldgefühle. Vielleicht hat er diese schon lange mit sich herumgetragen. Es ist gut, wenn wir dann echtes Mitgefühl mit uns selbst haben – und mit dem anderen auch. Der Drang, etwas wiedergutzumachen, steckt wohl in jedem Menschen. Darauf können wir vertrauen.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 29.5.2017
Aktualisiert am 1.7.2024

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