Psychoanalyse, Telepathie und das ozeanische Gefühl

Wohl die meisten Menschen haben in ihrem Leben schon Erfahrungen gemacht, von denen sie sagen: „Das muss Telepathie (Gedankenübertragung, Mitfühlen über die Ferne) gewesen sein.“ Bei telepathischen Erlebnissen stellen sich häufig die Haare zu Berge und man fragt sich: Was, wenn es Telepathie wirklich gibt? Dann kann man doch auch Böses damit anstellen, oder? Gerade in der Psychoanalyse, in der es um die Kommunikation von „Unbewusst zu Unbewusst“ geht und eine große emotionale Nähe entstehen kann, kommen telepathisch anmutende Ereignisse häufig vor. Auch Sigmund Freud machte sich darüber Gedanken.

„Es wäre so schön, wenn wir in der Gesellschaft eine Art ‚Coming Out‘ hätten, was Telepathie betrifft. Es wäre so schön, wenn auch Wissenschaftler zugeben würden: Ja, ich kenne das.“ So ähnlich formuliert es der Forscher Rupert Sheldrake in dem Youtube-Video „Beyond the Limits of the Ordinary“, 5.8.2019, youtu.be/V21dVAmI3Bc

Erklärungsversuche

„Gruselig – das ist ja wie Gedankenübertragung!“, sagt eine Psychoanalyse-Patientin auf der Couch. Aus Sicht des Psychoanalytikers, der hinter der Couch sitzt, war es keine Gedankenübertragung, denn das, was die Patientin vorher erzählte, führte ihn automatisch zu dem Gedanken, den er dann laut äußerte. Häufig baut sich ein Bild auf und wenn der Analytiker seine Deutung gibt, sagt der Patient: „Das dachte ich auch gerade.“ Wenn man die Dialoge zwischen Analytiker und Patient genau verfolgt, wird oft logisch, wie das gemeinsame Denken zustande kam. Wenn jemand sagt: „Da steht was mit einem Dach auf der Wiese“, dann denken wohl die meisten an ein Haus, eine Hütte oder einen Stall. Hier werden innere Bilder vervollständigt.

Dann aber gibt es die Begebenheiten, die nicht so gut erklärbar sind: Paare träumen vielleicht sehr Ähnliches. Die Frau spürt, dass ihr Mann in der Ferne verunfallt. Zwei Patienten träumen fast dasselbe oder ein Patient träumt von einem aktuellen Ereignis aus dem Leben des Analytikers.

Spätestens dann, wenn wir selbst Telepathisches erleben, bekommen wir es mit der Angst zu tun. Nun suchen wir vielleicht Halt bei Menschen, die nicht an Telepathie glauben. Bei der Telepathie scheinen für einige Momente die Grenzen zwischen zwei Menschen aufgehoben zu sein. Das kann zu einem Gefühl der Schutzlosigkeit führen. Zunächst fürchtet man sich vielleicht nicht – doch die Angst tritt oft in dem Moment auf, in dem einem bewusst wird, was passiert ist. Möglicherweise sind solche Gefühle konträr zu dem häufig als positiv beschriebenem Gefühl des „Ozeanischen Gefühls“, mit dem sich Sigmund Freud auseinandersetzte:

„Einer dieser ausgezeichneten Männer nennt sich in Briefen meinen Freund. … (Er) bedauerte aber, dass ich die eigentliche Quelle der Religiosität nicht gewürdigt hätte. Diese sei ein besonderes Gefühl, das ihn selbst nie zu verlassen pflege … Ein Gefühl, das er die Empfindung der ‚Ewigkeit‘ nennen möchte, ein Gefühl wie von etwas Unbegrenztem, Schrankenlosem, gleichsam ‚Ozeanischem‘. Dies Gefühl sei eine rein subjektive Tatsache, kein Glaubenssatz; … es sei die Quelle der religiösen Energie … Nur auf Grund dieses ozeanischen Gefühls dürfe man sich religiös heißen, auch wenn man jeden Glauben und jede Illusion ablehne. … Seit dem Erscheinen der beiden Bücher ‚La vie de Ramakrishna‘ (Anmerkung Voos: Romain Rolland, amazon) und ‚La vie de Vivekananda‘ (1930) (Voos: amazon) brauche ich nicht mehr zu verbergen, dass der im Text gemeinte Freund Romain Rolland (1866-1944, Wikipedia) ist. Ich selbst kann dies ‚ozeanische‘ Gefühl nicht in mir entdecken. Es ist nicht bequem, Gefühle wissenschaftlich zu bearbeiten. Man kann versuchen, ihre physiologischen Anzeichen zu beschreiben. Wo dies nicht angeht – ich fürchte, auch das ozeanische Gefühl wird sich einer solchen Charakteristik entziehen –, bleibt doch nichts übrig, als sich an den Vorstellungsinhalt zu halten, der sich assoziativ am ehesten zum Gefühl gesellt.“ (Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, 1930, Projekt Gutenberg).

Psychoanalytiker erforschen die Telepathie

Der Psychoanalytiker Wolfgang Leuschner schreibt in seinem Buch „Telepathie und das Vorbewusste“ (Sigmund-Freud-Institut 2004, amazon): „Gerade bei jenen Menschen, die die Existenz der Telepathie vehement ablehnen, ist immer wieder zu beobachten, wie hinter der entschlossenen und klaren Zurückweisung, die sich auf Rationalität beruft, heftige Ängste und schließlich dunkle Sympathien auftauchen“ (S. 9).

Wolfgang Leuschner hat am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt zur Telepathie geforscht und Experimente durchgeführt, die telepathische Ereignisse zwischen einem Sender und einem Empfänger nachweisen konnten („Telepathie, so zeigen die hier vorgelegten Daten, ist mit verschiedenen Erfassungsmethoden tatsächlich nachweisbar“ S. 13).

In seinem Buch zeigt Wolfgang Leuschner Zeichnungen, die „Empfänger“ im Keller des Forschungsinstituts angefertigt haben, nachdem ihnen Bilder von „Sendern“ aus dem ersten Stock gedanklich übermittelt wurden. Die Zeichnungen und Versuchsergebnisse sind denen sehr ähnlich, die auch der Parapsychologe Walter von Lucadou in seinem Vortrag „Die Reichweite des menschlichen Geistes“ (Youtube ab Min. 20.32) vorstellt und erklärt.

Wolfgang Leuschner weist auf Beiträge Sigmund Freuds hin, die sich mit der Telepathie und dem Okkultismus beschäftigen (1922a, 1933a, 32 ff., 1941d) (S. 12). Leuschner schreibt: „Freud war spätestens seit seiner Berührung mit dem Hypnotismus Bernheims (Anmerkung: Hippolyte Bernheim, 1840-1919, Ärzteblatt) von okkulten Phänomenen geradezu angezogen und war, wie … viele Berichte und Darstellungen über ihn deutlich machen, von der Existenz des Telepathischen überzeugt.“

Sigmund Freud schreibt aber auch: „Aber ich habe nie einen ‚telepathischen Traum‘ gehabt.“
(Traum und Telepathie, 1922) Und: „Bedeutsamer erscheint mir allerdings eine andere Tatsache, daß ich nämlich während meiner ungefähr siebenundzwanzigjährigen Tätigkeit als Analytiker niemals in die Lage gekommen bin, bei einem meiner Patienten einen richtigen telepathischen Traum mitzuerleben.“
Sigmund Freud: Traum und Telepathie (1922)
https://www.gutenberg.org/files/31560/31560-h/31560-h.htm

Die Psychoanalytikerin Marsha Aileen Hewitt beschreibt in ihrem Video „Fluid Subjectivities“ (Youtube), wie sie erlebt, dass eine Patientin ihr einen Traum erzählt, in dem sie von einer Konferenz geträumt hat, die Marsha Hewitt besucht hatte. Die Psychoanalytikerin sagt, dass die Telepathie eine gesonderte Form des Denkens ist, die wissenschaftlich noch nicht erklärbar sei.

Sigmund Freud schreibt in seiner 30. Vorlesung (Traum und Okkultismus; 1928-1933):
„Der telepathische Vorgang soll ja darin bestehen, dass ein seelischer Akt der einen Person den nämlichen seelischen Akt bei einer anderen Person anregt. Was zwischen den beiden seelischen Akten liegt, kann leicht ein physikalischer Vorgang sein, in den sich das Psychische an einem Ende umsetzt und der sich am anderen Ende wieder in das gleiche Psychische umsetzt. Die Analogie mit anderen Umsetzungen wie beim Sprechen und Hören am Telephon wäre dann unverkennbar.“ (Gesammelte Werke, Band 15) (Anmerkung Voos: Ich denke, dass die erlebte „Gleichzeitigkeit“ auch noch durch andere Bilder erklärt werden müsste. Über die Gleichzeitigkeit spricht auch der Physiker und Psychologe Walter von Lucadou in seinen Vorträgen.)

Sigmund Freud, GW, Bd 15: Traum und Okkultismus (1928-1933): „Ihnen wäre es gewiß lieber, ich … zeigte mich unerbittlich in der Ablehnung alles Okkulten. Aber … ich muß Ihnen nahelegen, über die objektive Möglichkeit der Gedankenübertragung und damit auch der Telepathie freundlicher zu denken.“ … „ich meine, es zeugt von keiner großen Zuversicht zur Wissenschaft, wenn man ihr nicht zutraut, daß sie auch aufnehmen und verarbeiten kann, was sich etwa an den okkulten Behauptungen als wahr herausstellt.“ … … „Ich möchte sagen, durch die Einschiebung des Unbewußten zwischen das Physikalische und das bis dahin „psychisch“ Genannte hat uns die Psychoanalyse für die Annahme solcher Vorgänge wie die Telepathie vorbereitet. Gewöhnt man sich erst an die Vorstellung der Telepathie, so kann man mit ihr viel ausrichten, allerdings vorläufig nur in der Phantasie. Man weiß bekanntlich nicht, wie der Gesamtwille in den großen Insektenstaaten zustande kommt. Möglicherweise geschieht es auf dem Wege solch direkter psychischer Übertragung.“ …
„Wenn es eine Telepathie als realen Vorgang gibt, so kann man trotz ihrer schweren Erweisbarkeit vermuten, daß sie ein recht häufiges Phänomen ist. Es würde unseren Erwartungen entsprechen, wenn wir sie gerade im Seelenleben des Kindes aufzeigen könnten. Man wird da an die häufige Angstvorstellung der Kinder erinnert, daß die Eltern alle ihre Gedanken kennen, ohne daß sie sie ihnen mitgeteilt hätten,“ … „Sie wissen, Telepathie nennen wir die angebliche Tatsache, daß ein Ereignis, welches zu einer bestimmten Zeit vorfällt, etwa gleichzeitig einer räumlich entfernten Person zum Bewußtsein kommt, ohne daß die uns bekannten Wege der Mitteilung dabei in Betracht kämen. Stillschweigende Voraussetzung ist, daß dies Ereignis eine Person betrifft, an welcher die andere, der Empfänger der Nachricht, ein starkes emotionelles Interesse hat.“ …
„Da ist z. B. das Phänomen der Induktion oder Gedankenübertragung, das der Telepathie sehr nahe steht, eigentlich ohne viel Zwang mit ihr vereinigt, werden kann. Es besagt, daß seelische Vorgänge in einer Person, Vorstellungen, Erregungszustände, Willensimpulse sich durch den freien Raum auf eine andere Person übertragen können, ohne die bekannten Wege der Mitteilung durch Worte und Zeichen zu gebrauchen. Sie verstehen, wie merkwürdig, vielleicht auch praktisch bedeutsam es wäre, wenn dergleichen wirklich vorkäme. Nebenbei gesagt, es ist verwunderlich, daß gerade von diesem Phänomen in den alten Wunderberichten am wenigsten die Rede ist.“

Die Angst vor der Telepathie

Viele Menschen haben Angst vor der Telepathie. Menschen in psychosenaher Angst haben das Gefühl, andere könnten ihre Gedanken lesen oder mit ihrem Unbewussten aggressiv in sie eindringen. Telepathie hängt auch mit der Vorstellung zusammen, man könnte jemand anderem böse Gedanken schicken und ihn damit beeinflussen oder schädigen. Kurzum: Es besteht die Angst, man könnte einander fast physikalisch in der Seele herumwühlen, man könnte etwas mit der Seele des anderen tatsächlich machen (siehe: Über das Gefühl, dass ein anderer in die eigene Seele eindringt.)

Walter von Lucadou erklärt in seinem Video („Über die Reichweite des menschlichen Geistes“), dass man übersinnliche Phänomene zwar erleben, aber nicht bewusst nutzen kann. Leuschner schreibt, dass telepathische Vorgänge ähnlich wie im Traum fragmentarisch sind und mit Phantasien vervollständigt werden. Leuschner: „… so läßt sich auch hier zur allgemeinen Entkräftung von Besorgnissen entgegenen, daß die damit unumgänglich verbundene Verzerrung der vermittelten Inhalte prinzipiell verhindert, daß wir telepathisch ausgekundschaftet, manipuliert oder gar gefährdet werden können“ (S. 96).

Von dem Parapsychologen und Psychoanalytiker Jan Ehrenwald (1900-1988; 1978) stammt der Begriff „Minusfunktion“. Damit beschrieb er, dass sich telepathische Erlebnisse fördern lassen, wenn das Bewusstsein in den Hintergrund tritt. „Alle derartigen Beeinträchtigungen des Bewusstseins fasste Ehrenwald unter dem Begriff „Minusfunktion“ zusammen.“ (Leuschner, S. 17) Ein waches Bewusstsein hingegen kann telepathische Erlebnisse anscheinend nahezu ausschalten.

Der Begriff „Telepathie“ wurde 1822 von Frederic Wilhelm Henry Myers (1843-1901) geprägt.
(Nandor Fodor: Telepathic Dreams, American Imago, Vol. 3 No. 3, August 1942, pp. 61-85, The Johns Hopkins University Press: S. 61)

Wie erleben wir Telepathie?

Freud beschreibt das Empfinden eines Jungen, der eine Handlung ausführte, die zeitlich mit den Gedanken der Mutter zusammenhingen: „… die Handlung hatte sich wie ein Fremdkörper in das Leben des Kindes an jenem Tage eingedrängt.“ Freud (1941d): Psychoanalyse und Telepathie. Manchmal scheint sich telepathisches Erleben jedoch wie eine kurze Traumszene einzufügen – es fühlt sich dann nicht fremd an.

Vor der Telepathie fürchten sich besonders psychisch geschwächte Menschen, die vielleicht Eltern hatten, die ihnen immer sagten, sie seien für sie „wie aus Glas“. Es sind Menschen mit wenig Rückhalt und einem geschwächten Ich, denen der Gedanke an die Telepathie besonders große Angst macht. Sie fühlen sich oft „bröckelig“ und „dünnhäutig“ und sie litten relativ oft unter einer emotional übergriffigen Mutter bei gleichzeitiger Abwesenheit des Vaters. Es ist, als fehlte diesen Menschen ein schützender Mantel.

Der Psychoanalytiker Michael Balint beschreibt anschaulich, wie „Telepathie“ in dem Moment auftrat, als die Beziehung zwischen Patient und Analyitker besonders angespannt war: „The patient in his helpless dependence reacted to this by renewed efforts to win the analyst’s full attention, and in this very tense situation, bordering on despair, apparently telepathic and clairvoyant phenomena occurred.“ | „Der Patient in seiner hilflosen Abhängigkeit reagierte mit immer neuen Anstrengungen, um die Aufmerksamkeit des Analytikers zu gewinnen. Und in dieser sehr angespannten Situation, nahe der Verzweiflung, geschahen telelapthische und hellseherische Phänomene.“ (Michael Balint 1955: Notes on Parapsychology and Parapsychological Healing. Siehe unten.)

Auch in meinem Blogbeitrag „Beängstigende Telepathie: Das Nicht-Verstandenwerden ist das Problem“ schreibe ich darüber, wie als telepathische Ereignisse dann auftreten, wenn es an verstehender Bindung fehlt. Vielleicht hängen deswegen die Themen Angst, Psychose und Telepathie so eng zusammen.

Können Gefühle der Verlassenheit zur telepathischem Erleben führen?

Der Psychoanalytiker Michael Balint (1896-1970) sieht telepathische Phänomene im Zusammenhang mit einer problematischen Beziehung wie sie zum Beispiel in der Psychoanalyse auftauchen kann. Er beschreibt in seinem Beitrag „Notizen zur Parapsychologie“, dass ein Patient telepathische Fähigkeiten entwickelte in einer Phase, in der sich der Patient von ihm als Analytiker verlassen fühlte:

„Not every patient is capable of producing so wholesome a shock for his analyst, but in my experience those who are able to do so resort to this method only in these almost desperate dependent situations.“
„Nicht jeder Patient ist in der Lage, für seinen Psychoanalytiker einen solchen Schock (Anmerkung: durch telepathische Phänomene) zu produzieren. Aber meiner Erfahrung nach greifen die Patienten nur in Situationen der verzweifelten Abhängigkeit darauf zurück.“

„Since I have become aware of these dynamic connections I have not met any more telepathic phenomena in my practice.“ | „Nachdem mir diese Dynamik klar wurde, habe ich in meiner Praxis keine telepathsichen Phänomene mehr beobachten können.“

„For some time I prided myself that my technique had become more sensitive, and that I was able to spare my patients unnecessary suffering by understanding them before they were forced to resort to such a desperate means of communication as telepathy.“
„Eine Zeitlang rühmte ich mich damit, dass ich eine einfühlsamere Technik entwickelt hatte, sodass ich meinen Patienten dieses unnötige Leid ersparen konnte. Ich zeigte ihnen, dass ich sie verstand, noch bevor sie dazu gezwungen waren auf so verzweifelte Kommunikations-Mittel wie Telepathie zurückzugreifen.“

„Recently, however, I have gradually become aware of another possible aspect of this problem. I now ask myself: Is it advisable to intervene early enough and, so to speak, to overprotect one’s patient by timely interpretations? Or would it be a better technique, in the sense of one producing more fundamental and lasting results, to tolerate the patient’s getting into this situation of very high tensions and to enable him to learn to cope with these high tensions also? I have no answer to this question, and must content myself with simply stating it.“
„Seit kurzem aber frage ich mich: Ist es ratsam, meinen Patienten durch zeitnahe Deutungen so voreilig zu schützen (zu overprotekten)? Oder könnte es eine bessere Technik geben, sodass der Patient fundamentale und dauerhaft anhaltende Ergebnisse erzielt? Indem ich es toleriere, dass der Patient in eine hochangespannte Situation gerät und ich ihn dadurch befähige, mit diesen hohen Spannungen zurechtzukommen? Ich habe bisher keine Antwort auf diese Frage gefunden.“ Michael Balint: Notes on Parapsychology and Parapsychological Healing, pep-web.org

„Telepathie“ kommt hauptsächlich zwischen sehr vertrauten Menschen zustande.
(Rupert Sheldrake, Youtube)

Die Sinne außer Gefecht

Telepathische Erfahrungen macht man gerne in einem Zustand, in dem die Sinne geschwächt sind: wenn man schläfrig, ausgehungert, übermüdet, überreizt oder fiebrig ist. Menschen mit einer Angststörung fühlen sich häufig der Psychose nah, wenn sie insgesamt geschwächt sind. Sie haben das Gefühl, nicht mehr Herr über sich selbst zu sein und kommen sich leicht gesteuert vor.

Sie fühlen sich, als ob da jemand von außen etwas mit ihnen macht. Die Beziehung zur Mutter war vielleicht so eng, dass eine Abgrenzung nicht stattfinden konnte und so „Innen und Außen“ nicht klar unterschieden werden können. Kleine Kinder nehmen in ihrer Entwicklung eigene Gedanken als etwas von außen Kommendes wahr.

Vielen Patienten mit einer schweren psychischen Störung geht es besser, wenn sie zum Beispiel in der Psychoanalyse die Erfahrung einer guten, haltgebenden Beziehung machen. Es geht ihnen auch oft besser, wenn sie den Kontakt zu nahen Verwandten abbrechen, bei denen sie oft das Gefühl haben, dass diese Verwandten sie verrückt machen könnten.

Schon allein der Gedanke an Telepathie kann bei vielen Panikattacken auslösen. Eine Gänsehaut entsteht, alles fühlt sich schwebend an, die Hautleitfähigkeit bei der Panikattacke ist erhöht (Lader & Mathews, 1970). Der Schutz durch eine sichere Bindung fehlt. Der Aufbau einer sicheren Bindung hilft. Sie wird oft wie ein schützender Mantel empfunden oder wie eine Heilung der eigenen Haut.

Was Angst macht, ist das Gefühl, dass eine Grenze fehlt. Daher stärkt alles, was das „Grenzgefühl“ stärkt: sich behaupten, Wut spüren, heiß oder kalt duschen, Sport treiben, heiße oder kalte Getränke trinken, starke Düfte riechen etc. Alles Körperlich-Sinnliche kann von den Angstgefühlen, die bei den Gedanken an die Telepathie entstehen, wieder wegführen. Allerdings nicht immer: Viele Angstpatienten leiden selbst beim Joggen und Schwimmen unter Angst. Hier stehen noch viele Fragen offen.

Der Körper spielt eine Rolle

Der Forscher Rupert Sheldrake betont die biologischen Prozesse, die mit der Telepathie zusammenhängen. Zum Beispiel erwähnt er die stillende Mutter, die von zu Hause weg ist und deren Milch einschießt, sobald das Kind in der Ferne tatsächlich vor Hunger nach ihr ruft – auch unabhängig von gewohnten Zeiten. Zuerst sei der Milcheinschuss da und dann der Gedanke an das Baby, so Sheldrake. Es sei nicht so, dass die Mutter denkt, das Baby könnte Hunger haben und ihr daraufhin die Milch einschießt. Der biologische Aspekt spielt bei der Telepathie anscheinend eine große Rolle. (https://www.youtube.com/watch?v=V21dVAmI3Bc)

Wer nicht an Telepathie glaubt, der hat wahrscheinlich keine Katze, sagt Rupert Sheldrake. Wenn ein Tierarztbesuch ansteht, ist die Katze sofort unterm Bett, sobald man das Zimmer betritt.

Ein schönes Erklärvideo zum Thema „Psychoanalyse und Telepathie“ findet sich bei Dr. Heath: Telepathy, the Occult, and Freud’s Psychoanalysis https://youtu.be/Dv0ppMzc_jc

Die Telepathieforschung hat es nicht leicht. Wolfgang Leuschner schreibt: „Die Geschichte der Telepathieforschung … zeigt, dass die Vernachlässigung dieses Themas Gründe hat, nämlich, dass die Nichtbeschäftigung Resultat eines hochbesetzten Widerstands ist, der sich als kulturelle Forderung manifestiert“ (S. 8). Leuschner schrieb sein Buch bereits im Jahr 2004. Erst jetzt, 2022, erfuhr ich davon. Vielleicht zeigt dies, wie langsam es in der Wissenschaft hier vorwärts geht, dabei ist die Telepathie für Psychoanalytiker wohl ein ganz besonders interessantes Feld.

Literatur von Sigmund Freud:

Sigmund Freud: 30. Vorlesung:
Traum und Okkultismus (1933)
http://archiv.abcphil.de/html/traum_und_okkultismus.html
„Zugegeben, daß die Annahme der Telepathie die bei weitem einfachste Erklärung gibt, aber damit ist nicht viel gewonnen. Die einfachste Erklärung ist nicht immer die richtige, die Wahrheit ist sehr oft nicht einfach, und ehe man sich zu einer so weittragenden Annahme entschließt, will man alle Vorsichten eingehalten haben.“ (Vergleiche von Lucadou, der den Theologieprofessor Klaus Berger zitiert: „Der Teufel ist eine verführerische Intelligenz, die das Naheliegende propagiert.“ Video Walter von Lucadou, Youtube, Minute 12.06)


Sigmund Freud: „Ich will Ihre Erwartung auch gleich weiter einschränken, indem ich Ihnen sage, daß der Traum im Grunde wenig mit der Telepathie zu tun hat. Weder wirft die Telepathie ein neues Licht auf das Wesen des Traums, noch legt der Traum ein direktes Zeugnis für die Realität der Telepathie ab. Das telepathische Phänomen ist auch gar nicht an den Traum gebunden, es kann sich auch während des Wachzustands ereignen. Der einzige Grund, die Beziehung zwischen Traum und Telepathie zu erörtern, liegt darin, daß der Schlafzustand zur Aufnahme der telepathischen Botschaft besonders geeignet erscheint. Man erhält dann einen sogenannt telepathischen Traum und überzeugt sich bei dessen Analyse, daß die telepathische Nachricht dieselbe Rolle gespielt hat wie ein anderer Tagesrest und wie ein solcher von der Traumarbeit verändert und ihrer Tendenz dienstbar gemacht worden ist.“
http://archiv.abcphil.de/html/traum_und_okkultismus.html

Sigmund Freud:
Psychoanalyse und Telepathie (Manuskriptfassung 1921)
Beilage zu LUZIFER-AMOR 63 (2019/1)
PDF

Sigmund Freud:
Traum und Telepathie (1922)
Vortrag in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung
Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften VIII (1922). S. 1–22
https://www.gutenberg.org/files/31560/31560-h/31560-h.htm
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Verwandte Artikel in diesem Blog:

Weitere Links:

Marsha Aileen Hewitt
Fluid Subjectivities, Extended Minds: Unconscious Communication, Psychoanalysis, and Religion
Altered States Conference – June 21-23, 2019
https://youtu.be/HPkNnFXzr3k

Luzifer-Amor, Ausgabe 63:
Themenschwerpunkt: „Psychoanalyse und Telepathie“
Die drei Patienten in Freuds Vortrag auf der Harzreise 1921
www.luzifer-amor.de/index.php?id=428

Balint, Michael (1955):
Notes on Parapsychology and Parapsychological Healing.
International Journal of Psychoanalysis. XXXVI, 1955, Pp. 31-35
Psychoanalytic Quarterly (1965), 25:442-443
www.pep-web.org/document.php?id=paq.025.0442d

„I think it is fair to say that a number of experienced analysts have met episodes in their practice which have struck them as probable cases of telepathy or extrasensory perception (called E.S.P.)“ (Michael Balint)

Ehrenwald, Jan (1978): The ESP Experience: A psychiatric Validation. New York: Basic Books

Fodor, Nandor: Telepathic Dreams. American Imago, Vol. 3 No. 3, August 1942, pp. 61-85, The Johns Hopkins University Press

Freud, Sigmund 1922a): Traum und Telepathie. GW 13, 165-191

Freud, Sigmund (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, GW 15

Freud, Sigmund (1941d): Psychoanalyse und Telepathie. GW 17, 25-44

Lader, Malcolm and Mathews, Andrew (1970):
Physiological changes during spontaneous panic attacks
University of Oxford, Journal of Psychosomatic Research
December 1970Volume 14, Issue 4, Pages 377-382
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/0022-3999(70)90004-8
www.jpsychores.com/article/0022-3999(70)90004-8/abstract

Stoller, Robert:
On „Telepathic dreams?“: an unpublished paper
J Am Psychoanal Assoc. 2001 Spring; 49(2):629-57
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11508380

Strachey, James (1953):
Psychoanalysis and Telepathy
In: Psychoanalysis and the Occult. New York, International Universities Press, S. 56-68

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 18.8.2016
Aktualisiert am 17.11.2024

3 thoughts on “Psychoanalyse, Telepathie und das ozeanische Gefühl

  1. Dunja Voos sagt:

    Lieber T.,
    mich würde interessieren, was Sie unter „telepathischen gezielten Angriffen“ verstehen. Woran machen Sie fest, dass Sie – wie Sie meinen – telepathisch angegriffen werden? Wie fühlt sich das an? Von welchen Menschen gehen solche Angriffe Ihrer Meinung nach aus?

  2. T. sagt:

    Guten Tag,
    Ich bin Opfer von telepathischen gezielten Angriffen, ich brauche dringend Hilfe und Schutz davor.
    Wer kann mir helfen?
    Danke

  3. Alexander Nacke sagt:

    ich unterhalte mich in Gedanken mit einem Menschen und diese Gedanken werden wahr,
    Gefühle der Person nehme ich wahr.

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