Freuds Traum von Irmas Injektion

Sigmund Freud (1856-1939) träumte den Traum von „Irmas Injektion“ vom 23. auf den 24. Juli 1895 (Projekt Gutenberg: Die Methode der Traumdeutung, Freud 1900). Freud steht im Traum in einer großen Halle mit vielen Gästen, worunter auch seine Patientin Irma war. Er zog sie im Traum zur Seite und tadelte sie, dass sie seine „Lösung“ noch nicht akzeptiert hätte. Freud behandelte Irma im realen Leben wegen ihrer hysterischen Ängste und Schmerzen, konnte ihr aber nicht ausreichend helfen. Im Traum sagt Irma, dass sie große Schmerzen im Rachen, im Magen und im Bauch hätte. Freud fragt sich im Traum, ob er eine körperliche Ursache übersehen hätte. Er zieht Irma im Traum zum Fenster und will ihr tief in den Hals schauen, aber sie sträubt sich – ähnlich wie es Frauen mit einem künstlichen Gebiss tun, so schreibt er.

Nach einer Weile „öffnete sie ihren Mund ordentlich“ und Freud fand im Traum einen weißen Fleck, graue Schuppen sowie Nasenmuschel-artige Strukturen in ihrem Mund (englisch: turbinate bone = Nasenmuschel).

Eine Infektion infolge einer Injektion

Freuds Freund Otto (in Wirklichkeit möglicherweise Oscar Rie*) stand im Traum neben ihm, ebenso sein Freund Leopold, der Irma untersuchte. Er stellte unter anderem Haut-Infiltrationen an der linken Schulter fest. Dr. M. (Josef Breuer*) sagte: „Ohne Zweifel, es ist eine Infektion!“ Es sollte Durchfall hinzukommen, durch den Irma von dem Toxin befreit werden sollte. Freud wurde im Traum klar, dass Irmas Infektion von einer Injektion herrühren musste, die ihr Otto gegeben hatte. Es war eine Propyl-Injektionslösung – im Traum kamen Freud noch die Worte „Propionat“ und „Trimethylamin“ in den Sinn, wobei er die chemische Formel von Trimehtylamin vor seinem geistigen Auge sah. Freud vermutete im Traum, dass die Spritze, die Irma erhalten hatte, verunreinigt war.

Zu diesem Traum gibt es unzählige Deutungen. Freud selbst deutet die Einzelheiten des Traums bis ins Detail. Ein wichtiger Aspekt sei, dass Freud sich schuldig fühle, Irma nicht besser helfen zu können und die Schuld auf seinen Freund Otto abwälzte, so deutet Freud es selbst. Man könnte jedoch auch denken, dass das Schuldgefühl aufgrund der möglichen sexuellen Gefühle und Phantasien entstanden ist. Injektion ist auch ein Bild für die Ejakulation während des Geschlechtsverkehrs. Freud deutet seine Assoziationen zur Sexualität nur an – vielleicht war es ihm zur damaligen Zeit nicht möglich, deutlicher zu werden.

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Links:

*Madelon Sprengnether:
Mouth to Mouth: Freud, Irma, and the Dream of Psychoanalysis
American Imago, Volume 60, Number 3, Fall 2003, pp. 259-284, DOI 10.1353/aim.2003.0020
https://muse.jhu.edu/article/47553
(Irma könnte Emma Eckstein sein – das dachte unter anderem Max Schur, 1966.
Irma könnte aber auch Anna Hammerschlag Lichtheim gewesen sein, so Didier Anzieu, 1959.
1890 wurden Kondome in England eingeführt. 1895 wurden die meisten Kondome immer noch aus Fisch-Blasen gemacht. Proprionsäure konnte als Konservierungsmittel für Kondome genutzt werden.)

Barbara Mautner (1991):
Freud’s Irma Dream: A Psychoanalytic Interpretation
International Journal of Psycho-Analysis, 72: 275-286
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/1874589/

Wolfgang Berner, Gabriele Amelung, Annegret Boll-Klatt, Ulrich Lamparter (Hg.) (2018):
Von Irma zu Amalie
Der Traum und seine psychoanalytische Bedeutung im Wandel der Zeit
Psychosozial, 2018
https://www.psychosozial-verlag.de/catalog/product_info.php/products_id/2834

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 8.5.2016
Aktualisiert am 2.2.2024

One thought on “Freuds Traum von Irmas Injektion

  1. Dr. Manfred Pabst sagt:

    Solche Chiffren, Buchstabenformeln und mathematische Gleichungen stellen eine Verdichtung einer Vielzahl von Erinnerungsassoziationen dar. Zum beispiel spiegelt die mathematische Funktionsgleichung in Barnes „Vom Ende einer Geschichte“ vieldeutige Fragen nach der Schuld und Kausalität der Ereignisse..
    Interessant sit auch der enigmatische Ausdruck p o o r d‘ e l i bei dem französsichen Psychoanlytiker Serge leclaire (der Liebe des Patienten zu einem Mädchen namens Lili, eine Anspielung auf ‚licorne‘ (Einhorn). (Interessant ist auch Schumanns Klavierzyklus Carnaval mit den mysteriösen „Sphinxes“ – eine musikalische Chiffre, wobei die blanken Noten (ohne Metrum und Harmonie), gelesen als A-Es-C-H oder Es-C-H-A) die böhmsiche Stadt Asch, Geburtsort seiner Geliebten Ernestine von Fricken chiffrieren.

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