Sprachbarriere: mit Mitte 50 nach Frankreich zu gehen und Französisch zu lernen, ist nicht so leicht

Es fängt ja schon mit der Tastatur an: AZERTY statt QWERTY macht einen fertig, wenn man gewohnt ist, 10-Finger-blind zu schreiben. Dann immer dieser Drang, etwas sagen zu wollen, aber nicht sagen zu können. Das erste Mal im Leben schaffe ich einen Amts-Termin nicht, weil mit Bus und Uber überfordert bin – ich bin eine „unzuverlässige Ausländerin“, denke ich bei mir und weiss auf einmal, woher solche Vorstellungen kommen. Mein Schulfranzösisch (5 Jahre) hilft mir bedingt. Die Grammatik habe ich dank Schul-Latein drauf, aber ich verstehe nicht, wenn man mich fragt: „Tabitu?“ Klingt Afrikanisch, heisst aber: „Tu habites où?“ (Wo wohnst Du?)

Angefangen mit einer privaten Französischlehrerin online noch in Deutschland, gehe ich jetzt zwei Mal pro Woche in einen Französischkurs vor Ort. Leider habe ich kaum Gelegenheit, sprechen zu üben: mit meinem Partner, meinen Patienten und Freunden spreche ich weiterhin deutsch. Nur junge nuschelnde Kassiererinnen und unser Hausmeister geben mir die Gelegenheit, mein Französisch auszuprobieren.

Ich bin frustriert. Denn jeder Unterricht geht rasch wieder über in Grammatikübungen. Ich brauche jedoch Ansprache. Ich schaue mir „Mimi Soleil“ (Youtube) an, weil ich mich hier nicht überfordert fühle. Ich verstehe mehr und mehr „Caillou“ (Youtube), den ich täglich gesehen habe, als meine Kleine noch klein war. Auch Bluey (www.youtube.com/@BlueyFrancais) hebt meine Stimmung.

Sehnsucht nach dem Einfachen

In Französischkursen sehne ich mich nach Silben-Klatschen, Singen, super einfacher Sprache. Doch wir fangen direkt wieder wie in der Schule bei Erwachsenenthemen an. Ich kann nicht finden, was ich suche. Und fahre fort, mir Videos mit Untertiteln anzuschauen, bei denen ich mich versuche, in die Unmöglichkeiten einzuhören: „Stao bon jour“ = „C’est un bon jour“, „Schui“ = „Je suis“. Den Koch Mory Sakko aus meiner Lieblingssendung „Cuisine ouverte“ (France 3) verstehe ich so gut wie gar nicht.

Ich glaube, mit ein Grund, warum Kinder schneller lernen ist die simple Tatsache, dass sie noch besser hören. Mein Hörvermögen ist altersgerecht, liegt aber natürlicherweise einige Prozenter unter dem Wert junger Menschen. Hier merke ich das täglich sehr deutlich.

Die Umgebung blockiert oder deblockiert

Besonders spannend ist es, zu bemerken, in welcher Umgebung mir das Sprechen leichter oder schwerer fällt. Auch hier spielen Bildung und Sprache eine grosse Rolle: Verstehe ich ein Wort nicht, wiederholen es Menschen mehrmals einfach immer lauter, wenn sie selbst einen geringen Wortschatz haben. Hingegen bieten mir Menschen mit einem höheren Bildungsgrad auch gleich mehrere Wort-Alternativen an – und sie containen besser, sie hören besser zu. Hier merke ich besonders, was Bildung ausmacht: Fehler werden geduldiger aufgenommen und nicht mit unverständlichen Blicken beantwortet. Flüssiger wird die Sprache auch auf Feldern, in denen ich mich auskenne – zum Beispiel, wenn ich gebeten werde, die Psychoanalyse zu erklären.

Ich versuche, mir den Stress zu nehmen. Videos à la „Schneller flüssig sprechen“ habe ich mir abgewöhnt. Ich gebe mich nun zufrieden mit einzelnen Silben und Worten, die ich verstehe und mit meinen eigenen Zwei- und Dreiwortsätzen, die ich fahrradfahrend vor mich her brabbele. „Foutez-vous la paix!“, sagt Fabrice Midal (Youbube) – „Lass Dich selbst in Ruhe!“ Recht hat er. A la prochaine!

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André Stern:
Apprendre n’éxiste pas
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