Welche Alternativen gibt es zur Vojtatherapie beim Baby?
Wenn Du für Dein Baby die Vojtatherapie verschrieben bekommen hast, ist wahrscheinlich die Aufregung groß: Dir wird vielleicht gesagt, dass Du nur so eine Behinderung Deines Kindes verhindern könntest und dass es vielleicht sogar „im Rollstuhl landen“ könnte. Dir wird gesagt, dass Dein Kind vielleicht durch seine Unreife und den Sauerstoffmangel unter der Geburt motorische Schäden haben wird. Du müsstest sehr früh mit der Vojtatherapie beginnen, weil die Nervenzellen jetzt noch jung sind und sich das Nervensystem nur in diesem frühen Stadium noch entscheidend formen lasse. Doch Du hast erlebt, wie sehr Dein Kind schreit, wenn die Physiotherapeutin oder Du die Vojtatherapie durchführst. Dein Gefühl sagt Dir: Dein Kind ist in Not und irgendwie kann das nicht gut sein. Ich denke: Dein Gefühl hat Recht.
Bei Deinem Baby ist es nicht anders als bei Dir auch: Wenn Du entspannt bist, sind Deine Muskeln „weich“ bzw. in einem guten Zustand zwischen angespannt und entspannt. Wenn Du einen ruhigen Geist hast und Du ausgeglichen bist, bewegst Du Dich ganz natürlich. Einen ruhigen Geist zu haben kann manchmal richtig Arbeit sein, doch wenn Du Dich dafür interessierst und Dich schulst, dann werden auch Deine Bewegungen anmutig und entspannt.
Das Wichtigste bei der Bewegung sind also die passende Spannung und das Wohlgefühl. Wenn Du Dich schämst, wenn Du traurig oder depressiv bist, wenn Du angespannt bist, merkst Du das sofort an Deiner Körperhaltung. Du bemerkst, wie Dich die Nähe eines anderen – die Nähe Deines Partners, Deiner Mutter, Deines Vorgesetzten – in unterschiedliche Haltungen bringen kann. Die Kunst ist es oft, in Anwesenheit eines anderen, nahestehenden (oder auch fremden) Menschen einen angemessen gespannten bzw. entspannten Körper zu behalten.
Damit Dein Kind sich motorisch gut entwickelt, ist es wichtig, dass Du Dich und Deinen Körper selbst mit Aufmerksamkeit betrachtest. Es ist gut, wenn Du Dich, Deinen Partner und Dein Kind ernst nimmst und darauf achtest, wann Du in eine körperliche und psychische Abwehrspannung gerätst. Solche Spannungen lassen sich nicht verhindern, aber wenn Du Dich dafür interessierst und sie beachtest, dann wächst Deine eigene Körperintelligenz.
Dein Kind braucht für seine motorische Entwicklung eine Mutter, die sich ihres Körpers bewusst ist. Wenn Du Dein Kind trägst, vielleicht sogar im Tragetuch trägst, dann kommt es wiederholt zu einer sogenannten vegetativen Affektabstimmung (Attunement): Das heißt, dass Dein Baby Deinen Körperspannungszustand übernimmt. Wenn Du Dein Baby im Tragetuch trägst, während Du an der frischen Luft spazieren gehst, hat das einen direkten Einfluss auf seine motorische Entwicklung.
Schon nach wenigen Bewegungen bist Du beweglicher
Wenn Du selbst den ganzen Tag gesessen hast und Dein Körper eingesteift ist, kannst Du manchmal erstaunt feststellen, wie viel beweglicher Du bist schon nach wenigen Bewegungen – schon ein bisschen Yoga, TaiChi, Tanz oder Schwimmen lassen Dich in einigen Minuten wieder geschmeidiger sein. Und so funktioniert es bei Deinem Kind auch: Wenige Minuten des Spielens, Schaukelns oder Wippens bewirken, dass Dein Baby nach einer längeren Zwangshaltung, z.B. im Auto, wieder beweglicher wird.
Ein Kind, das die Vojtatherapie erhält, ist nach einer Behandlungseinheit oft sichtbar besser beweglich als vor der Behandlung. Dass die Vojtatherapie körperlich wirkt, ist inzwischen unbestritten. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass es auch um Effekte geht: Die Vojtatherapie ist emotional dramatisch. Es ist für Mutter und Kind eine Extremsituation. Der „Effekt“ der besseren Bewegung scheint dieser Extremsituation zu verdanken zu sein. Effekte, die nach sanfteren Situationen wie z.B. Bewegungsspielen auftreten, sind oft ebenfalls deutlich sichtbar, doch wir nehmen es oft nicht so wahr, weil uns der „krasse Übergang“ vom gequälten, angespannten Leid hin zur Entspannung fehlt.
Leiden für ein höheres Ziel?
Wenn Du bei Deinem Baby die Vojtatherapie durchführst, dann quälst Du es in dem Moment. Es ist durch und durch in Alarmbereitschaft. Du sagst Dir, dass es ja für ein höheres Ziel ist, doch Dein Baby erfährt eine sogenannte „Bindungsverwirrung“. Es versteht nicht, warum der natürliche Kreislauf unterbrochen wird, der normalerweise darin besteht, dass Du als Mutter Dein Kind aus einer quälenden Situation befreist. Du als Mutter bist diejenige, die normalerweise ihr Kind beruhigen kann. Bei der Vojtatherapie schreit Dein Baby, es bettelt um Deine Hilfe, aber Du hörst nicht auf, es zu quälen. Das kann dazu führen, dass Dein Kind später sehr misstrauisch wird. Und Misstrauen bedeutet im Zusammensein mit anderen – besonders nahestehenden Menschen – Verkrampfung. Wenn sich Dein Kind aber auf negative Weise innerlich anspannt, wirkt sich das negativ auf seine Körperhaltung und seine Bewegungen aus.
Auch, wenn Dein Kind erkennbare neurologische Störungen hat, so heißt das nicht, dass Du sie nur in einem frühen Stadium positiv beeinflussen oder „wegbekommen“ könntest. Das Nervensystem ist ein Leben lang plastisch – es formt und entwickelt sich jeden Tag.
Wenn Dein Kind später ein Musikinstrument lernt, dann kann sich die Feinmotorik immer noch deutlich weiterentwickeln. Achte darauf, welche Bewegungsformen Dein Kind mag und suche einen Sport aus, wenn es drei, vier oder fünf Jahre alt ist. Bewegung zu Musik, also Tanz und Ballett, können sich unglaublich fördernd auf die Bewegungen auswirken. Auch Klettern, Schwimmen, Judo oder andere Sportarten, bei denen der gesamte Körper eingesetzt wird, fördern Dein Kind auch noch, wenn es älter ist. So manche Einschränkungen, die man im Kindergarten noch sieht, können sich bis zur Schulzeit und auch danach noch weiter „auswachsen“ – manchmal ganz von selbst. Und auch wenn es nicht so positiv verläuft: Solange Dein Kind die Fähigkeit entwickelt, mit anderen Menschen zusammen zu sein, wird es einen guten Umgang mit seinen Beschädigungen finden. Du kennst es selbst: Wenn Du leidest, dann geht es Dir besser, wenn Du Dich in einer guten Beziehung aufgehoben fühlst, auch wenn das Leid an sich zunächst gleich bleibt.
Alternativen zur Vojtatherapie:
- Dein Interesse an Deinem eigenen Körper, Deine eigene Schulung der Körperwahrnehmung durch Meditation, Yoga und Atemübungen hilft besonders auch Deinem Kind.
- Bobath, Osteopathie, Feldenkrais und Ähnliches können sehr wirkungsvoll sein.
- Babyschwimmen, Schaukeln, Wippen, Greifen, Tragetuch – dies alles sind Möglichkeiten, Dein Kind in guter Weise zu aktivieren und es Lebensfreude in der Bewegung fühlen zu lassen.
- Dein Ernstnehmen und Verstehenwollen hilft Deinem Kind, sich selbst und seinen Körper gut kennenzulernen.
- Versuche, offen zu sein für die „normalen“ Leiden des Lebens, ohne sie allzu rasch „wegmachen“ zu wollen.
- Bedürfnisse erkennen und befriedigen entspannt Dein Kind, aber oft ist Bedürfnisbefriedigung eben nicht möglich, weil ihr unterschiedlich seid. Forsche neugierig, wie sich das Unangenehme anfühlt – vielleicht merkst Du, wie es durch „Hinfühlen“ nachlassen kann.
- Achte auch auf Deine Partnerschaft. Spannungen zwischen Dir und Deinem Partner beeinflussen Dein Kind nicht nur psychisch, sondern auch körperlich. Aber auch Spannungen lassen sich nicht verhindern und gehören zum Leben – allein Dein Bemühen, verstehen zu wollen, hilft auch Deinem Kind.
- Vertraue auch auf den Vater bzw. auf Deinen Partner/Deine Partnerin, der/die die Rolle „des anderen/des Dritten/des Väterlichen“ übernimmt: Er/sie spielt bei der motorischen Entwicklung Deines Babys eine besondere Rolle. Toben, Spielen und Halten sind beim Vater/beim Anderen nochmal anders als bei der Mutter. Während die Mutter tendenziell beruhigt, Geborgenheit schenkt, wärmt und nährt, fördert „der Andere“ (außerhalb der Symbiose) das Kind mehr durch seine Aktivität. Auch macht das Kind die Erfahrung, dass der Andere eine „Rettung“ aus der engen Mutter-Kind-Zweierschaft sein kann, die ja manchmal auch – sowohl für die Mutter als auch für das Kind – als gefährlich erlebt werden kann. Diese Kreisläufe sind völlig normal. Wenn Du die Vojtatherapie bei Deinem Baby durchführst, wirst jedoch Du zum „gefährlichen Angreifer“. Die Zweierbeziehung ohne Ausweg wird dann als „erdrückend“ erlebt. Dieses erdrückende Gefühl kann Dein Kind als Erwachsener dann vielleicht haben, ohne es sich erklären zu können. Es wird sich möglicherweise an die Vojtatherapie als Baby „erinnern“ können, ohne Worte dafür zu haben.
Daher denke ich: Die beste Alternative zur Vojtatherapie beim Baby ist keine Vojtatherapie.
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