Apophänie: wenn man rasch Zusammenhänge und Bedeutungen sieht, wo keine sind (Psychose-Serie: 25)
Im Film „A Beautiful Mind“ (2001) spielt der Schauspieler Russel Crowe den genialen Mathematiker John Nash (1928-2015, Wikipedia), der mit 30 Jahren an Schizophrenie erkrankt, sich später davon aber erholt. John Nash sieht im Film z.B. in Sternenbildern bedeutsame Muster. Er erkennt aus rätselhaften Zahlen im Pentagon, dass es sich um die Zahlen von Breitengraden halten muss. Die Grenze zwischen dem sinnvollen Erkennen von Zusammenhängen, die vorher nicht gesehen wurden und „Zusammengesponnenem“ ist oft schmal. Wann immer wir aus einzelnen Erlebnissen oder Elementen, die gar nicht zusammenhängen, Muster herstellen, von denen wir meinen, dass sie uns etwas erklären, erleben wir eine Apophänie. Beispiel: Wir sehen in den dritten und vierten Buchstaben der Autonummernschilder einer Stadt eine zusammenhängende Bedeutung.
Die Apophänie, also das Erleben, dass Unzusammenhängendes plötzlich zusammenhängt, ist ein häufiges Phänomen bei der Schizophrenie. „Phaino“ ist das griechische Wort für „scheinen, sich zeigen“. „Apo“ heißt „weg … von“. Bei der Apophänie wird etwas aus dem, was erscheint, abgeleitet. Das geht oft sehr schnell und wie schwebend. Der bewusste Fokus vom Einzelnen ist dann weg. Der Psychiater Klaus Conrad (1905-1961) prägte den Begriff „Apophänie“ im Jahr 1958 (Klaus Conrad: Die beginnende Schizophrenie. Versuch einer Gestaltanalyse des Wahns, Psychiatrie-Verlag).
Auf Wikipedia wird das Beispiel des schwedischen Schriftstellers (Johan) August Strindberg (1849-1912), Projekt Gutenberg) genannt, der in herabgefallenen Ästchen griechische Buchstaben gesehen haben soll, die ihm Mitteilungen machten. In der Sprache können leicht Apophänien entstehen, z.B. wenn man den deutschen Artikel „die“ liest, kurz nachdem man einen englischen Text gelesen hat. Dann wird man wahrscheinlich an „(to) die“ = „sterben“ denken. Das war eine Verwechslung. Wenn man aber nun darauf beharrte, dass die beiden Worte nicht nur vom Aussehen, sondern auch von der Bedeutung her zusammenhängen, wäre es eine Apophänie.
Während bei der Apophänie fast schwebend-leicht Zusammenhänge aus unzusammenhängenden Einzelteilen oder Einzelerlebnissen „erkannt“ werden, so kennen wir auch das Gefühl, verrückt zu werden, wenn wir etwas aus dem Zusammenhang herausnehmen.
Wenn wir z.B. ein Wort lange genug anstarren und es vor uns hersagen, ohne den Rest des Satzes zu beachten, bekommen wir vielleicht ein unangenehmes Gefühl und eine Angst, davon verrückt zu werden. Der Psychoanalytiker Thomas Ogden beschreibt in seinem Buch „Frühe Formen des Erlebens“, wie er bemerkte, er könnte sich damit verrückt machen, indem er z.B. das Wort „Napkin“ (Serviette) einfach immer wieder nur ohne Zusammenhang anschaute. Der Psychiater Thomas Fuchs schreibt: „In der deutschen Psychopathologie haben vor allem Matussek (1952) und Conrad (1992) die Tendenz schizophrener Patienten betont, an Einzelheiten des Wahrnehmungsfeldes haften zu bleiben.“ (Thomas Fuchs, 2000: Psychopathologie von Leib und Raum, S. 126)
Das Verrücktwerde-Gefühl ist einerseits ein Warnzeichen – ähnlich wie wir mit der Hand spüren, wenn uns etwas zu kalt oder zu heiß ist, so zeigt uns auch unsere Psyche ihre Verletzlichkeit und ihre Grenzen. Wir sollten dann einerseits weggehen von dem schädigenden Einfluss; andererseits ist es aber auch wichtig, in gewisser Weise hinzuschauen, um zu verstehen, was da genau passiert und warum.
Thomas Fuchs schreibt (S. 126): „Schizophrene neigen dazu, eher zu hören als hinzuhören, eher zu schauen als hinzusehen, eher zu empfinden als wahrzunehmen. Das aktive, intentionale Wahrnehmungsmoment ist geschwächt.“
Im Film „Beautiful Mind“ sagt der Mathematiker John Nash, sich von dem Verrücktmachenden fernzuhalten sei wie eine „Diät des Verstandes“: „Ich ziehe es vor, mich meinem Appetit auf Muster nicht hinzugeben.“ Wir können Phänomene wie die Apophänie (Herstellung von vermeintlichen Zusammenhängen) und das Gegenteil davon (das Isolieren von Einzelteilen aus Zusammenhängen) also bewusst herstellen, davon aber auch wieder Abstand nehmen.
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Buchtipp:
Fuchs, Thomas (2000):
Psychopathologie von Leib und Raum
Phänomenologisch-empirische Untersuchungen zu depressiven und paranoiden Erkrankungen
Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie (Psychiatrie, volume 102)
Steinkopff, Darmstadt
https://www.academia.edu/16929999/Psychopathologie_von_Leib_und_Raum