Emetophobie – die Angst, sich zu übergeben

Die Angst, sich zu übergeben (Emetophobie, specific phobia of vomiting, SPOV), kann enorme Ausmaße annehmen. Wenn Du selbst betroffen bist, hast Du vielleicht keine Freude mehr an gemeinsamen Mahlzeiten. Schon nach wenigen Bissen hast Du vielleicht das Gefühl, alles wieder ausspucken zu müssen. Du meidest vielleicht deswegen Konzerte, Unternehmungen mit Freunden oder Vorträge. Ein Globusgefühl oder ein ständiger Würgereiz kann die Folge eines angespannten vegetativen Nervensystems sein. Hier können tägliche Atemübungen helfen. Vielleicht hilft es Dir, immer ein Mittel gegen Übelkeit bei Dir zu haben – auch, wenn Du es nie nimmst, so hast Du vielleicht ein wenig das Gefühl, im Ernstfall etwas tun zu können.

Die Ängste bei der Emetophobie sind vielfältig: Manche haben die Vorstellung, das Erbrechen würde nie wieder aufhören, oder das Erbrechen könnte so stark werden, dass auch Fäkalien mit hochkommen. Das nennt man „Miserere“, doch das passiert eigentlich nur bei todkranken Patienten im letzten Stadium ihrer Erkrankung. Auch die Sorge, Dich in der Öffentlichkeit infolge des Erbrechens zu blamieren, kann so groß sein, dass Du vielleicht die Öffentlichkeit meidest – fast wie bei einer sozialen Phobie.

Vielleicht hast Du auch Angst, Du könntest beim Erbrechen ersticken. Doch mache Dir klar, dass Ruhe-Bewahren alles ist. Wenn Du beim Erbrechen ruhig bleibst und Deine Atmung kontrollierst, kann Dir das diese Angst ein wenig nehmen. Vielleicht kommen bei Dir auch alle Ängste zusammen. Nicht selten geht es auch um Ängste und Sorgen rund um das Thema Sexualität – hier findet psychologisch gesehen eine „Verschiebung“ der Vorstellungen von unten (den Geschlechtsorganen) nach oben (zu Mund und Speiseröhre)“ statt. Solche Verschiebungen kommen auch im sprachlichen Alltag vor – schließlich sprechen wir von „Po-Backen“, „Scham-Lippen“, „Mutter-Mund“ und bei Schwangeren von „Mutter-Kuchen“ (= Name der Plazenta, in der das Baby in Mutters Bauch liegt).

Übelkeit und Erbrechen können das Gefühl von Sterben(-Wollen) auslösen. Möglicherweise hast Du als Kind traumatische Erfahrungen gemacht, z.B. im Rahmen von sexuellem Missbrauch oder medizinischen Behandlungen im Krankenhaus. Infolge vieler (operativer) „Eingriffe“ kann die unbewusste Phantasie bestehen, ein anderer wäre irgendwie in Dich eingedrungen und Du könntest Dich nur durch Kotzen wieder befreien. Vielleicht sollte Dir ja auch etwas „eingetrichtert“ werden, z.B. eine Religion oder ein bestimmter Lern-Stoff. Vielleicht willst Du das irgendwie wieder los werden, hast aber gleichzeitig Schuldgefühle, wenn Du Dich „befreien“ willst. Komplizierte Konflikte wie diese können bei der Emetophobie mit im Spiel sein und oft nur in einer Psychotherapie entdeckt werden.

Die Emetophobie kommt relativ häufig in der Pubertät vor – also in einer Zeit der Trennung und des Eigenständig-Werdens. Es gibt Hinweise darauf, dass Betroffene schon in der Kindheit unter Trennungsängsten litten (Lipsitz et al., 2001). Der Hormonrhythmus kann an der Übelkeit beteiligt sein – manche Frauen leiden vor der Regel unter Übelkeit und Durchfall. Auch in der Schwangerschaft kommen Übelkeit und Erbrechen häufig vor.

Tipp: Wenn Dir andere raten, tief durchzuatmen, dann schaue, ob Dir das wirklich gut täte, denn die flache Atmung hat oft ihren Sinn. Vielmehr kann es helfen, lange auszuatmen, z.B. in den Ellbogen-Ärmel. Auch das Ausatmen gegen Widerstand kann hilfreich sein, zum Beispiel, indem Du Dir die Nasenlöcher etwas zuhältst. Vielleicht leidest Du auch an einem Globusgefühl, also an einem Gefühl, dass da etwas im Hals steckt, ohne dass der Arzt etwas krankhaftes feststellt. Hier können regelmäßige Atemübungen aus dem Yoga manchmal helfen.

Spiele mit Deinen Ideen: Was findest Du vielleicht zum Kotzen? Wen hast Du vielleicht „gefressen“ oder zum Fressen gern? Möchtest Du gerne von zu Hause ausziehen? Leidest Du unter Deiner Mutter oder einem Lehrer und weißt nicht, wohin mit Deinem Ärger? Kommen Dir andere – vielleicht auch Deine Eltern – zu nah? Vielleicht findest Du es schwierig, mit anderen an einem Tisch zu essen oder aber Du bist vielleicht als Baby nach der Vojta-Therapie auf dem Küchentisch behandelt worden. Alle möglichen Gefühle, Erinnerungen und Phantasien können zu der Emetophobie beitragen.

Oft lässt sich nicht so leicht an die Ursachen der Emetophobie herankommen, doch Du kannst Dich selbst erforschen, Dich viel bewegen und nachdenken. Aus praktischer Sicht ist es gut, wenn Du etwas bei Dir trägst, was Dir zumindest etwas hilft: Erfrischungstücher, eine gut duftende Creme oder Mandarinen-Duftöl. Auch Lakritze oder Nux-vomica-Präparate können etwas helfen.

Wenn Du verstärkt unter Emetophobie leidest, dann sei gut zu Dir selbst. Überfordere Dich nicht und entscheide je nach Verfassung, was Du Dir heute zutrauen kannst. Nimm Dich selbst und andere Menschen ernst. Mache Dir bewusst, dass Du gute Chancen hast, aus Deiner misslichen Lage herauszukommen. Bei einer hartnäckigen Emetophobie kann Dir eine Psychotherapie wahrscheinlich gut helfen – Adressen gibt’s zum Beispiel auf www.therapie.de.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Links:

Ralf Vogt (Hrsg.):
Ekel als Folge traumatischer Erfahrungen
Psychosozialverlag, 2. Auflage 2020

Lipsitz Joshua D et al. (2001)
Emetophobia: Preliminary results of an internet survey.
Depression & Anxiety, Volume14, Issue2, 2001: Pages 149-152
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/da.1058

Michael Simons und Timo Daniel Vloet:
Emetophobia – A Metacognitive Therapeutic Approach for an Overlooked Disorder
Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Hogrefe 2001
Online veröffentlicht: September 29, 2016, https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000464
https://econtent.hogrefe.com/doi/full/10.1024/1422-4917/a000464

ICD 10: Emetophobie: zählt zu den spezifischen (isolierten) Phobien: F40.2

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 22.11.2010
Aktualisiert am 31.10.2023

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