Schlaflos durch unbestimmte Schuldgefühle?
„Ich bin rechtschaffen müde“, sagen wir am Abend. Wir haben viel geschafft und uns darum bemüht, die Dinge gut zu machen. Wir haben ein gutes Gewissen und können gut einschlafen. Doch es ist nicht immer leicht, ein gutes Gewissen zu haben. Oft spüren wir, dass wir etwas falsch machen, aber wir wissen nicht so genau, was das ist. Wenn wir ein schlechtes Gewissen haben, versuchen wir, uns selbst zu beruhigen. „Sei nicht so streng mit Dir“, sagt die Freundin. Wir bekommen zu hören, dass unser schlechtes Gewissen nicht berechtigt sei und dass wir bestimmt nicht schuld seien. Doch unser Gefühl sagt uns etwas anderes. Wir sind unruhig, grübeln ohne Ergebnis und wälzen uns im Bett.
Wir sind bemüht, uns selbst und unsere Wahrnehmung ernstzunehmen. Doch bei einem der schwierigsten aller Gefühle, dem Schuldgefühl, weichen wir aus. Wir versuchen uns klarzumachen, dass wir einfach zu streng erzogen wurden und dass deswegen unser Gefühl an dieser Stelle nicht richtig sein kann.
Wenn wir von neidischen und schmerzerfüllten Eltern streng erzogen wurden, dann haben wir auch heute noch vielleicht das Bild, dass andere Menschen uns nichts gönnen, uns am Weiterkommen hindern und uns nichts geben wollen. Wenn wir dieses Bild von unseren Mitmenschen haben, dann neigen wir dazu, uns durchmogeln zu wollen.
Können wir mit anderen Menschen sprechen?
Wir haben die Vorstellung, dass die anderen uns nicht weiterkommen oder gehen lassen, wenn wir ernsthaft mit ihnen reden. Wir stellen uns vor, dass wir unsere Ziele nur erreichen und unsere Bedürfnisse nur erfüllen können, wenn wir irgendwie „hintenherum“ gehen. Wir brechen heimlich Regeln. Wir sagen: „Mach‘ ich!“ und wissen schon, dass wir es nicht machen werden. Fast unmerklich respektieren wir die anderen nicht mehr. Und dann wächst langsam ein unbestimmtes Schuldgefühl. Und es ist wie bei anderen Gefühlen auch: Unser Schuldgefühl trügt uns in der Regel nicht. Das Schwierige ist eben oft, unser Gefühl dem passenden Ereignis zuzuordnen.
Manche unserer Schuldgefühle trügen uns allerdings doch – beispielsweise können wir uns schuldig fühlen, als Mädchen geboren zu sein, obwohl sich unsere Eltern einen Jungen gewünscht hätten. Oder wir fühlen uns dafür schuldig, dass unsere Mutter unseretwegen nicht ihre beruflichen Wege gehen konnte (wollte). Das sind Schuldgefühle, die wir in der Situation mit den Eltern vermittelt bekamen – doch natürlich haben wir an diesen Dingen keine Schuld. Sobald wir das erkennen, kann das Schuldgefühl nachlassen.
Doch im täglichen Leben bekommen wir oft selbst nicht bewusst mit, wir wir mit anderen umgehen und wie wir versuchen, uns gegen das Gegebene aufzulehnen. Oft steckt dahinter die Angst, die anderen würden uns genau das verwehren, das wir eigentlich brauchen. Es entsteht ein Teufelskreis, weil wir selbst so vieles heimlich aushecken, dass die anderen uns gegenüber misstrauisch werden. Wenn wir tyrannische Eltern hatten, die uns ohne Sinn und Verstand begrenzten, dann haben wir uns unsere Methoden über Jahre angewöhnt, mit denen wir doch an unser Ziel kommen.
„Wahrheit lindert Leiden“, heißt es. Die Anerkennung der Wahrheit ist der erste Schritt zu einem Leben in mehr Wohlbefinden. Vielleicht können wir auch mit bestem Willen und starkem Nachdenken nicht die Stellen erkennen, an denen wir zu Recht ein schlechtes Gewissen haben. Aber wir können uns ernst nehmen und auf Spurensuche begeben, damit wir wieder den Schlaf des Gerechten schlafen können.
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Dieser Beitrag wurde erstmals verfasst am 5.8.2020
Aktualisiert am 26.6.2023