Warum sich Psychoanalyse im Kern nur schwer erforschen lässt
Manche Psychoanalytiker bekommen Bauchschmerzen, wenn sie daran denken, dass die Psychoanalyse so erforscht werden soll wie die Körpermedizin oder die Verhaltenstherapie – dazu gehört z.B. die Psychoanalytikerin Egle Laufer im Video Encounters through Generations, Youtube. Natürlich ist es die Frage, was genau man erforschen will, aber es gibt einen Teil der Psychoanalyse, der sich der Erforschung entzieht. Vielleicht wird hier aus einem Vortrag des Physikers und Psychologen Walter von Lucadou über „Die Reichweite des menschlichen Geistes“ (Youtube) etwas deutlich. „Wir haben es in der Psychoanalyse mit einer Wissenschaft zu tun, wo wir der ‚Hilfe, die das Experiment der Forschung leistet‘ entbehren müssen.“ (Freud 1933, 1967, S. 601, In: Viviana Strauß: Zur Metapsychologie des Autismus, S. 6)
Beim Yoga ist es vielleicht ähnlich. In einer Untersuchung heißt es: „While the union of mind, body, and spirit would be difficult to evaluate, these data found changes on a physical and psychological level.“ „Während sich die Vereinigung von Psyche, Körper und Geist nur schwer evaluieren ließe, konnten mithilfe der Studiendaten jedoch Veränderungen auf der körperlichen und psychologischen Ebene nachgewiesen werden.“ Cowen, Virginia and Adams, Troy, 2005
Kommunikation: Von der Getrenntheit zum geschlossenen System
Der Psychologe und Physiker Walter von Lucadou beschreibt verschiedene Zustände bei der Kommunikation: Es gebe einerseits die Getrenntheit, andererseits die organisierte Kommunikation, wenn zum Beispiel Menschen zu einem Vortrag zusammenfinden. Dann gebe es die „organisierte Geschlossenheit“ (Organizational Closure). Wir könnten die organisierte Geschlossenheit, die sich selbst organisiert, erfahren und erleben, aber nicht beweisen, so Lucadou. Er führt die Liebe als Beispiel an. Liebe kann man erleben, aber nicht beweisen.
Wir können so vieles nicht machen. In der Psychoanalyse geht es oftmals nicht um kausale Zusammenhänge. Und auch hier helfen Lucadous Erklärungen: Sobald man die organisierte Geschlossenheit, also z.B. die Beziehung, die sich selbst reguliert, verlassen und Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge beweisen will, geht die Bedingung für die organisierte Geschlossenheit verloren. Sobald man Experimente zu dieser sich selbst organisierenden Beziehung wiederholen würde, gingen die Effekte mehr und mehr verloren (so erklärt sich vielleicht auch das „Anfängerglück“). Als Beispiel nennt Walter von Lucadou Paare, die in die Paarberatung kommen und dann zueinander sagen: „Beweise mir, dass Du mich liebst.“ Spätestens da breche das System zusammen.
Das Heilsame liegt in der sich spontan organisierenden Geschlossenheit
Meiner Erfahrung nach liegt das Heilsame der Psychoanalyse eben in dieser sich selbst organisierenden Geschlossenheit. „Hier findet Verschränkung statt“, so Lucadou. Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge seien hier kaum nachweisbar. Es entstehe einfach. Dieses Erleben darf und will nicht gestört werden. Deswegen lässt sich die sogenannte Parapsychologie so schwer erklären und eben auch – aus meiner Sicht – die Psychoanalyse. Hier findet eine Kommunikation von „Unbewusst zu Unbewusst“ statt.
„Wahrheitssuche“ und „Erfolgskontrolle“ passen manchmal schlecht zusammen.
Hohe Frequenz fördert den Prozess
Wenn Menschen gut miteinander verbunden sind, können sie eher spüren, wie es dem anderen geht. Daher spielt aus meiner Sicht auch die hohe Frequenz in der Psychoanalyse eine wichtige Rolle. Eine hochfrequente Psychoanalyse findet vier- bis fünfmal pro Woche statt. Dies führt zu einem großen Verbundenheitsgefühl. So können sich Analytiker und Patient so gut gegenseitig spüren, dass sich das Unbewusste leichter erreichen lässt, gerade auch durch die manchmal tranceartige freie Assoziation (auf Seiten des Patienten) und die freischwebende Aufmerksamkeit (auf Seiten des Analytikers). Was in der Analyse jeweils geschieht, ist ein hochindividueller Prozess, der sich bei einem anderen Analytiker-Patienten-Paar so niemals wiederholen lassen würde.
Heilsame Momente entstehen durch Zufall
Man kann heilsame Momente nicht machen. Wir können die Bedingungen dafür schaffen, die das Auftreten dieser Momente wahrscheinlicher machen. Wir dürfen das Heilsame empfangen und es dokumentieren. Wir dürfen hinschauen, neugierig sein und es erforschen wollen, doch es braucht gute Wege, um das Wertvolle der Analyse dabei zu erhalten.
„Die Seelenkunde hat manches beleuchtet und erklärt, aber vieles ist ihr dunkel und in großer Entfernung geblieben. Wir glauben daher, dass es nicht zu viel ist, wenn wir sagen, es sei für uns noch ein heiterer, unermesslicher Abgrund, in dem Gott und die Geister wandeln. Die Seele in Augenblicken der Entzückung überfliegt ihn (Anmerkung: den Abgrund) oft, die Dichtkunst in kindlicher Unbewusstheit lüftet ihn zuweilen; aber die Wissenschaft mit ihrem Hammer und Richtscheite steht häufig erst an dem Rande und mag in vielen Fällen noch gar nicht einmal die Hand angelegt haben.“
Adalbert Stifter: Brigitta. Erzählung. Universalbibliothek Nr. 3911, Reclam, Stuttgart 1958: S. 3-4
Verwandte Artikel in diesem Blog:
- Psychoanalyse und Quantenphysik: Wenn sich zwei Teilchen wirklich nahe sind
- Psychoanalyse und Hypnose: Psychoanalyse ist Arbeiten in Trance
- Psychoanalyse und Telepathie
- Harold Searles: Der psychoanalytische Beitrag zur Schizophrenieforschung
- Warum es so schwierig ist, Erfolge in der Psychoanalyse zu messen
- Intuition – wie sehr kann ich ihr trauen?
- Neville Symington: The Psychology of the Person
- Psychoanalytische Technik nach Bion
- Now Moment
- Warum gehen Gefühle scheinbar kaputt, wenn wir sie aussprechen?
- „Therapieerfolge“ in der Psychoanalyse sehen anders aus
Link:
„No efficacy studies of psychoanalysis have been completed to date; thus the utility of psychoanalysis per se as a treatment for any disorder, from a medical/psychiatric standpoint, is entirely unknown. … Psychoanalysts entering or graduating training, as well as their prospective patients, bear the burden of this failure, as psychoanalysis is rarely considered to be a treatment of choice for any mental or emotional problem in the current health care climate …
Fredric N. Busch and Barbara L. Milrod (2010):
The Ongoing Struggle For Psychoanalytic Research:
Some Steps Forward
Psychoanal Psychother. 2010 Dec 1; 24(4): 306–314.
doi: 10.1080/02668734.2010.519234
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3086315/
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 20.2.2018
Aktualisiert am 16.6.2023