Ich nehme Dir das Handy weg!

„Ich nehm‘ Dir das Handy weg – und das iPad gleich mit. Bis Montag.“, sagt die Mutter. Kraftlos schaut sie ihr Kind an. Sie ist wütend und verzweifelt, weiß keine andere Lösung. Sie sorgt sich, dass ihr Kind abhängig werden könnte von diesem ganzen Zeug. Doch die Angst führt dazu, dass sie ihr Kind behandelt, wie sie einst selbst behandelt wurde: bei genauerem Hinsehen respektlos. Gleichzeitig erwartet sie, dass ihr Kind Respekt vor ihr hat. Und sieht in diesem Moment nicht, dass es keinen Respekt haben kann, weil es selbst nicht mit Respekt behandelt wird.

Je größer unser Ohnmachtsgefühl als Eltern, desto verzweifelter suchen wir nach etwas Machtvollem.

Anbieten

„Ja, aber das Kind ist doch kein kleiner Erwachsener. Es spielt ja tatsächlich den ganzen Nachmittag mit dem iPad, wenn man es ihm nicht wegnimmt.“ Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Kinder wollen lernen und mit anderen spielen; sie sind neugierig, wollen ein Instrument lernen, sich bewegen, Beziehungen mit anderen Menschen eingehen. Doch sind wir selbst zu kraftlos und vielleicht im Homeoffice gefangen – unsere Möglichkeiten scheinen erschöpft zu sein. Wir können unserem Kind gerade keine Alternativen mehr bieten. Doch vielleicht hilft uns der Gedanke, dass gesunde Kinder nur übergangsweise „abhängig“ zu sein scheinen von ihren Handys. Auch sie werden sich wieder Neuem zuwenden, wenn es neue Möglichkeiten und Gelegenheiten gibt.

Das Handy wegzunehmen scheint die einzige Lösung zu sein in einer auswegslosen Situation. Dabei wäre es besser, man fügte etwas hinzu, als nähme man etwas weg. Was macht denn das Kind mit dem Handy? Es stellt Kontakte her. Und es könnte uns ganz wunderbare Dinge zeigen, über die wir staunten, wenn wir einmal schauten.

Manchmal erscheint es uns fast unmöglich, unser Kind ein Instrument erlernen zu lassen, besonders, wenn es finanziell knapp ist. Wir Eltern müssen zudem oft so viel arbeiten, dass wir keine Kraft mehr haben, unserem Kind mit Interesse zu begegnen und ihm etwas Interessantes zu zeigen.

„Was machst Du da?“, ist oft eher eine vorwurfsvolle als eine neugierige Frage. Doch wenn wir uns einmal einlassen und uns für die Welt unseres Kindes interessieren, können wir erstaunt sein, wieviel da zurückkommt. Das Handy wegzunehmen ist einfach. Kraft kostet es hingegen, dem Kind etwas anderes anzubieten. „Der will ja nichts anderes“, heißt es dann. Denkt man. Aber es ist oft so anders. Wenn jetzt interessanter Besuch käme, ein Bach zur Verfügung stünde oder man einen Baum beklettern könnte, wäre das wahrscheinlich auch heute noch viel interessanter für das Kind als das Handy.

„Ich nehme dir den Laptop weg!“

Man stelle sich einfach vor, jemand käme, um uns zu behandeln, wie wir die Kinder behandeln: „Ich nehme Dir den Laptop weg – Du hängst sonst zu viel davor und wirst zu dick.“ – „Jetzt aber! … Eins, zwei …? Freundchen/Frollein!“ Welcher Erwachsene würde sich das nicht verbitten? Kinder verbitten sich das auch. Aber wir Erwachsenen übergehen es.

Doch wenn wir unsere KInder ebenso respektvoll behandeln wie Erwachsene, können wir erstaunt sein, was da alles Wunderbares zurückkommt.

Manchmal nicht gleich, aber oft Jahre später. Wir müssen im Hinterkopf behalten, dass es Kinder sind mit hochinteressanten Welten. Darum agieren sie anders als Erwachsene. Aber mit dem Respekt, denen wir ihnen entgegenbringen, bringen wir gleichzeitig uns selbst Respekt entgegen – weil wir auf Dauer selbst respektvoller behandelt werden und weniger unter Schuldgefühlen leiden.

Buchtipp:

„Liebst Du mich, auch wenn ich wütend bin?
Was gefühlsstarke Kinder wirklich wollen.“ Ein Buch von Dunja Voos

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 31.5.2015
Aktualisiert am 14.5.2023

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