Kontaktabbruch zwischen Kindern und Eltern: „Sie verstehen mich nicht.“

Viele Kinder, die den Kontakt zu ihren Eltern beendet haben, wünschen sich, von den Eltern verstanden zu werden. Sie wünschen sich ihr Einsehen. Doch die emotionalen Sprachen, die gesprochen werden, sind zu unterschiedlich. Die Kinder müssen oft verschmerzen, dass ihre Eltern nicht verstehen können, was sie meinen. Und umgekehrt. Die Psyche hat ebenso psychische Strukturen wie der Körper Körperteile hat. Ein Mensch, der nur eine Hand hat, kann nicht mit beiden Händen nach etwas greifen. Und so ist es psychisch auch: Wer als Kind schwere Zeiten erlebt hat, kann als Erwachsener an vielen Stellen emotional nicht mitschwingen.

Manche Kinder wurden extrem von ihren Eltern gequält. Dann erscheint es offensichtlich, dass sie nichts mehr mit den Eltern zu tun haben wollen. Befragt man die Eltern, können diese oft nicht nachvollziehen, was die Kinder meinen.

Manche Eltern waren richtig schwer psychisch krank, doch die Kinder können dies oft erst im weit fortgeschrittenen Erwachsenenalter so klar erkennen und formulieren – selbst, wenn sie Ärzte und Psychologen sind. Als Kind in der Matrix von psychisch kranken Eltern zu stecken, erscheint eben irgendwie „normal“. Einen guten Artikel hierzu schreibt die Psychotherapeutin Imi Lo: „Setting Boundaries With Parents With Personality Disorders“, Psychology Today, 25.5.2023.

Die Kinder wünschen sich von ihren Eltern häufig eine Entschuldigung oder zumindest emotionales Verständnis für die eigenen Schmerzen in ihrer Kindheit – doch die Eltern können vieles nicht sehen. Zu groß sind (un-)bewusste Scham- und Schuldgefühle sowie Verdrängungsmechanismen. Die Kinder hingegen kämpfen mit der Frage: „Wie schlimm war es nun wirklich?“

Die Kinder kommen irgendwann an den Punkt, an dem sie verstehen, dass sie sich von den Eltern etwas wünschen, was die Eltern nicht leisten können. Sie begreifen, dass sie vielleicht nie mit den Eltern ins Gespräch über das Geschehene kommen können oder wenn sie es können, dann vielleicht nur auf eine unbefriedigende Art. Die Kinder fühlen sich dabei wie „Opfer“, während die „Täter“ anscheinend ohne Einsicht und Strafe bleiben. Doch das ist die Crux mit Täter-Opfer-Bildern, denn auch die Eltern fühlen sich als „Opfer“ bzw. waren einst Opfer ähnlicher Situationen. Es liegt eigentlich eine Opfer-Opfer-Situation vor – man könnte auch von einer „Lose-lose-Situation“ sprechen.

Wut und Verzweiflung auf Seiten der Kinder

Betroffene Kinder sind maßlos enttäuscht, klagen an, verachten ihre Eltern und sind wütend. Sie leiden oft dramatisch darunter, dass sie aufgrund des Erlebten kein normales Leben führen konnten und können. Sie sind geplagt von psychischen Erkrankungen, möglicherweise von den Folgen massiver Gewalt, von Beziehungslosigkeit und Einsamkeit. Oft gelingt es ihnen nur mit sehr viel Mühe und mithilfe einer Psychotherapie, eine Partnerschaft aufzubauen und selbst Kinder zu bekommen.

Keine Ernte für die Eltern

Die betroffenen Eltern wünschen sich Verständnis von ihren Kindern – sie wünschen sich vor allem Dankbarkeit und Anerkennung ihrer Mühen. Das wiederum ist etwas, was die Kinder oft nicht geben können – zu schmerzlich war es, was sie erlebten. Erst, wenn Einiges in der Psychotherapie aufgearbeitet wurde und wenn es „nachträgliche Zeugen“ gibt, kann stellenweise auch Dankbarkeit entstehen. Die Eltern haben das Gefühl, alles gegeben zu haben und nichts zurückzubekommen. Kinder wie Eltern spüren einen großen Mangel, ein großes Loch. Es ist eine Leere, die scheinbar nicht gefüllt werden kann. Manchen Eltern und Kindern gelingt es nach einigen Jahren und oft unvorstellbar harter Arbeit die psychischen Begrenzungen anzuerkennen.

Und manchmal schlagen dann an diesem alten Beziehungsbaum ganz neue, frische Äste aus, die beide Seiten überraschen und an denen sich beide Seiten noch spät erfreuen können.

Ich möchte an dieser Stelle gerne die Bücher der Kölner Autorin Sabine Bode empfehlen: Während ihr Buch „Kriegskinder“ den Eltern gewidmet ist, kommen in ihrem Buch „Kriegsenkel“ die Kinder zu Wort. Beide Bücher sind sehr feinfühlig geschrieben.

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Dieser Beitrag erschien erstmals im Mai 2011.
Aktualisiert am 23.7.2023

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158 thoughts on “Kontaktabbruch zwischen Kindern und Eltern: „Sie verstehen mich nicht.“

  1. Conny sagt:

    Auch ich habe nach häufigen jahrelangen Schweigeepisoden und unzähligen Gesprächen meine Mutter endgültig verlassen. Das sie abstritt, mir Böses angetan zu haben, habe ich mit Verständnis auf ihre Kindheit hingenommen. Das sie sich aber komischerweise genau daran erinnern konnte, was ich „Böses“ über ihren Bruder erzählte, hat das Faß zum Überlaufen gebracht.
    An meiner Kindheit war nichts Gutes, vieles habe ich verdrängt, weil es zu grausam war, und heute, mit 44, habe ich immer noch sehr oft Alpträume aus der Kindheit. Durch diese Kindheit wurde aus mir jemand, der Mühe hat, zu fühlen, Nähe zuzulassen ist unmöglich, latente schwere Depressionen begleiten mich zusätzlich. Mein restliches Leben werde ich trotz harter Selbst-Arbeit an den Kindheitstraumata leiden.
    Die endgültige Trennung ist mein Selbstschutz. Hätte ich noch Kontakt mit ihr, dieser Frau, dann würden immer wieder ihre Taten in mir „hochkommen“. Dann bin ich auch nicht mehr verhaltens-neutral.
    Die Literatur von Alice Miller, -Du sollst nicht merken, am Anfang war Erziehung etc. hat mir geholfen, bewusster wahrzunehmen und mich selbst zu coachen.
    Für mich gibt es kein zurück mehr, es gibt auch keine Entschuldigung mehr.
    Wäre ich an der Stelle dieser Frau, meiner Mutter, dann würde ich an ihrer Stelle mit dieser Schuld nicht leben können. Ja: Schuld!!! Wir waren Kind. Erwachsene, die prügeln und vergewaltigen , werden bestraft, bei Kindern nennt man das Erziehung? Und wir müssten Verständnis haben ? Nein!

    Wir ehemals Kinder, müssen hart an uns arbeiten, um die kindlichen Schäden abzumildern. Meiner Meinung ist es nicht zu viel verlangt, wenn ehemals Erziehungsberechtigte ihr damaliges Verhalten wenigstens ein bißchen reflektieren. Nur dann ist vorsichtige Versöhnung möglich.

  2. traurige mutter sagt:

    Betr.: Gästebuch verlassene Eltern, Frau Kindts Buch und abc`s Link zu dem neuen Forum Beziehungswaisen

    An alle, die hier noch reinschauen:

    das Gästebuch der verlassenen Eltern ist schon seit Wochen geschlossen und war Monate zuvor leider alles andere als eine hilfreiche Quelle, so dass es leider nicht tragisch ist, dass das Forum nicht mehr betrieben wird.

    Ich habe als betroffene Mutter monatelang dort geschrieben und mich ausgetauscht und bin dankbar, dass ich damals über Frau Kindts Buch gestolpert bin auf der Suche nach Erklärungen, warum meine Tochter – damals 18 – sich abgwendet hat. Das Buch ist ein subjektives Buch – etwaws anderes nahm Frau Kindt auch nicht für sich in Anspruch.

    Das Buch hat viele Berichte, Zeitungsartikel, Reportagen und Diskussionen in den Medien und im Netz ausgelöst und darüber – finde ich – kann sich eigentlich niemand der von diesem Thema Betroffenen empören – die Eltern sowieso nicht, aber auch die Kinder, die den Kontakt abgebrochen haben, haben doch über die Diskussion um dieses Buch viel mehr Räume gefunden, sich auszutauschen und viele haben tröstliche Worte von anderen Abbrechern erhalten und die Bestätigung, dass sie als Opfer zu Recht diesen Weg eingeschlagen und die Täter aus ihrem Leben verbannt haben.

    Das Buch erschien für mich gerade zur rechten Zeit – wenige Monate nachdem meine Tochter mir einfach und ohne Abschied den Rücken zugekehrt hat.

    Meine geschriebenen Worte, Entschuldigungen und mein eigenen Erklärungsversuche, welches Verhalten meinerseits vielleicht ihr keinen anderen Ausweg liessen, meine Bitten, sie möge mir schreiben, was sie so nachhaltig verletzt hat, meine Vorschläge, sie möge mir das alles – gern auch schriftlich – an den Kopf werfen, sie könne auch gern eine Dritte Person ( z.b. Therapeuten) aussuchen, der/die dabei ist oder uns hilft, wieder ins Gespräch zu kommen, blieben unbeantwortet bzw. wurden übergangen.

    Ich konnte leider meine Trauer über den Verlust meiner – einzigen Tochter – nicht in den Griff bekommen, obwohl ich Jahre zuvor eine lange, tiefenpsychologische Psychotherapie gemacht hatte, die mir sehr geholfen hatte und mich nach vorne auf ein glücklicheres Leben blicken liess ( bis zu diesem Moment).

    Ich bin nämlich auch eine Tochter mit einer Kindheit, die zwar nur manchmal mit Schlägen, dafür aber mit jede Menge psychischen Quälereien in der Art, wie sie hier von vielen verlassenden Kindern beschrieben wurde, gesegnet war und die vielen Demütigungen und Herabwürdigungen und der psychische Missbrauch haben natürlich ihre Spuren hinterlassen. Ich halte seither zu meinen alten Eltern großen Abstand, habe den Kontakt aber nicht völlig abgebrochen.

    Ohne den Anstoss durch das Buch und die Tatsache, dass ich mit meinem 2. Ehemann einen Menschen gefunden hatte, der mich in der schlimmsten Zeit auffing und hielt und einschritt, würde ich nicht mehr hier sitzen.

    Inzwischen stehe ich leider – dadurch, dass ich dennoch nicht in der Lage war, meine Trauer in den Griff zu bekommen – am Ende meiner Ehe. Dies kann ich auch nur mir selbst anlasten, aber manchmal wünschte ich, die Verlassenden würden vorsichtiger mit ihren Urteilen und Äußerungen über Eltern, die damit leben müssen, dass sie verlassen wurden, weil sie Fehler gemacht und ggfls. Schuld auf sich geladen haben, umgehen.

    Vor diesem Hintergrund kann ich auf den Link von abc nur allen Eltern raten, besser nicht in das Forum zu schauen/ dort mitzulesen, wenn sie nicht psychisch stabil genug sind. Eltern sind da leider ohnehin nicht erwünscht, so wie zu meinem Bedauern auch Kinder nicht wirklich Willkommen bei dem Gästebuch der verlassenen Eltern waren.

    Mit weihnachtlichen Grüßen

    tm

  3. abc sagt:

    Liebe Leser(innen) und Schreiber(innen),

    Eure Beiträge finde ich wunderbar – es hat mir sehr viel gegeben, sie zu lesen! Also ist meine Geschichte kein Einzelfall – das beruhigt meine Nerven!
    Liebe Frau Voss, ist es erlaubt, den Link für die Website/Forum für „Verlassende“ Kinder“ auch hier einzustellen?
    Wir Kinder schreiben dort unsere Geschichten auf, jeder so ausführlich, wie ihm zumute ist, aber das Forum ist neu – wir freuen uns über jeden, der dort auch schreiben, kommentieren und diskutieren mag!

    http://beziehungswaisen.weebly.com/forum.html

    Liebe Grüße
    abc

  4. Ina sagt:

    Auch ich habe meinen Eltern den Rücken gekehrt. Sie haben mir einfach zu viel angetan in der Kindheit. Sehr früh mußte ich selbständig sein, mußte auf meine Geschwister aufpassen (mein Bruder war da frisch geboren) während meine Eltern Nachts auf Party waren und da wurde sich gewundert warum ich Tagsüber in der Schule nichts gebacken gekriegt habe weil ich zu müde und erschöpft war. Auch bei den Hausaufgaben hatte ich keine Hilfe zu erwarten. Kehrte ich von Klassenfahrten zurück, wußte ich bereits das meine Eltern mich nicht abholen würden. Alle anderen Eltern waren da um ihre Kinder abzuholen…nur meine nicht!!! Ich stand jedesmal da und wußte nicht wohin, so das meine Lehrerin andere Eltern bat, mich doch bitte mit zu nehmen. Es gab nie ein herzliches Wort bei mir zu Hause, keine Umarmung, einfach nichts. Hatten meine Geschwister etwas angestellt z.B. was kaputt gemacht o.ä. habe ich dafür Prügel bezogen mit den Worten „Du bist die Große, du hast aufzupassen“ ! Wenn meine Eltern arbeiten waren haben sie uns eingeschlossen, wir konnten nichtmal aufs Klo! Da war ich so 3 oder 4 Jahre alt, kann mich aber sehr genau daran erinnern. Bis zu meinem 16. Lebensjahr bekam ich immer wieder Schläge, teilweise so schlimm das mein ganzer Körper übersäät war mit Handtellergroßen Hämatomen. Meine Mutter hat nie ein gutes Wort für mich übrig gehabt und das ich kein Wunschkind war, hat sie nicht nur mehrfach gesagt, sondern es mich meine gesamte Kindheit spüren lassen. Meine Schwester und mein Bruder sind die Lieblinge, das habe ich immer wieder gemerkt. Wenn ich mal irgentwo hinwollte, mußte ich zu sehen wie ich dort hin kam, wollten meine Geschwister irgentwo hin, wurde sich halb überschlagen deswegen, da ging es gar nicht schnell genug das Auto zu starten. Ich habe mir mal Babyfotos von mir angesehen auf denen ich mit meiner Mutter zu sehen bin. Sie lächelt auf keinem der Bilder, auf allen Bildern zieht sie ne Fresse und hat mich lieblos auf dem Arm. Das sagt ja schon alles finde ich. Als ich mal im Krankenhaus lag mit einer Blinddarmsache (da war ich 8 Jahre alt) haben meine Eltern mich nicht einmal besucht. Ich war so unglücklich wenn ich gesehen habe wie die anderen Kinder Besuch von ihren Eltern hatten nur für mich hat sich niemand interessiert. Mit 17 bin ich dann von zu Hause weg, meine Freundin hat meiner Mutter Bescheid gesagt das ich nicht mehr nach Hause kommen werde und der Kommentar meiner Mutter war nur: „Schön“ ! Mich belastet es bis zum heutigen Tag, diese ganzen körperlichen und seelischen Verletzungen brechen immer wieder auf und beeinflussen mein ganzes Leben. Ich habe kein Selbstwertgefühl, bin wahnsinnig mißtrauisch und eifersüchtig, kann niemanden an mich ran lassen u.s.w.! Man hat das Gefühl daran zu zerbrechen weil es einen immer und immer wieder verfolgt. Für meine Eltern bin ich nichts weiter als ein „Geburtstagsanruf“ ! Trotz allem habe ich nach meinem Auszug versucht mit ihnen einigermaßen auszukommen und habe sie auch immer wieder mal besucht. Doch bei allen Besuchen wurde ich behandelt wie der letzte Dreck. Niemand hat mit mir gesprochen, ich saß da und kam mir vor als wäre ich Luft. Wenn ich bei denen angerufen habe und bisschen quatschen wollte waren sie immer besonders schwer beschäftigt oder gerade auf dem Sprung. Also habe ich mir gesagt, Kontakt abbrechen ist wohl das beste und habe das dann auch getan. Jetzt melden die sich nur zu meinem Geburtstag und das dann folgendermaßen: Hallo Ina? Ja alles gute zum Geburtstag…was machst heut noch??? Gut, dann machs mal gut!!! Und das wars dann auch schon, ein Geburtstagsgespräch dauert nie länger als 1-2 Minuten! Von meiner Schwester weiß ich das mein vater wohl oft fragt warum ich mich nicht melde…da kann ich nur sagen: Wenn er das nicht weiß tut es mir echt leid! Habe oft genug versucht meinen Eltern die Meinung zu sagen wie sich mich behandelt haben und was sie dadurch alles kaputt gemacht haben, aber dann kommen nur Sprüche wie z.B.: „Ach das war doch alles gar nicht so“ oder „Du warst nunmal ein schwieriges Kind“ ! Das ist so lächerlich und darum will ich mit meinen Eltern nichts mehr zu tun haben!!! Werde mich jetzt um einen Therapieplatz kümmern um das ganze aufzuarbeiten, vielleicht kann ich ja eines Tages ein normales Leben führen…

  5. einszweidrei sagt:

    Liebe verlassene Tochter,

    du schreibst, dass doch beide Schuld sind. Ist das wirklich so? Menschen sind Mängelexemplare (ist nicht von mir, ist aber auch egal von wem, es ändert nichts an der Tatsache). Wenn ich das einfach mal so stehen lasse, dann muss ich nicht immer perfekt sein, sondern ich stehe zu meinen Fehlern und Schwächen. Wenn ich das nicht tue, dann lässt uns die Sucht nach Perfektionismus (ich bin gegen jeden -ismus) oftmals zu Monstern werden. Es geht auch nicht um Schuldzuweisungen, denn „schuldig“ werden wir irgendwie alle, es geht darum zu Schwächen zu stehen und Verantwortung zu übernehmen für das was ich getan habe. Wollen das Eltern, die ihre Kinder diffamieren?

    Du sollst Vater und Mutter ehren – o.k., aber, wenn sie dich schlagen, dann sollst du dich wehren. Auch für Eltern gelten diese Regeln und nicht erst seit gestern. Ich halte es für nicht besonders zielführend, immer wieder auf den Zusammenhang der damaligen Zeit zu verweisen, denn es geht hier um Machtmissbrauch und der ist so alt, wie die Menschheit.

    Das Erstaunliche dabei ist, dass meine Schwester, die seit über zwanzig Jahren in Therapie ist, einen ganz anderen Weg geht als ich. Ich habe mich losgesagt, weil ich meinen Kindern und meinem Mann diese Bürde nicht auch noch aufhalsen wollte, da ihnen die nötige Distanz dazu fehlen würde. Ich hatte das Glück, mich bei einem einfühlsamen verständnisvollen ev. Pastor auskotzen zu dürfen. Dafür bin ich ihm, meinen Kindern, meinem Mann unendlich dankbar, dass sie mich so nehmen, wie ich bin, denn ich werde ziemlich zickig bei Menschen, die glauben „zu wissen“ und damit alles, was nicht in ihr Weltbild passt abwerten.

    Meine Schwester pflegt noch Kontakt zu meiner Mutter (mein Vater ist schon seit einiger Zeit tot), allerdings nur über eine räumliche Distanz. Alleine wäre ihr eine Begnung zu schmerzhaft, eine neutrale Begleitung lässt meine Mutter nicht zu.

    Kinder betteln auf verschiedene Weise um ihre Eltern, nur irgendwann ist der Zug abgefahren, für jeden von uns.

    Viele Grüße und viel Kraft

  6. einszweidrei sagt:

    Hallo,

    auch ich habe meine Eltern „verlassen“. Auch ich bin Mutter von zwei Söhnen und ich habe keine Angst, dass sie mich verlassen werden.

    Warum das so ist – weil ich mich irgandwann entscheiden musste.

    Diese Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen – aber irgendwann müssen sich eben Eltern entscheiden.

    Viele Grüße und viel Kraft

  7. verlassende Tochter sagt:

    Hallo Zusammen!

    Auch ich bin eine verlassende Tochter.
    Vor ca. zwei Wochen habe ich einen Bericht über das Thema gesehen, der mich wiedermal dazu gebracht hat, über meine eigene Situation nachzudenken.
    Zuerst fällt mir auf, dass es im Internet weitaus häufiger Foren gibt, die „verlassene“ Eltern betreiben. Dort schlägt einem zum Teil sehr viel Unverständnis und auch Hass auf die eigenen Kinder entgegen. Da frage ich mich, ob diese Eltern überhaupt ein Interesse an einem Gespräch und/oder Versöhnung haben oder nur eine Plattform suchen, um sich selber öffentlich zu bemitleiden und bemitleiden zu lassen.
    Es fällt auf, dass vielfach die Schuld bei den Kindern oder Schwiegerkindern gesucht wird und gar nicht bei sich selber. Dabei sind doch beide Seiten Schuld?!
    Aber nun zu meiner Geschichte: Wie die anderer hier, ist diese etwas länger und ich weiss, dass auch ich meinen Teil zu dieser ganzen Situation beigetragen habe.

    Ich bin 42 Jahre und in der Ex- DDR aufgewachsen.
    Ob ich ein Wunschkind war, weiss ich nicht. Wohl eher nicht, da ich zu einem Zeitpunkt geboren wurde, als meine Mutter mitten in einer Ausbildung war. Ich wurde dann von den Eltern Väterlicherseits ganz sicher bis zu meinem 3. Lebensjahr betreut und aufgezogen, dann war anscheinend auch die Ehe meiner Mutter kaputt.
    Als ich 4 war, heiratete sie neu und ich bekam ein Jahr später einen Bruder. Dieser neue Mann sollte in meinem Leben eine grosse Rolle spielen.
    Auch diese Ehe scheiterte, aber sie liess sich nicht scheiden. Ertrug den Alkoholismus und die Schläge. Ab einem gewissen Alter bekam auch ich dann Schläge.
    Erinnerungen an meine Kindheit habe ich nur negative.
    Durfte nach der Schule nicht raus, durfte niemand mit heim bringen. Einmal, als ich es gewagt hatte, am Nachmittag weg zugehen, stand mein Stiefvater mit dem Messer in der Hand hinter der Tür und hat auf mich gewartet.
    Es gab Abende, da konnten wir als Kinder nicht auf`s WC, weil er besoffen darauf eingeschlafen war oder er war wieder so aggressiv und hat nur einen Grund gesucht zum schlagen und Zeug in die Gegend zu schmeissen.
    Irgendwann fing er an, mich anzufassen. Ich war ca. 13 oder 14 Jahre alt. Wir schliefen alle im selben Zimmer. Es ist glücklicher Weise NIE zum GV gekommen, aber betatscht hat er mich über Jahre und ich konnte mich nicht wehren. Im Gegenteil ich hatte immer im Kopf, was meine Urgrossmutter manchmal sagte, wenn ich als Kind im Bikini im Garten lief. “ Mädchen, zieh Dir etwas an, der Mensch hat böse Augen“ Aber als 12 jährige? Was weiss man da schon von solchen Sachen?
    Meine Mutter wusste von der ganzen Sache. Sie hat immer behauptet, sie könne nichts machen. Sie wäre auf der Polizei gewesen. Die hätten ihr gesagt, es muss erst etwas passieren!!! Ich weiss nicht, ob das zu dieser Zeit so war. Aber ich hätte Verwandte in der Gegend gehabt und wäre mit Freuden dort unter gekrochen. So musste ich das ganze ertragen.
    Eines Abends eskalierte die Situation, er schlug sie und da habe ich (inzwischen 16) bei Nachbarn die Polizei gerufen. Die kam und hat mit ihm nichts gemacht, nur uns ins Spital gefahren. Darauf hin hat mich dieser Mensch rausgeschmissen, weil ich die Polizei hineingelassen habe (ich bin überzeugt davon, dass, wenn er gewusst hätte, dass ich sie geholt habe, er mich umgebracht hätte). Meine Mutter hat er dann nochmals halb tot geschlagen. Das war aber die Möglichkeit für sie dort endlich auszuziehen.
    Ich bin dann in die Lehre gegangen und war dadurch so wieso zu Hause weg. Habe meinen späteren Mann kennen gelernt. Dieser war für sie nicht der richtige Schwiegersohn. Einfach nicht intelligent genug. Meine Schwiegermutter ist nach ihren Worten auch eine primitive Frau.
    In meinem Leben lief ansonsten alles glatt. Ich hatte in der Schule nie Schwierigkeiten und auch sonst. Sah bei meinem Bruder anders aus.
    In der Zwischenzeit hatte ich Familie gegründet und bin mit meinem Mann in sein Heimatland gezogen, ca. 800km von zu Hause weg. Da bekam ich dann zu hören, dass ich ihr die Enkel entziehe.
    Wir hatten telefonisch Kontakt, ziemlich regelmässig so einmal die Woche . In der Zwischenzeit bekam ich mein drittes Kind. Wir sind alle zwei Jahre „nach Hause“ gefahren. Ist eine ganz schön lange Fahrt mit drei Kindern, aber wir haben das gemacht. Sie hat es nicht geschafft, mit meinen Kindern etwas zu unternehmen. Immer waren die Kinder meines Bruders wichtiger. Da konnte man frei machen, mit denen ist man die Ferien gefahren.
    Sie hatte inzwischen einen neuen Partner, mit dem verstehe ich mich recht gut. Für sie war der Weg hierher zu weit und die Besuche wurden immer seltener.
    Die Telefonate blieben, wenn ich aber nicht zu der von ihr bestimmten Zeit anrief, wurde sie verrückt und hat nicht mehr mit mir gesprochen. Wenn ich dann wieder anrief hiess es: ach meldest Dich mal wieder, ich habe gedacht, Du hast mich vergessen. Aber in was für einem zynischen Ton.
    Irgendwann eskalierte die Situation nach gegenseitigen Vorwürfen und ich rief nicht mehr an. Ich hatte keine Lust mir ständig anzuhören, was für eine schlechte Tochter ich bin, wie ich meinen Bruder verzogen!!!! habe. Ich bin an seinem Unglück Schuld, ich hätte ihn ja schliesslich erzogen. Immer wenn ich ihr etwas positives zu berichten hatte, hiess es : ja aber dein Bruder ist gerade arbeitslos, hat seine Freundin verloren, kämpft um seine Kinder, bla, blabla. Ich habe meinen Bruder gern und ihm mache ich auch keine Vorwürfe.

    Nach diesem Streit habe ich am nächsten Tag ihren Partner angerufen und mit ihm über die ganze Sache geredet. Er hat sein eigene Geschichte, aber er hat mir zugehört und mich vor allem verstanden! Ein viertel Jahr später habe ich mich hingesetzt und meine Gedanke und Gefühle zu der ganzen Sache aufgeschrieben. Ich war bereit einen Schritt auf sie zu zugehen. In meiner ganzen Aufregung habe ich den Brief an sie ohne Anrede geschickt. Mir war das vollkommen entgangen. Postwendend kam eine Mail zurück, in der das bemängelt wurde und wieder gab es Vorwürfe. Wie undankbar ich doch sei und ich hätte doch immer schon profitiert von allem. Das war dann der Satz, der das ganze Fass zum überlaufen brachte. Ich habe noch einmal geantwortet und sie gefragt, ob ich davon profitiert hätte, als ich über Jahre zuschauen musste, wie sie und ich verdroschen wurden, ob ich profitiert hätte, als er mich betatscht hat? Das hat mich über Jahre in meiner Ehe begleitet!
    Und ich habe ihr geschrieben, dass ich mich nicht mehr für ihr verpfuschtes Leben verantwortlich machen lasse und sie gebeten, den Kontakt zu unterlassen. Das war vor 5 Jahren. Seit dem geht es mir besser.

    Das ist meine Geschichte. Es tut mir leid, dass es so lang geworden ist. Aber Danke, dass Ihr bis hierher gelesen habt.

    Schönen Tag

  8. Chiara sagt:

    Vielen Dank für all die Beiträge! Ich habe auch den Kontakt zu beiden Eltern abgebrochen und beim Lesen ist mir etwas klar geworden, was mich noch gequält hatte. Ich habe relativ früh, als junge Erwachsene, gemerkt, daß da etwas schief gelaufen war und daß ich mein Leben nicht so leben konnte, wie ich eigentlich wollte. Zuerst war ich sehr wütend auf meine Eltern und habe ihnen Vorwürfe gemacht. Aber nicht lange. Erstens ist meinen Eltern Vorwürfe machen wie gegen eine Gummiwand laufen. Und zweitens war mir selbst bald klar, daß Vergangenes nicht ungeschehen zu machen ist und daß, wenn ich Heilung/Veränderung will, ich selbst dafür sorgen muß. Das habe ich dann getan, in jahrelanger, mühsamer, oft sehr schmerzhafter, aber auch wieder freudig/lebendig machender Kleinarbeit. Und nach ca. 15 Jahren stellte ich fest, daß meine privaten Beziehungen mittlerweile tatsächlich anders waren. Ich hatte gelernt, Grenzen zu setzen und Mindestbedingungen zu stellen, statt einfach nur ergeben zu akzeptieren, was man mir anbot. Die einzigen, die gewissermaßen noch „Bestandsschutz“ hatten, was das „über meine Grenzen trampeln“ anbelangte, waren meine Eltern.

    Ich habe eine Menge probiert. Zuerst habe ich versucht, den Kontakt von mir aus so zu gestalten, daß er „ungefährlich“ war. Als ich merkte, daß das nicht ausreichte und sich trotzdem immer wieder Situationen ergaben, die für mich inakzeptabel waren (und die ich mir auch von sonst keinem Menschen in meinem Leben mehr hätte bieten lassen), versuchte ich, meine Eltern um „Mitarbeit“ zu bitten, zu sagen, was mir nicht gefiel/mich schmerzte und wie sie sich anders verhalten könnten. Das scheiterte aber – wie zuvor schon immer – daran, daß sie der Ansicht waren, daß sie bestimmen konnten, ob etwas für mich wirklich ein Problem darstellte (oder ob ich mich einfach nur anstellte/übertrieb/etwas ganz falsch sah etc.). Da das Problem (insofern es nur meines war) in ihren Augen keinerlei Realität hatte, konnten sie zur Lösung also nicht beitragen. Wieder war ich auf mich selbst angewiesen. Wenn ich mein Problem gelöst haben wollte, mußte ich es selbst lösen. Und dafür blieb mir am Schluß nur die Möglichkeit, den Kontakt zu beenden, der mir nicht gut tat und mir keine Freude machte. (Natürlich habe ich das vorher angekündigt und erklärt und gehofft, daß sie unter den Umständen vielleicht doch nochmal in Betracht ziehen, zur Problemlösung beizutragen. Aber das war halt nicht der Fall.)

    In gewisser Weise war der Kontaktabbruch der zweite Schritt in einem Akzeptanzprozeß: mit Anfang 20 habe ich begriffen, daß ich mich selbst heilen muß und akzeptiert, daß meine Eltern mir nicht dabei helfen würden/konnten. 15 Jahre später habe ich akzeptiert, daß sie sich nicht in einer Weise verändern würden, die für mich einen Kontakt mit ihnen erträglich machen würde. Das war nicht schön, und ich hätte es gern anders gehabt. Aber manchmal ist es mutig, eine Hoffnung aufzugeben, wenn klar ist, daß sie sich nicht erfüllen wird. Ich habe akzeptiert, daß meine Eltern die Freiheit und das Recht haben, die zu sein, die sie sein wollen und daß ihre Entscheidung mir nicht gefallen muß. (Umgekehrt gilt für mich natürlich das gleiche.)

    Was aber immer noch an mir nagte, war, daß sie mich so gar nicht in Frieden gehen lassen konnten. Beide haben auf ihre Weise versucht, massiven Druck auszuüben, um mich zurück zu holen und sich bei Verwandtschaft und Bekanntschaft ausgiebig über mich beklagt und versichert, daß es keinen vernünftigen Grund für mein Verhalten gebe. (Ist aus ihrer Sicht ja auch so, denn das, was für mich schwierig und problematisch war, ist ihrer Ansicht nach ja kein Problem und kann also keinesfalls irgendwelche schwerwiegenden Konsequenzen haben.)

    Beim Lesen der Kommentare hier habe ich darüber nachgedacht, warum es mir als junger Erwachsener doch relativ (relativ!) leicht gefallen ist, meinen Eltern für meine „Beschädigungen“ keine Schuld zu geben. Ich glaube, das lag daran, daß ich sehr genau mitbekommen hatte, welches Verhältnis sie zu ihren eigenen Eltern hatten. Das war keineswegs besser, aber deutlich anders als meines zu ihnen. Wenn ich es auf einen Begriff bringen soll: in den Herkunftsfamilien meiner Eltern hatte keiner Gefühle (zu haben), die Eltern nicht und die Kinder auch nicht. Bei uns hingegen gab es Gefühle: ich fühlte ihre tiefsten Gefühle und ihre Verletzbarkeit FÜR meine Eltern. Das hieß natürlich, daß ich meine eigenen Gefühle nicht fühlen und nicht richtig Kind sein konnte. Aber trotzdem ergab sich dadurch eine teilweise sehr intensive (wenn auch einem Eltern-Kind-Verhältnis nicht angemessene) Nähe und Innigkeit zwischen uns. Für meine Eltern war es eine Erleichterung, daß endlich ihre Gefühle, zumindest ein Stück weit, gefühlt wurden, und ich fühlte mich als Kind selbstverständlich geehrt, eine solche Bedeutung für sie zu haben und etwas für sie tun zu können.

    Aber natürlich ist auch klar, daß das nicht dauern konnte. Für meine Eltern war das damals zunächst deshalb so eine tolle Lösung, weil sie auf diese Weise selbst nicht fühlen mußten, was zu schmerzlich war, aber trotzdem auf ihren fühlenden Seelenanteil, den sie zu mir „ausgelagert“ hatten, ständig Zugriff hatten, solange ich mit ihnen zusammen wohnte und ja auch existentiell völlig abhängig war. Aber nachdem ich dann erwachsen war, stand dauernd die Gefahr am Horizont (sozusagen), daß ich diesen Seelenanteil ihrer Verfügung entziehen könnte. Meine Eltern konnten es sich emotional gar nicht leisten, mich erwachsen und emotional unabhängig werden zu lassen.

    Diese Erkenntnis erklärt mir im nachhinein einiges an ihrem Verhalten, das ich zu der Zeit teilweise ausgesprochen destruktiv fand. Als Erwachsene hatte ich immer das Gefühl, wenn ich gerade dabei bin, einen weiteren Reifungsschritt zu tun, dann werfen mir meine Eltern alle Knüppel zwischen die Beine, die sie nur finden können. Das hat mich verletzt. Unterstützung hatte ich ja schon gar nicht mehr erwartet, aber doch schon, daß sie mich wenigstens nicht aktiv behindern. Ich begreife jetzt: das war kein böser Wille, und sie wollten mir nichts antun. Sie wollten nur den Zugriff auf ihren „ausgelagerten Seelenanteil“ nicht verlieren. Deswegen waren sie auch so böse und fühlten sich so im Recht, als ich ging: ich hatte ihnen einen Teil ihrer Seele gestohlen. Natürlich kann niemand einem anderen wirklich dessen Gefühle oder dessen Seele stehlen. Aber um diesen Teil zu sich zurückzuholen, hätten sie all die schmerzlichen Gefühle selbst spüren müssen, die sie nie fühlen wollten – deswegen hatten sie diesen Teil ja überhaupt ursprünglich zu mir „ausgelagert“. Und das kann ich übrigens ganz gut verstehen, daß sie das nicht wollten. Ich habe auf meinem Weg selbst sehr viel gefühlt, was so schlimm war, daß ich jeden problemlos verstehen kann, der lieber stirbt, als das zu fühlen. Irgendwie gibt es da tatsächlich keine wirklich tolle Alternative.

    Ich glaube, ich habe jetzt den dritten Schritt in meinem Akzeptanzprozeß getan und verstanden, daß meine Eltern mich nicht in Frieden gehen lassen KONNTEN. Wenn sie in der Lage gewesen wären, das zu tun, was dafür unverzichtbare Voraussetzung gewesen wäre: ihre Gefühle zu fühlen, dann hätte ich möglicherweise gar nicht erst gehen müssen. Aber genau das konnten sie eben nicht. Und ich verstehe jetzt, wieso nicht. Danke.

  9. Sohn André (42 Jahre alt) sagt:

    Mir geht es nahezu genau so, wie Kathi.
    Ich habe vor 1,5 Jahren den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen. Meine Oma lebt noch und die habe ich neulich angerufen. Sie argumentiert fast gleich, wie meine Mutter argumentieren würde. Es ist eine üble Angelegenheit, festzustellen, dass die Mutter eine Person ist, die andere so manipuliert, dass andere Familienmitglieder genau so denken, wie sie.

  10. Kathi sagt:

    Vielen Dank für diesen wunderbaren Blog!
    Durch das neue Buch „Die geprügelte Generation“ bin ich auf das Thema gestoßen – obwohl es mich schon seit meiner Kindheit beschäftigt. Aber damals hatte das Ding noch keinen Namen.

    Ich kann alles hier Geschriebene voll und ganz nachvollziehen, weil es mir ebenso geht. Ich bin mittlerweile Vierzig und halte seit fast 20 Jahren räumlichen Abstand zu meinen Eltern – weil es leider nicht anders geht.
    Versuche, wieder mehr Nähe zuzulassen und sich öfter zu treffen, sind meist von Enttäuschung und Auseinandersetzungen geprägt.

    Im Moment bin ich in einer Phase des Aufarbeitens, was ich mit Hilfe der guten Bücher, die es mittlerweile zum Thema gibt, nun endlich bewerkstelligen möchte. Mein Ziel ist es, ein Ergebnis für mich zu entwickeln, mit dem ich gut leben kann und wo auch genug Raum für meine Persönlichkeit und meine Gefühle bleibt.

    Jahrzehntelange Kränkungen, Beleidigungen, Verletzungen, Unterstellungen, Vorwürfe, aufgestülpte Schuldgefühle, Forderungen von seiten der Eltern etc. haben in mir zahlreiche Wunden hinterlassen, die nur langsam und schrittweise heilen.

    Ich habe mich damit abgefunden, dass meine Eltern emotional eingeschränkt sind. Ich habe meine Träume von einer harmonischen Familie aufgegeben. Ich weiß jetzt, dass meine Eltern sich nicht mehr ändern werden und wollen. Ich bemühe mich, sie einfach so zu respektieren, wie sie sind.
    Glücklicherweise habe auch ich seit einigen Jahren einen verständnisvollen Partner, der mich in meinen Bemühungen sehr unterstützt (gerade der Rückhalt durch liebevolle Mitmenschen ist in dieser Aufarbeitungsphase sehr wichtig).

    Selbst habe ich nie eine Familie gegründet; zu übermächtig war immer die Dominanz meiner Eltern, die stets danach strebten, meine Unabhängigkeit und meine Entwicklung zu bremsen bzw. zu verhindern.

    Mit dem Schicksal bin ich nicht alleine – wie ich inzwischen von vielen anderen Betroffenen weiß.

    Ich wünsche euch allen alles Gute!

    Kathi

  11. Kati sagt:

    Ihr Lieben,

    ich bin so dankbar für diesen Blog: Er zeigt so wunderbar anschaulich, wie schwierig es ist, sich als Kind aus der narzisstischen Umklammerung der Eltern heraus zu winden. Es entlastet mich sehr, dass nicht nur ich allein mich damit schwer tue. Es ist eine ständige Spirale, die mich immer wieder durch Wut und Schmerz führt – aber die Spirale hat etwas Gutes: Ich komme immer ein Stückchen weiter voran! Es ist also keine Endlos-Schleife, in der man auf der Stelle tritt!

    Beides – Wut und Schmerz – sind dabei meiner Meinung nach wertvolle Ressourcen: Wut gibt mir die Kraft, weiter zu gehen und für mich selbst zu kämpfen. Schmerz stellt sicher, dass ich nie wieder den Kontakt zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen aus den Augen verlieren werde. Ich glaube mittlerweile (nach langen Jahren der Auseinandersetzung mit diesem Thema), dass ich gegenüber meinen Eltern einen sehr großen Vorteil habe: Ich darf mich aus ihrer Umklammerung lösen, weil es mittlerweile gesellschaftlich „erlaubt“ und möglich ist, und habe 1.000 Möglichkeiten, mir dafür Hilfe zu holen. Meinen Eltern stand im Verhältnis zu den eigenen Eltern beides nicht oder erst sehr viel später auf ihrem Lebensweg zur Verfügung.

    Liebe Frau Dr. Voos: Herzlichen Dank, dass Sie so professionell und mitfühlend zwischen den Seiten vermitteln. Dass Sie die psychischen Zwangsjacke, in der manche Eltern stecken und die den Eltern Mitgefühl und Verständnis für ihre Kinder unmöglich macht, vergleichen mit einer körperlichen Behinderung, mit der man sich als Kind abfinden muss, hat mir sehr geholfen!!! Herzlichen Dank für dieses Bild!!! Es hat mir die Unabänderlichkeit der Situation vor Augen geführt.

    Ich für mich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es eine Form von Respekt gegenüber den eigenen Eltern ist, an deren Zwangsjacke nicht rütteln bzw. deren Behinderung nicht gegen deren Willen heilen zu wollen… Denn jeder muss sein eigenes Entwicklungstempo selbst bestimmen dürfen, und dieses Recht haben eben auch Eltern. Oder wollen wir Kinder etwa unseren Eltern Verhaltensregeln (Einsicht und Arbeit an sich selbst) auferlegen, als seien wir die Eltern und sie die „dummen Kinder“, denen man sagen muss, was sie zu tun haben? Irgendwie finde ich es auch widersprüchlich, als Kind einerseits von den Eltern zu verlangen, sie mögen ihre Kinder „auf Augenhöhe“ und „wie Erwachsene“ behandeln, andererseits aber wie ein Kind um Mitgefühl und Verständnis zu betteln. Was denn nun: Erwachsene Autonomie oder kindliche Abhängigkeit?

    Ich glaube, es ist schlichtweg nicht zielführend, sich an die Hoffnung zu klammern, dass sich die eigenen Eltern noch einmal ändern oder Einsicht zeigen werden. Damit mache ich mich nur selbst abhängig, weil ich mein Wohlergehen an ein Ereignis knüpfe, dessen Eintreten ich nicht selbst beeinflussen kann. Was ich beeinflussen kann, ist:

    – Für mich selbst sorgen, herausfinden, was ich für mich selbst möchte und das zur Not gegen den Willen der Eltern durchsetzen.
    – Grenzen ziehen dort, wo ich mich schützen möchte, und sei es durch (vorübergehenden) Kontaktabbruch.
    – Mehr Mitgefühl für mich selbst als für meine Eltern.
    – Selbst Verantwortung für meine Wut und meinen Schmerz übernehmen und geeignete Bewältigungsstrategien dafür zu finden, anstatt auf „Erlösung“ von anderen und insbesondere von meinen Eltern warten.

    Wer sich an Erwartungen gegenüber den eigenen Eltern festhalten möchte, kann das gern tun. Er/sie muss nur bereit sein, den Preis dafür zu zahlen: lebenslange Fremdsteuerung in Sachen Zufriedenheit und Glück, statt erwachsener Autonomie und Selbstbestimmung. Ich weiß, dass das jetzt hart klingt. Ich fand es auch hart, als ich es das erste Mal vor vielen Jahren gehört habe, und es hat einige Zeit gedauert, bis es endlich zu mir durchgedrungen ist. Aber diese Sichtweise hat mir letztlich geholfen, den vielleicht und hoffentlich letzten Schritt aus der Spirale herauszutreten. Das hat übrigens ganz erstaunliche Auswirkungen auf meine Eltern gehabt: sie halten deutlich mehr Abstand und sind weniger übergriffig…

    Ich rechne damit, dass ich vielleicht wieder in die Spirale zurück fallen könnte. Die Gefahr besteht. Ich habe mir für diesen Fall vorgenommen, mit mir nachsichtig und mitfühlend zu sein und mich aufzuraffen, wieder aus der Spirale herauszutreten.

    Seit meinem ersten Kommentar hier ist einige Zeit vergangen. Ich kann mir jetzt eingestehen, warum mich das Buch von Frau Kindt damals so aus der Fassung gebracht hat: Es war die Vorstellung, meine Eltern läsen dieses Buch und ergehen sich selbstzufrieden in Selbstmitleid. Das fand ich offenbar total ungerecht, weil doch eigentlich… Jetzt sehe ich das zum Glück mit Gelassenheit: Sollen meine Eltern doch das Buch lesen und in Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid zerfließen! Dieses Leben hat so seine Tücken, und jeder muss den für sich selbst stimmigen Weg finden, die eigenen Leiden zu lindern. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied! Und was meine Eltern für richtig befinden, muss ja nicht heißen, dass auch ich das für richtig halte!

    So gesehen bin ich Frau Kindt heute dankbar (was allerdings nichts an meiner tiefen Skepsis gegenüber ihrer Qualifikation als „Beraterin“ ändert): Ihr Buch hat mich (ein weiteres Mal) dazu gezwungen, die Erwartungen gegenüber meinen Eltern loszulassen. Und im Nachhinein erkenne ich, was mich vom Loslassen abgehalten hat: Die nackte Angst, sie endgültig zu verlieren. Durch diese Angst bin ich mittlerweile durchgegangen. In gewisser Weise habe ich sie auch verloren, weil ich ihnen gegenüber keine Erwartungen mehr habe. Aber dieses Loslassen und Verlieren hat offenbar auch meinen Eltern geholfen, mich etwas mehr loszulassen. Es wird zwischen uns nie auch nur den Hauch eines echten mitfühlenden Kontakts geben. Aber ich bin dankbar, dass jetzt überhaupt Kontakt zu für mich im Großen und Ganzen akzeptablen Bedingungen möglich ist. Und ich bin gewiss, dass ich für den Fall, dass sich der Kontakt wieder in eine für mich inakzeptable Richtung entwickeln sollte, jederzeit wieder ganz loslassen kann…

    Ich weiß, dass das Verhalten einiger Eltern schlechterdings inakzeptabel ist und sogar lebensgefährlich sein kann. Den Betroffenen schicke ich mein Mitgefühl, weil ich eine Ahnung davon bekommen habe, wie furchtbar es ist, die eigenen Eltern und damit ein Stück weit auch immer die eigenen Wurzeln für immer hinter sich zu lassen. Aber ich bin mir sicher, dass jeder Mensch auch aus eigener Kraft neue Wurzeln bilden kann: Wenn man einen abgeschnittenen Zweig in Wasser stellt, wachsen ihm ja auch nach einiger Zeit eigene neue Wurzeln. Die moderne Hirnforschung hat zum Glück mittlerweile bewiesen, dass menschliche Gehirne in jedem Lebensalter noch neue Zellen und Verbindungen herstellen können. Es liegt weitgehend in unserer Hand, wofür wir unsere Gehirne und unsere Kraft und Aufmerksamkeit nutzen wollen, also warum nicht für „neue Wurzeln“???

    Ich wünsche allen Betroffenen auf beiden Seiten alles, alles Liebe und hoffe für unsere Gesellschaft, dass wir die Gräben irgendwann einmal werden überwinden können! Frau Dr. Voss, Sie werden einen wichtigen Beitrag dazu geleistet haben!

    Herzliche Grüße, Eure Kati

  12. Ingrid sagt:

    Lieber Roland,

    ich war schon seit Monaten nicht auf dieser Plattform, heute wiedermal zufällig und da sehe ich Deinen Beitrag von gestern, und den Bezug auf meinen Beitrag – ein lustiger Zufall.
    Du sprichst weise, und das lässt mich vermuten, dass Du auch eine gewisse Selbstentwicklung hinter Dir hast.
    Du hast meine Einstellung zu dieser Problematik in den Beiträgen sicher mitbekommen.
    Ich wollte Dir nur kurz sagen, dass Du bitte über Dich selbst nicht enttäuscht sein sollst ! Das fände ich ungerecht und schade. Du versuchst Deine Mutter zu verstehen, trotz Ihrer Nichteinsicht und wenn es Dir mal nicht gelingt, bist Du über Dich selber enttäuscht ??? Bitte NIIICHT …. !!! Du sollst Wut, Ärger, Enttäuschung über sie spüren und zulassen. Und wenn nicht über sie, dann von mir aus über das Leben, dass Du mit Ihr hattest. Aber – auf keinen Fall über Dich selbst. Wir wissen beide, dass wir weder unsere Eltern, noch das Erlebte ändern können – aber ärgern darüber dürfen wir uns endlich bis zum Umfallen :-) Das ist unser Recht.

    lg, Ingrid

  13. Roland sagt:

    Sehr berührende Einträge habe ich hier aufgefunden (bin noch nicht durch mit lesen).
    Liebe Ingrid, dein letzter Eintrag hat mir aus dem Herzen gesprochen. Ich musste bei meiner Mutter einsehen, dass wir einfach nicht die selbe Sprache sprechen und das zu erkennen, war nicht leicht für mich. Selbstreflexion kommt bei ihr auch nicht in die Tüte. Wahrscheindlich würde es bei ihr zu viel aufbrechen, ein Gerüst würde zusammen brechen… denn wenn man einmal anfängt, kommen Dinge zum Vorschein, die man verdrängt hatte. Dass das nicht leicht und risikoreich ist, ist für mich nachvollziehbar.
    Zurzeit bin ich am lernen, dass sie eben so ist, wie sie ist und ich nicht Dinge erwarten kann, die nicht im entferntesten zu ihrem Charakter passen würden. Meist leichter gesagt, als getan. Und dann bin ich oft von mir enttäuscht…

    Liebe 45-jährige-Tochter
    Nein, eine Entschuldigung ist nicht umbedingt das, was ich/wir möchte/n. Und wenn, dann müsste die Entschludigung wirklich eine Einsicht zeigen, aber können ein paar Sätze alles „reparieren“. Auf Worte müssen Taten folgen. Und dann stellt sich wiederum die Frage, wären wir bereit dazu diese Nähe noch einmal zu zulassen?

    Lieber Gruss
    Roland

  14. Maria sagt:

    Ja, die Eltern sehen sich oft als Opfer und sie haben oft bis zur Erschöpfung alles für ihre Kinder gegeben. Ich habe selbst zwei Kinder und weiß das aus eigener Erfahrung. Aber ich würde nie eine Gegenleistung erwarten. Die Eltern sind stark und die Kinder schwach. Über nichts in ihrem Leben haben Eltern so viel Macht wie über ihre Kinder. Die Versuchung zu Missbrauch ist groß. Auch schon in kleinen Dingen. Gerade bei Eltern die selbst eine schwere Kindheit hatten. Ich unterstelle keinem Vater/Mutter, das er seinem Kind weh tun wollte. Aber es ist KEINE Opfer-Opfer-Situation! Die Eltern waren erwachsen und hatten eine Wahl. Die Kinder nicht!! Sie waren ihren Eltern völlig ausgeliefert.
    Es gibt Täter und Opfer. Alles andere ist eine Verharmlosung!!

  15. Tochter sagt:

    … Ich weiß nicht, wie es den anderen Lesern geht. Aber für mich kommt (im Kommentar vom 6.8.2011) nur Abwehr und Wut auf die Tochter rüber. Wie soll da Kommunikation möglich sein?
    „»Ich rate, das Problem offen anzusprechen, dem Kind Gelegenheit zu geben, sich zu äußern, und ihm wirklich zuzuhören«, sagt (der Psychologe Hartmut) Kasten. Eltern müssten bereit sein, sich die Kritik des Kindes wirklich anzuhören, ohne sich sofort selbst zu verteidigen. Dazu gehöre auch, eigene Fehler einzugestehen oder einzuräumen, dass man bestimmte Dinge vielleicht nicht bewusst gemacht hat.
    Gut sei auch, dem Kind Ruhe und Abstand zu geben, findet der psychologische Berater Markus Hammer. Dem Kind zu sagen, wie gern man es hat und was es einem bedeutet, ist ebenfalls wichtig: »Das ist oft das, was das Kind hören will.«“ Zitat von http://www.gea.de/magazin/heimat+und+welt/kontaktabbruch+wenn+kinder+auf+distanz+gehen.1468201.htm.

  16. Ingrid sagt:

    Liebe 45-jährige Tochter,

    Vielen Dank für Deine Reflexion. Ich möchte dazusagen, dass ich natürlich auch keine paraten Lösungen habe, aber das Auseinandersetzen, das Hinterfragen, der Austausch, sind für mich alles Mittel eines Prozesses …. das möglicherweise weiterbringt ….
    Zu meinen vorigen Fragen an Dich ist mir wichtig noch zu sagen:
    Du mit Deinen Empfindungen und Gefühlen hast – auf jedenfall ! – Recht, selbst wenn es Deiner Mutter NIE möglich sein wird je Einsicht zu nehmen …. Wir müssen unsere eigene liebende Mutter in uns selber finden. Den Ersatz. (es tut mir leid, dass ich das Wort „muss/müssen“ verwende, den es muss niemand irgendetwas tun …. !!!)
    Meine Mutter hat den Prozess der Aufarbeitung eigener Biografie auch nie gemacht und wird es mit Ihren 67 Jahren auch nicht mehr tun. Sie wollte es nie, obwohl ich es Ihr wärmstens geraten habe und sie sogar darum gebeten habe uns zu Liebe, ich habe es ja auch gemacht …. ich musste es tun ….
    Sie hat aber leider immer alles besser gewusst und hat immer betont, jeder muss sich selber helfen können und sie bräuchte niemanden. Natürlich nicht – denn sie wollte immer nur mich als Bezugsperson haben … Und da – sind wir eben wieder bei Ihrer eigenen Vergangenheit angelangt.
    Ich habe auch versucht andere, dritte Personen von aussen zuzuziehen, aber das ist mir nie gelungen. Sie hat immer abgeblockt.
    Heute weiss ich, dass wir jahrelang in einer krankhaften Symbiose gelebt haben (ohne Geschwiter, ohne Vater), nach aussen total dicht, und das ich damals so nicht mehr weiterleben konnte. Selbst wenn ich mir heute sogar manchmal sage! – hätte ich es doch irgendwie weiter so mitgemacht – !!!!
    Aber das war auch nicht das einzige Übel, jedoch wäre das für hier ein zu langes Schildern.
    Nach jahrelanger Symbiose folgte eine gewaltsame Trennung (heimlich und ohne Ankündigung) und daraufhin jahrelange Annäherungsversuche …..
    Vor ca. 8 Jahren habe ich eingesehen, dass ich nicht nicht mehr helfen kann und dass es genug ist.
    Ich habe mich einseitig einer langen Therapie unterzogen und habe mich um Welten verändert.
    Meine Mutter leider nicht.
    Ich wollte Ihr immer SO SEHR helfen, ich würde es am liebsten jetzt auch noch tun …. aber wie ????
    Ich ertrage nicht mal Ihre Anwesenheit, Ihren Blick. Noch immer nicht ! ….. Und das tut weh, denn selbstverständlich fehlt sie mir ….
    Ich habe mich irgendwie damit bereits abgefunden, dass ich keine Eltern mehr habe.
    Dein Gedanke an eine „bedingungslos liebende Mutter“ – das ist ein Kindheitstraum und eine Illusion, das können wir bitte nicht mehr erwarten, glaube mir, denn sie sind wie sie sind ! Und dafür gibt es eben Gründe aus Ihrer Vergangenheit. Sie sind liebend auf Ihre Art, wie sie es können und glauben. Und Ihre Überzeugungen werden sich ohne therapeutische Reflexion NIE ändern.
    Ohne Aufarbeitung geschieht das nicht aus der tiefsten inneren Überzeugung sondern nur damit sie uns irgendwie wieder haben.
    Meine Mutter ist alt, krank (Parkinson) und alleine (denn sie hat ja nie jemanden gebraucht). Und sie tut mir tief im Inneren sehr sehr leid.
    Ich habe sie verstossen, damit ich atmen kann und damit sie Ihre Selbsständigkeit wieder erlernt.
    Ich liebe und hasse sie zugleich.
    Ich wünschte mir, jemand würde Ihr helfen … !
    Sie ist sogar mal zu meinem damaligen Therapeuten gegangen und der hat danach zu mir gesagt, meiner Mutter ist NICHT MEHR ZU HELFEN ! Was für ein Blödsinn ! Und das hätte damals eine echte Chance sein können …
    Und Du weisst doch selber, dass der therapeutische Prozess oft sehr schmerzhaft und anstrengend sein kann – würdest Du es wirklich Deiner Mutter noch zumuten ? Ihre ganze Weltüberzeugung auf den Kopf zu stellen ? Daran können manche sensible Menschen sogar zerbrechen !!!
    Es müsste ein verdammt einfühlsamer und geduldiger Therapeut sein …. und es wäre ein seeeeeeeehr langer Prozess …

    „Ich frage mich nur, ob es nicht doch viele unter ihnen (uns) gibt, die es nicht für sich, nicht aus sich heraus geworden sind und nicht bis ins Innerste zufrieden sind und bei sich sein können….. sondern in die Rolle (!) eines glücklichen und erfolgreichen Menschen geschlüpft sind. – Ist die Frage nicht auch: Wie definiere ich Glück und Erfolg?

    Solche, die in die Rolle nur geschlüpft sind, die reflektieren nicht und machen auch keine Therapie.
    Das ist meine Erfahrung. Ich für mich, kann nur noch schwer so tun als ob … ich bin sehr kritisch und für Unstimmigkeiten sehr empfänglich geworden und das macht mich natürlich auch oft unzufrieden, obwohl ich schon der Typ bin, der sehr gut bei sich selbst sein kann und der seinem inneren Gleichgewicht auch schon sehr nah gekommen ist. Und – natürlich bedeutet Glück und Erfolg für jeden was anderes, das habe ich auch so im individuellen Sinne gemeint … Mich interessiert eben wirklich sehr, mit welch allen möglichen Folgen haben die heut erwachsenen „Kinder“ in Ihrem Leben zu kämpfen …. Ich glaube diese Frage interessiert mir sogar mehr als das nachträgliche Nachempfinden eigener Eltern in das was war ….
    Ich für mich nähere mich eventuell sogar der Einsicht, dass mein Bedauern über meine Mutter, unser schief gelaufenes Verhältnis, das Leben und die Sehnsucht nach Ihr, mit meinem Alter so ansteigen werden, dass ich Sie eines Tages an meine Brust werde nehmen können, obwohl ich Ihr trotzdem nie verzeihen kann. Aber sicher bin ich mir dessen nicht …. das ist nur so ein Bild, das ich im Kopf habe.

    Weil, was ist hier eigentlich zu Verzeihen ??? Sie können doch im Prinzip selbst nichts dafür wie sie geworden sind und was Ihnen angetan wurde.
    Auch wenn sie später das natürlich hätten erkennen müssen und daran arbeiten müssen – uns zu Liebe …. haben Sie aber nicht ….
    Also glaube ich deshalb: wir haben einfach nur ein verdammtes Pech in diesem Leben gehabt, oder ?

    Bis auf baldiges Wiederhören, Euere Ingrid
    PS: Liebe Fr. Dr. Voos, haben wir überhaupt soviel Platz hier mit unseren Postings ?????

  17. 45-jährige Tochter sagt:

    Liebe Klara,

    es freut mich, dass ich unbewusst auch Schreiberin Deiner Gefühle war/bin. Dennoch möchte ich Dich ermuntern, doch ruhig selbst über Dich zu schreiben. – Es kann befreiend sein. – Einen Maßstab für „schön“ oder „passend“ gibt es nicht wirklich. Ich würde mich über Deine eigenen Worte jedenfalls sehr freuen!
    Seit wann hast Du weniger oder keinen Kontakt zu Deiner Mutter / Deinem Vater? Was hat Dich dazu gebracht und wie geht es Dir damit?

    Doch allein auch so fühle ich mich erneut selbst sehr verstanden. Das tut mir sehr gut. WIR SIND VIELE! Niemand von uns ist mit seinen Gefühlen tatsächlich allein. Der/die Erwachsene in uns kann im Heute dafür sorgen, dass das innere Kind mit anderen zusammen kommt und echtes Verständnis erleben kann. Genau das hat wohl den meisten von uns damals so sehr gefehlt.

    Ich wünsche Dir und allen anderen noch einen schönen (1. Advent-) Sonntag!
    Liebe Grüße von
    45-jährige Tochter

  18. Klara sagt:

    Hallo 45-jährige Tochter,

    Du hast so schön dargestellt wie Du Dich fühlst. Vieles trifft zu 100% auf mich zu – so dass ich eine Gänsehaut bekommen habe, als ich Deinen Eintrag las.
    Ich kann nicht so schön schreiben wie Du, es ist grad als hättest Du meine Gedanken und Gefühle in Worte gefasst.
    Herzlichen Dank dafür!
    Klara

  19. 45-jährige Tochter sagt:

    Liebe Leser*innen und Schreiber*innen,

    interessante Fragen….

    „ist Dir das wirklich SO wichtig, dass Du Verständnis und sogar Entschuldigung von Deiner Mutter bekommst ? Hilft Dir das in Deinem Leben heute wirklich ? Ehrlich gesagt, glaube ich eher nicht, dass Du es je bekommst und auch nicht in der Art, wie Du es erwartest oder es Dir wünschst. Und selbst WENN, was würde es genau in Deinem jetztigen Leben wirklich verändern ???“

    Du hast schon recht. Es kann gut sein, dass ich das Verständnis und DIE Entschuldigung, nicht bekommen werde, so wie ich es mir wünsche. Allerdings kann ich nur dabei bleiben: Ja, mir ist es grundlegend wichtig. DAs ist mein tiefster Wunsch, den ich sehr ernst nehme, eben weil ich meine Gefühle und meine Sehnsüchte nicht mehr deckeln möchte.
    Wenn ich mir vorstelle, meine Mutter würde nach einem längeren eigenen inneren Prozess tatsächlich nachfühlen können, wie ich mich besonders als Kind gefühlt habe und auch heute noch fühlen kann, und sie würde sich dazu auch noch aus tiefstem Herzen bei mir entschuldigen….. Ich kann in mir spüren, dass sich eine heilende Wärme in mir ausbreiten würde. Dadurch würde sich mein permanenter – mal mehr mal weniger intensiv – emotionaler Schmerz ganz langsam auflösen können. Den größten Anteil dieses inneren Heilungsprozesses kann ich nur selber in die Hand nehmen. Doch es wird, zumindest mich betreffend (so fühle ich es im Heute), für immer ein Stück Heilung fehlen, wozu ich ganz konkret das Mitgefühl meiner Mutter brauche. Eine Narbe wird immer bleiben. Sie gut zu pflegen und zu schützen, wird alleine meine Aufgabe sein.
    Dies für mich so zu erkennen, hat mich unter anderem (es war auch Schuldgefühl und in kleinen Momenten auch Mitgefühl für meine Mutter dabei) dazu gebracht, mich nach langer Zeit des Zurückgezogenseins schriftlich an meine Mutter zu wenden, um eine vorsichtige Annäherung auf der Herzebene zu versuchen. Ich empfinde es als Chance für uns beide als Menschen und für unsere gemeinsame Beziehung.
    Sollte dieser Versuch scheitern, werde ich versuchen müssen, die Nichterfüllung meiner größten Sehnsucht (bedingungslos liebevolle Mutter) intensiv zu betrauern und ein Stück weit zu begraben. Ansatzweise tue ich dies immer mal wieder zwischendurch. Es tut übermenschlich weh, sehr ähnlich wie die große Wunde selber. Und ich habe immer noch Angst davor, dieses Wehtun mit all seiner Intensität zuzulassen.
    Meinen Wunsch noch nicht loszulassen und statt dessen per Brief noch mal auf meine Mutter zuzugehen, bedeutet für mich auch, dass ich auch bei einem möglichen Scheitern mir selber sagen kann: „Ich habe es wirklich versucht.“ Auf meine Weise.

    „Und es liegt an der Hand, dass sie sich in Ihrem fortgeschrittenem Alter auch keiner schmerzhaften Therapie mehr unterziehen werden, selbst wenn es manche doch machen, wie sie schreiben, ich vermute aber dass es eine sehr kleine Minderheit ist. “

    Ich bin auch sehr der Meinung, dass Menschen, die nicht zur Empathie fähig sind und unglücklicher Weise zum Beispiel unsere Eltern sind, ihre eigene Biographie aufarbeiten sollten… im besten Fall. Genau an der selben Stelle stehen wir erwachsen gewordenene Kinder auch. Ich denke jedoch öfter, dass auch viel mehr Menschen unserer Generation sowie der jüngeren gut daran täten, sich therapeutisch begleitet auf den Weg zu sich selbst zu machen. Ich erlebe immer wieder Menschen meines Alters und jünger, die emotional sehr ähnlich zu sind wie zum Beispiel meine Eltern. Gruselig.
    Was ein wirkliches Problem ist: Es gibt nur sehr wenige Möglichkeiten für alte Menschen, eine Psychotherapie machen zu können. Leider wird immer noch davon ausgegangen, dass alte Menschen keine Therapie mehr brauchen. Da ist eher das Einsehen gewachsen, dass sie eine neue Hüfte benötigen. Grundsätzlich gibt es für alle Generationen viel zu wenig Therapieplätze in Deutschland. Für alte Menschen noch weniger. Dieser Mangel an Zuwendung auf Seiten der Gesundheitsindustrie und der Krankenkassen kommt mit Sicherheit auch durch mangelndes Verständnis (mangelnde Empathie) dafür, dass der Mensch in jedem Alter geheilt werden kann und dass sich Heilung immer lohnt. Selbst eine Woche psychisch/emotional geheilt vor dem Tod ist wunderbar. Weitere Ausführungen bzgl. der inneren Haltung gegenüber der emtionalen Gesundheit lasse ich an dieser Stelle, weil es sonst viel zu weit führen würde.
    DENNOCH…… In gewisser Hinsicht finde ich aber auch: Wo ein Wille, ist auch ein Weg. Ich musste mich auch auf meinen Weg machen, um die zu mir passende Therapeutin zu suchen (und zu finden). Die vielen Absagen und unbeantworteten AB-Nachrichten hätten mich auch aufgeben lassen können. Doch ich habe nicht aufgegeben, weil ich wissen wollte: Wer bin ich und was macht mich aus? Der große Vorteil der heutigen Zeit auch für ältere Menschen: Immerhin gibt es über die unterschiedlichsten psychischen und emotionalen Themen in jeder Stadt in großem Umfang Literatur, Workshops….. Und: Es gibt sie, die alten Menschen, die sich durchaus noch mal neu auf einen anderen Weg machen.

    „Gibt es überhaupt ein Kind unter uns, welches früher verletzt, enttäuscht, gedemütigt und unterdrückt wurde, das später als erwachsen erfolgreich und glücklich geworden ist ????????????“

    Als Letztes noch ganz kurz hierzu ein Gedanke von mir: Doch, das glaube ich schon. Ich frage mich nur, ob es nicht doch viele unter ihnen (uns) gibt, die es nicht für sich, nicht aus sich heraus geworden sind und nicht bis ins Innerste zufrieden sind und bei sich sein können….. sondern in die Rolle (!) eines glücklichen und erfolgreichen Menschen geschlüpft sind. – Ist die Frage nicht auch: Wie definiere ich Glück und Erfolg?

    Und eine Frage zum Schluss: Warum ist es so verdammt schwer, sich von seinen Eltern auf diese fast endgültige Art zu lösen? Abgesehen von Pflichtgefühlen, Schuldgefühlen, Ängsten, Blut ist dicker als Wasser…. Was ist das für ein unsichtbares Band?

    Bin sehr gespannt auf alle weiteren Beiträge.
    45-jährige Tochter

  20. Ingrid sagt:

    und was ich noch sagen wollte :-)

    Es wäre sicher nicht uninteressant, wenn wir uns alle auch mal life treffen könnten; wir stammen aber ganz bestimmt alle von den verschiedensten Ecken :-)
    Und 45-jährige Tochter: ist Dir das wirklich SO wichtig, dass Du Verständnis und sogar Entschuldigung von Deiner Mutter bekommst ? Hilft Dir das in Deinem Leben heute wirklich ? Ehrlich gesagt, glaube ich eher nicht, dass Du es je bekommst und auch nicht in der Art, wie Du es erwartest oder es Dir wünschst. Und selbst WENN, was würde es genau in Deinem jetztigen Leben wirklich verändern ??? Hast Du Dich das schon mal wirklich gefragt ? Oder hast Du einfach nur eine ganz große Sehnsucht nach einem Kontakt ? Es ist so, wir alle würden gerne unsere Eltern glücklich machen, sie stolz auf uns machen, ich glaube das ist normal. Wie oft ist das aber ehrlich möglich? Sie können oft selber nur selten glücklich und zufrieden sein und ich rede hier natürlich vor allem von unseren problematischen Eltern ….
    Lg, Ingrid

  21. Ingrid sagt:

    Liebe Fr. Dr. Voss,
    nun ein Kommentar zu Ihrem letzten Brief:

    Zuerst möchte ich erwähnen, dass es bestimmt große Unterschiede darin gibt, warum es überhaupt zu einem Kontaktabbruch kommt. Und diese sind ganz bestimmt sehr wichtig dabei, ob es irgendwann mal überhaupt zu einem Wiedertreffen kommen kann oder nicht. Ich glaube nämlich, dass man hier keine pauschalen Aussagen machen kann.
    Mit Unterschieden meine ich zbs: Wie schwer „krank oder gestört“ ist und war das Elternteil und dadurch die Beziehung ?
    Was alles ist passiert ? Gibt es und gab es Ersatzpersonen, die das „Kind“ auffangen konnten und können ?
    Wie schwerwiegend sind die Folgen im Leben des Kindes im Erwachsenenalter ???
    Da gibt es so viele und große Unterschiede ….

    Das spätere Verständnis und Einsicht und Verantwortung übernehmen – was nützt uns das alles heute, wenn Verletzungen schon passiert sind und wir mit den Folgen unser ganzes Leben lang kämpfen müssen ???
    Natürlich bringt uns die Therapie unter anderem auch die Einsicht, dass Eltern aus Ihrer Vergangenheit selbst ein schweres Schicksal und Verletzungen zu tragen haben.
    Und es liegt an der Hand, dass sie sich in Ihrem fortgeschrittenem Alter auch keiner schmerzhaften Therapie mehr unterziehen werden, selbst wenn es manche doch machen, wie sie schreiben, ich vermute aber dass es eine sehr kleine Minderheit ist.

    Aber im Endeffekt was ändert das ?
    Ich kann die Verletzungen, die verletzenden Worte und alles was passiert ist nicht aus meinem Kopf löschen. Ich kann mich der übergroßen Enttäuschung meiner Mutter über mich, die Ihr für immer und ewig in Ihr Gesicht geschrieben bleibt nicht stellen, ich ERTRAGE es nicht.
    Und ich ertrage Ihre Verletzungen, die aus Ihrer Vergangenheit und Kindheit kommen auch nicht.
    Ich ertrage Ihre Traurigkeit und Ihre Depressionen nicht.
    Ich will es nicht tragen.

    Ich muss mein Leben tragen, wie es dadurch geworden ist.
    Ich brauche meine ganze Kraft und Energie um nach Lösungen zu suchen und sie umzusetzen, um noch das bestmögliche daraus zu machen, was da ist.

    Und das ist einfach der Grund, warum wir die Eltern nicht sehen können und wir sie so schmerzhaft meiden.
    Wir brauchen unsere Kraft und positive Energie für unser eigenes Leben, für unsere Träume, die wir vielleicht zumindest zum Teil noch verwirklichen können ?

    Gibt es überhaupt ein Kind unter uns, welches früher verletzt, enttäuscht, gedemütigt und unterdrückt wurde, das später als erwachsen erfolgreich und glücklich geworden ist ????????????
    Tja, das kann man sicher auch nicht so pauschalisieren – denn es gibt eben diese vielen Unterscheide, WAS genau passiert ist. Kann man sich überhaupt je davon erholen und das Leben geniessen und erfolgreich gestalten ?

    Ich lasse das mal jetzt so im Raum stehen, es ist aufjeden Fall interessant sich darüber Gedanken zu machen.

    Ich grüße Euch alle, Ingrid

  22. Christina sagt:

    Danke für diesen Blogartikel!

    Im Jahr 2004 habe ich mich von den Eltern „getrennt“. Alleine hätte ich das nie geschafft. Liebe Freunde/Vertraute halfen mir bei diesem Schritt. Auch wenn nicht die Traumatisierungen den Stiefvaters gewesen wäre, so gab es doch genügend andere Gründe sich von den Eltern zu trennen.

    Es fällt – egal wie – oft auch jetzt noch schwer einzugestehen, dass ich keine Eltern habe. Keine Eltern die, als ich Kind war, Verantwortung übernommen haben/übernehmen wollten (!?). Ein Kind wendet sich nicht ohne Grund von den Eltern ab. Manchmal scheint es unverständlich warum es das tut. Es muss allerdings nicht immer auch etwas dramatisches dahinter stecken. Es passiert den besten Eltern, dass Kinder sich abwenden. Vielleicht gerade deshalb, weil es Kindern gut ging/geht? Nicht falsch verstehen. Gerade in der Pubertät suchen Kinder Reibungspunkte, wollen anecken, wollen sich finden. Nicht jeder kommt damit klar, dass man damit durchaus auf Verständnis stößt.

    Die ersten Tage, Wochen, Monate waren absolut schwer den Kontakt zu den Eltern nicht wieder herzustellen. Scham, Angst, Schuldgefühl, Pflichtgefühl sorgten für reichlich Kopfchaos.

    Aus heutiger Sicht (auch wenn ich manchmal noch hadere und doch die Sehnsucht da ist – dann aber nach Eltern per se nicht nach diesen zwei Personen) weiß ich, dass es für mich! (und darauf kommt es an) der richtige und wichtige Schritt war. Ganz liebe Menschen schenkten mir Worte die sie für treffend halten. Meine 5 unveräußerlichen Freiheiten. Über google leicht zu finden. Und wenn ich es immer ein kleines Stück mehr schaffe, mich danach zu richten, und natürlich auch anderen diese Freiheiten zu zugestehen, geht es mir besser. Kann es mir besser gehen.

    Ich weiß nicht, ob es die Eltern (eher ihr, ihm garantiert nicht) schmerzt keinen Kontakt mehr zu mir zu haben. Ich habe sie nicht danach gefragt. Sie taten mir nicht gut, ich habe gewählt – und ich habe für mich die (meine) Freiheit gewählt.

    Seit 2000 bin ich Mutter eines tollen Sohnes. Es würde mir das Herz brechen, wenn er sich von mir abwendet. Natürlich würde ich die Beweggründe verstehen wollen, ihm zeitgleich aber auch den Raum geben er selbst zu sein, ihm die Hand reichen ohne nach seiner zu greifen….

    Christina

  23. ez2517 sagt:

    Das ist gar nicht so einfach sich von seinen Eltern zu trennen. Ich wurde als Kind nicht traumatisiert aber aus Sicht meiner Eltern bin ich auch nie erwachsen geworden und werde es wohl auch nie. Dass aber genau das passiert ist, wurde verpasst und man ist mit mir weiter wie mit einem Kind umgegangen. Ich habe nun schon seit einiger Zeit keinen Kontakt mehr. Ich sehe auch nicht, dass da nochmal was geht. Aber ich habe das große Glück eine wundervolle Frau gefunden zu haben, die mich auf meinem langen und steinigen Weg begleitet und mit Engelsgeduld unterstützt. Scheinbar kann ich mich wirklich zu den Glücklichen zählen, die auf Freunde und Partner bauen können, die auch das notwendige Verständnis mitbringen und es eben nicht tabuisieren. Dennoch ist es harter Kampf und ich weiß nicht ob ich jemals aufhören werde nach dem Warum zu Fragen. Ich weiß nur, dass es mir ohne Kontakt besser geht. Es ist zwar auch immer na wieder schwer, Weihnachten und Geburtstage sind da beliebte Kandidaten, aber insgesamt ist es besser als auf Familie zu machen, wo keine Familie mehr da ist.

  24. Dunja Voos sagt:

    Liebe Schreiberinnen,

    wovon ihr hier berichtet, ist sehr bewegend. Das Leid, das „uns Kindern“ widerfahren ist, ist oft schwer zu fassen und doch ist es sehr deutlich spürbar. Viele haben mühselig zu sich selbst gefunden. Auch einen Partner zu finden oder eine Familie zu gründen ist für viele „Kinder“ aufgrund der Vergangenheit sehr schwierig. Ich kann sehr gut nachvollziehen, was Du schreibst, liebe 45-jährige Tochter:
    „Dies (das Verzeihen) kann irgendwann vielleicht mal möglich werden, doch für mich gehört davor das Eingeständnis meiner Mutter, dass sie durch ihr Verhalten in mir etwas Grundlegendes zerstört hat: mein Grundvertrauen und damit auch mein Selbstvertrauen. Ich kann nur wieder auf sie zu gehen, wenn sie für ihr Tun die Verantwortung übernimmt und sich von Herzen dafür entschuldigt. Wenn ich spüren kann, dass es ihr wirklich ernst ist, kann das ein Wendepunkt sein, von dem aus wir in kleinen Schritten wieder aufeinander zu gehen können.“

    Aber an dieser Stelle glaube ich, dass viele „Kinder“ häufig noch etwas anderes verschmerzen müssen: Nämlich die Tatsache, dass es den Eltern nicht möglich ist, auf diese Weise Verantwortung zu übernehmen, wie es sich die „Kinder“ wünschen. In unserer Vorstellung müsste das doch machbar sein. Aber es gibt tatsächlich psychische Grenzen, die sich nur sehr, sehr schwer erweitern lassen. Es ist ein wenig wie eine körperliche Behinderung: Wer nur einen halben Arm hat, der kann eben nicht so handeln, als hätte er einen ganzen Arm. Mit diesen psychischen Grenzen müssen wir alle leben, aber sie sind schwerer zu akzeptieren, weil wir die Vorstellung haben, man könnte, wenn man nur wollte.
    Ich habe eine Eltern-Selbsthilfegruppe besucht und war sehr betroffen davon. Die Eltern dieser Gruppe bemühen sich in der Tat aus voller Kraft, zu verstehen, was zwischen ihnen und ihren Kindern steht. Einige machen sogar eine Therapie. Dennoch ersehnen sich die Kinder das Verständnis, das ihnen so lange gefehlt hat – völlig zu Recht natürlich. Aber manchmal müssen die Kinder wohl schmerzlich begreifen, dass sie dieses Verständnis, das sie sich ersehnen, nicht erhalten werden. Nicht, weil die Eltern nicht guten Willens wären – sondern weil sie hier in der Tat nicht die „Verantwortung“ tragen können, die die Kinder von ihnen erwarten. Oder nennen wir es „Einsicht“ oder „Verständnis“ oder was auch immer.

    Oft wünschen sich die Eltern ja von den Kindern „Dankbarkeit“. Das ist aber ein Gefühl, das die Kinder nicht „leisten“ können. Dankbarkeit ist oft nicht vorhanden (oder vielleicht erst ab einem bestimmten Lebensabschnitt). Das ist etwas, was die Eltern schmerzlich begreifen müssen. Gefühle und Einsichten lassen sich nicht erzwingen und nicht willentlich herbeiführen.

    „Wir Kinder“ haben oft das große Glück, gute TherapeutInnen gefunden zu haben, die uns psychisch auf die Welt geholfen haben, die uns helfen, unsere Emotionen kennenzulernen und unsere Traumata zu bewältigen. Dieses Glück haben die Eltern leider oft nicht. Sie sind eben viele Jahre älter und haben oft unglaublich Traumatisches erlebt, ohne dass ihnen im Nachhinein ein Therapeut geholfen hätte, das zu verarbeiten. Sie haben oft keine „nachträglichen Zeugen“, die ihnen helfen könnten, ihre Wunden zu verarbeiten. Die Eltern haben oft über Jahrzehnte „zu gemacht“ – und das häufig eben auch aus gutem Grund: Sie haben ebenfalls kaum vorstellbare Schmerzen erlebt. Und das macht sie sozusagen „unfähig“, Dinge „einzusehen“ oder „nachzuvollziehen“ in der Weise, wie es sich die Kinder wünschen.

    Das Leid ist auf beiden Seiten sehr, sehr groß. Sowohl auf Seiten der Kinder, als auch auf Seiten der Eltern. Hier im Blog gibt es viele Berichte von leidenden „Kindern“, die Unglaubliches erlebt haben. Extrem gesprochen: Auch Verbrecher lässt man ja nicht auf freiem Fuß und man zieht sie zur Rechenschaft. Opfer wünschen sich von den Tätern eine Entschuldigung. Natürlich – und vieles scheint auch unentschuldbar. Aber dennoch gibt es „Kinder“, die in der Therapie auch mithilfe des Therapeuten emotional wirklich verstehen, warum viele Eltern nicht anders „können“, selbst wenn sie wollten. Dieser Punkt ist wirklich wichtig: Der Wunsch nach Annäherung, Verständnis, Entschuldigung, Verantwortung ist da. Aber wir müssen begreifen, dass die Psyche der Eltern genauso Grenzen hat wie die der Kinder. Oftmals sind neue Begegnungen zwischen Kindern und Eltenr möglich, wenn die Kinder auf gewisse Weise Abschied nehmen können von ihrer Vorstellung, irgendwann würden der Vater/die Mutter „ein Einsehen“ haben. Manchmal gelingt es ja tatsächlich zumindest einem Elternteil, das ist dann wunderbar. Aber manchmal gelingt es eben nicht. Und die Eltern müssen schmerzlich lernen, dass sie von den Kindern nicht die Dankbarkeit erhalten, die sie sich ersehnen. Der Wunsch auf beiden Seiten lautet wohl: „Echte Begegnung“. Manchmal gibt es Wege „nebenher“, die zu neuen Annhäherungen führen können. Oft können solche Wege jedoch erst gefunden werden, wenn die Kinder und/oder die Eltern selbst „ausreichend“ Liebe und Mitgefühl in anderen Beziehungen – z.B. in einer psychoanalytischen Therapie – erfahren haben.

  25. 45-jährige Tochter sagt:

    Liebe Simone, liebe Ingrid
    und alle anderen Leser*innen,

    vielen Dank an dieser Stelle für Eure Beiträge.
    Ich bin sehr froh, unter anderem auch diesen Block im Internet entdeckt zu haben. Wie das bei Tabuthemen so ist, finden sich im Alltag häufig nur wenige Menschen, mit denen man sich über so ein Thema austauschen kann. Ja, in gewisser Weise kommt es nicht darauf an, ob die Anderen einen verstehen. Die Akzeptanz ist wichtig. Dennoch ist es mir ein Anliegen, mehr Verständnis erreichen zu können. Bei mir hat es was damit zu tun, mich dann weniger allein fühlen zu müssen. Ich finde es nicht so leicht, mich mit bestimmten Themen ausgegrenzt zu fühlen.

    Simone, Du hast damit recht: Ausschlaggebend ist, dass es MIR gut geht. Überhaupt dort hin zu kommen, war für mich ein längerer Weg. Irgendwie habe ich in meinem Erwachsenenalter immer in einer Ecke meines Inneren gefühlt, dass ich mich verbiege, eine Rolle spiele. Vorwiegend gegenüber meinen Eltern, aber auch im Zusammensein mit anderen. So ganz wirklich habe ich nie gewusst, wer ich wirklich bin, was mich ausmacht und woher es kommt, dass es mir emotional oft schlecht ging/geht, was ich wirklich (!) fühle. Vor gut 10 Jahren habe ich mich während einer Krise, die aus der Trennung von meinem zweiten Mann entstand, dann endlich auf den Weg gemacht, genau das herausfinden zu wollen. Ich habe mir eine Therapeutin gesucht. Die hat mich nach ungefähr einem Jahr dann weiter vermitteln müssen, weil es nur eine kleine Beratungsstelle war, die keine Langzeittherapie anbietet. So bin ich bei meiner langjährigen „Seelengeburtshelferin“ (wie sie sich passender Weise selber mal genannt hat) angekommen. Ich habe im Laufe der Jahre viel nachgenährt bekommen durch sie. Und ich bin innerlich sehr gewachsen. Das Thema „meine Mutter“ begleitet mich die ganze Zeit über; logisch. Ich habe es für mich noch nicht abschließen können. Bin immer noch nicht an den Punkt gekommen, mir zu trauen, meine sehr tief sitzenden Gefühle wirklich zulassen zu können. Ist schon ein hartes Stück Arbeit, wie ich immer wieder merke.
    Mein Vater ist irgendwie auch Thema, doch taucht es nicht so direkt auf. Das kommt sicher daher, weil er immer eine eher passive Rolle eingenommen hat. Er hat sich mir gegenüber auf seine Art nie wirklich gezeigt. So ist mir klar, dass ich ihn und meine Gefühle ihn betreffend nicht richtig zu fassen bekomme.

    Es ist auch bei mir so: Mich dafür zu entscheiden, aus dem Kontakt zu gehen, war unheimlich schwer. Dabei zu bleiben ebenso. Ich war zu Beginn übermäßig mit Schuldgefühlen in mir konfrontiert. Irgendwann hat sich das ein wenig (!) ausbalanciert und ich merkte, dass es anfing, mir tatsächlich besser zu gehen. Ich habe mir dadurch mehr Raum gegeben, mich ungestört mit dieser ganzen inneren Thematik zu beschäftigen und zu mir zu kommen. Und ich hatte mehr Luft zum Atmen auf eine gewisse Weise. Ich „durfte“ in mir in größeren Umfang meine Gefühle zulassen; Gefühle der tiefen Hoffnungslosigkeit, der übergroßen Enttäuschung, des Verlorenseins, der Traurigkeit. Ich habe mich irgendwie immer als Waise gefühlt. Dies bestätigt sich auf der emotionalen Ebene immer mehr. Ja, ich habe eine Mutter; eine biologische. Sie hat für mich gesorgt. Ich hatte ein Zuhause, hatte immer zu essen, durfte einen guten Bildungsweg einschlagen, durfte eine Musikschule besuchen.. All so etwas eben, was das „normale“ Leben eines Kindes/einer Jugendlichen ausmachen kann.
    Doch ich wurde auch von ihr sehr häufig gedemütigt, bestraft, angeschrien, geschlagen… Und niemand hat das mitbekommen. Nein, ich bin kein vernachlässigtes Kind im vordergründigen Sinn. Allerdings bin ich emotional von ihr verlassen worden und ich spüre, dass das sehr früh passierte. So früh, dass mich diese negative Art der Beziehung bis heute so stark beeinflusst, dass ich immer noch emotional zusammenbrechen kann, mich immer noch als nicht gut genug empfinde, an meiner Attraktivität zweifle… und mich oft als nicht zugehörig wahrnehme. In mir taucht in sämtlichen Kontakten die Frage auf: Werde ich geliebt? Das ist sicherlich eine grundsätzliche Frage, mit der jeder Mensch in gewisser Hinsicht unterwegs ist. Doch ich denke, dass Menschen, die eine gute tragfähige emotionale Bindung zur Mutter erleben durften, nicht den Zustand der andauernden Verunsicherung in sich erleben müssen; so wie es zum Beispiel bei mir der Fall ist.
    Ich persönlich bin trotz Kontaktabbruch immer noch sehr an meine Mutter gebunden. Ich bin noch nicht frei. Noch ist der Wunsch in mir übergroß, dass ich es erleben darf, dass sie sich doch eines Tages mir endlich zuwendet, an meinen Gefühlen interessiert ist. Vorstellen kann ich es mir nach meinen Erfahrungen mit ihr nicht. Mir geht es so, dass ich fühle, es würde mich innerlich zerschmettern, wenn ich das eines Tages überdeutlich begreifen müsste.

    Ich habe ja meiner Mutter Anfang Oktober einen Brief geschrieben, in der ich sie darum gebeten habe, mich ihr mit meinen Gefühlen, die in unsere Beziehung gehören, zeigen zu dürfen. Ich habe ihr auch meinen Wunsch geschrieben, dass sie versuchen möge, sich in mich einzufühlen, damit wir eine neue Art von Beziehung anfangen können zu leben. Dieser Brief hat mich große Überwindung gekostet. Ich habe mich bemüht, ihn für mich und möglichst auch für sie gut annehmbar zu formulieren. Es ist mir gut gelungen, wie ich durch Feedback von meiner Frau und meiner Therapeutin erfahren habe. Bis jetzt, und das ist nun sieben Wochen her, habe ich noch keine Antwort von ihr erhalten. Es ist eine kurze Zeit verglichen zu den 1 1/2 Jahren, die ich dieses Mal auf Distanz gegangen bin. Doch es ist für mich empfunden eine kurze Zeit, weil ich andere Vorstellungen habe bezüglich Verhalten einer Mutter. Meine Enttäuschung wird immer größer, auch meine Traurigkeit. Aber ich setze mich kontinuierlich mit mir auseinander. Das hilft mir.

    Ingrid, ich glaube auch, dass „es“ immer mehr in uns hoch kommt, wenn wir fühlen müssen, wie sehr wir unter der Lieblosigkeit unserer Mutter/Eltern leiden. Ich kann mir vorstellen, dass es mit der Endlichkeit des Lebens zu tun hat. Wir selber gehen unweigerlich auf den Tag zu, an dem wir wieder aus dem Leben gehen. Der Wunsch nach einer zum besseren veränderten Beziehung zum wichtigsten Bindungsmenschen in unserem Leben wird darum immer größer. Außerdem: Jeder Tag und jedes Jahr ist wieder einer/eines mehr, an/in dem wir uns verlassen/verloren fühlen. Für mich gesprochen: Ich möchte endlich, dass „es“ aufhören kann.

    Ja, Ingrid, das so häufig betonte „Verzeihen“ kann mich mittlerweile richtig wütend machen. Dies kann irgendwann vielleicht mal möglich werden, doch für mich gehört davor das Eingeständnis meiner Mutter, dass sie durch ihr Verhalten in mir etwas Grundlegendes zerstört hat: mein Grundvertrauen und damit auch mein Selbstvertrauen. Ich kann nur wieder auf sie zu gehen, wenn sie für ihr Tun die Verantwortung übernimmt und sich von Herzen dafür entschuldigt. Wenn ich spüren kann, dass es ihr wirklich ernst ist, kann das ein Wendepunkt sein, von dem aus wir in kleinen Schritten wieder aufeinander zu gehen können. Falls sie das nicht kann, muss sie die Konsequenz dafür tragen, ihre älteste Tochter unwiederbringlich verloren zu haben. Und ich werde die Konsequenz tragen müssen, eine gefühlskalte Mutter zu haben und mehr nicht. Dann käme der zweite Teil des intensiven Trauerprozesses, den ich mir sehr hart vorstelle, den ich aber auch gehen will. Mir geht es in erster Linie darum, dass ich heil werde; ganzheitlich gesund.
    So wie ich „solche“ Mütter mitbekomme, scheinen sie nicht begreifen zu wollen und/oder können, was sich in uns abspielt. Auch wenn ich mir kognitiv vieles erklären kann, was die Ursache dafür ist (z.B. das Thema erlebter Krieg und selbst erfahrene Schwarze Pädagogik), emotional werde ich immer eine große Wunde aus dieser emotional vergifteten Beziehung mit mir herum tragen.

    Ich bin in den vergangenen Wochen über eine web-site von Frau Angelika Kindt mit ihr in Kontakt getreten, habe dort den selben Beitrag wie hier meinen ersten abgegeben. Sie hat ihn tatsächlich veröffentlicht, ist mir über e-mail pseudo-verständnisvoll begegnet. Doch ihre auf ihrer web-site veröffentlichten Antworten auf meinen Beitrag haben mir gezeigt, dass auch sie sich nicht auf den Weg macht, sich in ein „solches“ erwachsen gewordenes Kind hinein zu versetzen. Meine lange Antwort darauf hat sie erst gar nicht mehr veröffentlicht. Unglaublich! Aber genau das ist das „typische“ Verhalten „dieser“ Mütter. Mich bringt diese Frau heftig zu meiner Wut. Von daher bewirkt sie tatsächlich etwas Positives, ohne dass es ihr wahrscheinlich überhaupt bewusst ist. – Ist eine von Euch auch mal auf dieser Seite unterwegs gewesen?

    Wieder ist es ein sehr langer Beitrag geworden. Ich kann mir nicht helfen, aber ich schaffe es nicht, mich bei diesem Thema kurz zu fassen. Ich hoffe, dass Dunja Voos ihn durch lässt. ;)
    Ich freue mich auch auf weitere Beiträge, hoffe, dass es mehr und mehr werden. Und gebe auch die Hoffnung nicht auf, dass sich manch Mutter/Vater unsere Texte durchliest und beginnt zu begreifen.

    Liebe Grüße
    von der 45-jährigen Tochter

  26. Ingrid sagt:

    Liebe 45-jährige Tochter und liebe Simone,

    ich bin so „froh“ zu hören, dass wir nicht alleine sind, sondern dass es viele von uns gibt, die den Kontakt abgebrochen haben. Es freut mich natürlich nicht, dass wir mit diesen Umständen leben müssen, aber es tut trotzdem gut zu hören, dass man nicht alleine ist.
    Denn ich sage Euch, selbst wenn es einem mit dem Abbruch besser geht, man leidet auch nach Jahren weiter …. und ich muss feststellen, dass es mit der Zeit auch irgendwie nicht weniger wird …. Im Gegenteil habe ich das Gefühl, dass je älter man wird, desto mehr tut das weh ? Geht es Euch vielleicht auch so ???
    Es passiert mir sogar immer wieder, dass ich spontan irgendwo auf der Strasse einen Heulanfall zurückhalten muss. Beim Lesen vom Brief der 45-jährigen Tochter musste ich zumindest meine Tränen zu Hause nicht zurückhalten :-)
    Und bitte – ich spreche hier nicht vom sich bemitleiden !!!
    Ich schätze, dass wir leider unser ganzes Leben lang Kinder unserer Eltern bleiben (selbst wenn mir diese Formulierung überhaupt nicht gefällt und nie gefallen hat :-) und Ihre Liebe unser ganzes Leben lang komischerweise irgendwie wichtig ist, nicht nur in der Kindheit …. ???
    Was das Umfeld betrifft, ist es schwer von anderen Verständnis und Mitgefühl zu erwarten und das tue ich auch nicht. Respekt und Akzeptanz reichen oft auch schon aus. Aber wir müssen sicherlich mit vielen Problemen kämpfen, die den anderen völlig fremd sind. Daweil haben wir, so kommt es mir oft vor, ein großes Herz voll mit viel Liebe, die wir DEN aller Nächsten leider nicht mehr geben können …. selbst wenn wir uns das öfters wünschen würden … Das können wir nur in unseren Vorstellungen, oder wir schenken es unseren eigenen Kindern; ich habe leider kein Glück gehabt welche zu bekommen.

    Was die Akzeptanz der Mutter/der Eltern betrifft: selbst wenn sie uns jetzt annehmen würden so wie wir sind und waren, würde das doch nichts mehr ändern, und es geht auch gar nicht darum ! Die Liebe und die Augenhöhe waren damals am allerwichtigsten ! Deshalb hat auch das oft erwähnte „Verzeihen“ für mich keine Bedeutung, es hilft nicht !
    Ich finde das „Verbrechen“ verjährt sich nicht, niemals.
    Aber ich bin mir nicht sicher, ob sich das ganze eben mit dem fortschreitenden Alter nicht irgendwie selbständig ändert. Das ist etwas was ich überhaupt nicht abschätzen kann.

    Ich freue mich auf jeden neuen Beitrag hier von uns „Kindern“ !
    Und vielleicht schaut sich das mal auch ein betroffener Elternteil an und denkt darüber nach …. ?

    ganz liebe Grüße, Ingrid

  27. Simone sagt:

    Hallo 45 jährige Tochter,

    ich bin eine 44jährige Tochter, die zu ihren Eltern immer wieder für lange Zeiträume den Kontakt abgebrochen hat und auch zur Zeit bis auf Weiteres keinen Kontakt hat. Ich möchte Dir nur folgendes mit auf den Weg geben: Es ist völlig egal ob das ein Tabuthema ist oder nicht. Es ist traurig, dass Du in Deinem Umfeld wenig Verständnis bekommst, aber auch das ist letzlich nicht entscheidend. Es geht hier wirklich nur darum, ob es Dir mit oder ohne Kontakt besser geht. Ich denke, jeder wünschst sich ein liebevolles, harmonisches Verhältnis zu seinen Eltern. In manchen und inzwischen wird mir immer klarer in vielen Fällen ist das trotz aller Bemühungen nicht möglich. Wenn solch wichtige Beziehungen scheitern, gibt es keine Ideallösung mehr. Hier kann man nur das kleinere Übel wählen. Ohne Kontakt geht es einem sicherlich auch nicht immer gut, aber mit Kontakt geht es den Betroffenen offensichtlich viel schlechter, sonst würden sie den schmerzhaften Kontaktabbruch nicht auf sich nehmen. Wie immer Du Dich entschieden hast und Dich auf Dauer entscheiden wirst, für Dich werden es immer die richtigen Entscheidungen sein.

    Viele Grüsse und alles Gute, insbesondere beim Aufbau eines verständnisvolleren Umfelds, Simone

  28. 45-jährige Tochter sagt:

    Ich habe als Tochter vorläufig den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen. Ich habe ihr per Brief mitgeteilt, dass ich eine Auszeit von ihr brauche. Es gab zwischendurch von ihr Kontaktversuche zum Geburtstag, zu Weihnachten. Ich habe kurz geantwortet, weil ich übergroße Schuldgefühle hatte, diesen Schritt überhaupt gewählt zu haben. An meinem letzten Geburtstag bin ich dann zum ersten Mal ganz bei mir geblieben und habe nicht reagiert, hatte ich doch um eine Auszeit gebeten. Vor gut 5 Wochen habe ich ihr einen Brief geschrieben mit meinem Anliegen, mit ihr über das zu reden, was ich durch sie während meiner Kindheit erfahren musste, und meinem Wunsch, auf lange Sicht eine neue Beziehung miteinander leben zu können: Als zwei erwachsene Frauen. Bis jetzt habe ich noch keine Antwort erhalten. – Das mal so in Kürze. Natürlich ist’s viel zu wenig, um die Tragweite erfassen zu können, die meine Geschichte ausmacht.
    Was mich mittlerweile wütend (und darum bin ich sehr froh, weil gerade das auch heilsam ist) machen kann, ist, dass es in der Gesellschaft als regelrechtes Verbot gilt, sich aus der Beziehung mit einem Elternteil oder beiden zu lösen. Das vierte Gebot sagt: „Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren.“ Merkwürdiger Weise gibt es nicht das Gebot: „Du sollst Dein Kind ehren.“ Und genau das ist der springende Punkt. Eltern haben anscheinend eine Art Freibrief in der Beziehungsgestaltung mit den Kindern. Sie dürfen demütigen, schlagen, emotional misshandeln (zu viel / zu wenig Liebe), unempathisch sein usw, usw. Welche unbeschreiblichen Schmerzen muss ein so behandeltes Kind erleiden? Und damit steht es in der Regel ganz allein da; ohne Hilfe von außen.
    In Kommentaren, die Eltern unter das Deckmäntelchen nehmen, sie haben doch immer nur ihr Bestes getan, erkenne ich die Unfähigkeit, empathisch sein zu können und Kinder als untergeordnete Menschen zu betrachten. Beziehung auf Augenhöhe hat etwas mit Verantwortung für einen selbst zu tun. Für eine für die Zukunft positive Beziehung ist es notwendig, alte Verletzungen aufarbeiten zu können. Wenn man, so wie ich, als erwachsen gewordenes Kind für sich eines Tages endlich begreift und in sich zulassen kann, was die Behandlung der Mutter / der Eltern emotional und psychisch mit einem gemacht hat (und dieser Weg ist übermenschlich schmerzhaft!), kann es ein sehr wichtiger Schritt sein, sich von der Mutter / den Eltern für eine individuelle Zeit zu distanzieren. Für eben so lange, wie man für sich zum ersten Heilen dieser großen Wunde braucht. Wohlgemerkt: Diese wurde mir als Kind zugefügt!
    Der Schritt zur Distanzierung ist mir unendlich schwer gefallen und war für lange Zeit von schweren Schuldgefühlen begleitet, die in tiefe Krisen gemündet sind. Erst nach und nach und mit therapeutischer Unterstützung konnte ich mich in kleinen Schritten davon ein wenig (!) befreien. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben freier gefühlt und bin ein Stück gewachsen. Dennoch geht es mir nicht 100%ig gut dabei. Während meines ganzen Lebens hat sich in mir eine tiefe Hoffnungslosigkeit ausgebreitet. Ich habe die Hoffnung fast ganz aufgegeben, dass MICH meine Mutter eines Tages wirklich sehen will. So wie ich bin – und mich so annimmt. Einen letzten Funken Hoffnung gibt es noch. Der hat mich dazu gebracht, es noch einmal zu versuchen. So habe ich vor ein paar Wochen den ersten Brief geschrieben. Wenn sie auch dann meine Gefühle des Schmerzes weiterhin nicht sehen will, muss ich mir überlegen, was ich tue. Es hängt davon ab, was ich innerlich werde am besten aushalten können, ohne meine psychische Gesundheit weiterhin zu gefährden. Wenn es sein muss, werde ich mich von meiner Mutter ganz trennen – müssen. Und dann beginnt der letzte schmerzhafte Wegabschnitt der Trauerarbeit.

    Vielleicht liest sich dies alles ein wenig konfus. Ich finde es schwierig, nur so wenig Platz zu haben. Außerdem wühlt es mich sehr auf. Ich versuche in meinem Umfeld offen mit diesem Thema umzugehen, erfahre jedoch von vielen Seiten Unverständnis; genau wie es hier in Beiträgen und an anderen Stellen in den Medien auftaucht.
    Es ist ein Tabuthema, als Kind die Eltern zu verlassen. genauso wie es ein Tabuthema ist, wie häufig und wie sehr Kinder misshandelt werden – geistig, emotional und psychisch. Es ist mittlerweile im Gesetz verankert, dass so ein elterliches Verhalten strafbar ist. Und? Kinder haben dennoch kaum eine Lobby und die meisten Menschen mischen sich nicht in die Angelegenheiten anderer Leute. Kinder sind allerdings genau darauf angewiesen! Erst später als Erwachsene sind sie unter Umständen dazu in der Lage, dem eigenen inneren Kind endlich zuzuhören, es anzunehmen, es zu lieben so, wie es das braucht. Und dann kann es sein, dass diese erwachsene Tochter / dieser erwachsene Sohn dieses für immer existierende innere Kind in Schutz und aus der Familie nehmen muss… bei sich selbst in Obhut sozusagen.

    Mir ging und geht es immer noch so, dass ich in tiefe Löcher der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit stützen kann durch den schrecklichen Schmerz der inneren Verlassenheit. Manchmal fühlt es sich so unbeschreiblich vernichtend an, dass ich meinem inneren Sterben das äußere gleich setzen möchte. Bis jetzt habe ich überlebt und werde es wahrscheinlich auch Dank meiner kontinuierlichen Arbeit an mir selbst. Das, was wohl viele der verlassenen und auch unverlassenen Eltern und andere Mitglieder der Gesellschaft nicht sehen: Die erwachsen gewordenen Kinder, die ihre Eltern(teile) verlassen, sind von eben diesen in der Regel während ihrer Kindheit emotional verlassen worden!

    Die Verantwortung für sich als erwachsenes Kind zu übernehmen, kann nicht bedeuten, Vergebung zur ersten Priorität zu machen. Als Erstes muss man lernen, sich selbst lieben zu können. Und für die Möglichkeit einer neuen, gelingenderen Beziehung zu den Eltern müssen diese ebenfalls den Weg zur aufrichtigen Liebe finden und sich auch für ihr vergangenes Verhalten entschuldigen. Denn nicht das Kind hat damals den Eltern etwas angetan, sondern die Eltern dem Kind. Erst diese Einsicht kann und wird Veränderung ermöglichen.

    Bevor ich jetzt komplett meinen Faden verliere, mache ich lieber einen Punkt. Ich hoffe, ich bin verstanden worden.
    Großen Dank an Sie, liebe Frau Voos, für diesen überaus wichtigen Diskussionsraum!!!!

  29. Ingrid sagt:

    Hallo alle zusammen,

    Ich habe dieses Buch nicht gelesen und werde es auch wahrscheinlich nicht lesen. Da müsste mal ein Buch aus der Sicht des betroffenen „Kindes“ geschrieben werden, das würde mich dann eher interessieren.
    Ich bin heute 42 und habe seit ca. 6 Jahren nach jahrelangen Beziehungsversuchen den Kontakt zu meiner Mutter endgültig abgebrochen. Der Vater war sowieso nie anwesend.
    Ich bin überzeugt, dass nur durch sehr tiefgreifende Gründe ein „Kind“ seine Eltern verlässt und den Kontakt rigoros abbricht, so wie es in meinem Fall war und ist. Denn es ist verdammt nicht leicht und die Schmerzen dieser Trennung hören tief im Herzen anscheinend nie auf. Aber liebe Eltern – es ist ein FAKT – dass es in solchen Fällen NICHT anders geht ! Und ich finde jeden Elternteil absolut verantwortungslos und unseriös, wenn er spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht eine fachliche psychologische Hilfe aufsucht. Die Sätze wie „ich wollte doch nur das beste für Dich“, sind spätestens ab der Verweigerung eigener therapeutischer Behandlung nur ein leeres egoistisches Geschwafel. EGAL, ob der Elternteil selber ein Opfer ist und in seiner früheren Familienkonstelation eines war, was höchstwahrscheinlich ist. Wenn es zu einer strikten Ablehnung und langem bzw. sogar endgültigem Kontaktabbruch kommt, und der Betroffene es nicht versteht und eventuell sogar daran zerbricht und TROTZDEM nicht anfängt sich selbst in Frage zu stellen, DARF er keine Versöhnung erwarten. Und wenn, dann lebt dieser in einer falscher, blinden und kranken Illusion. In meinem Fall geht es um meine Mutter, die sogar eine Lehrerin und Pädagogin ist, aber wie man sieht, ist das keine Voraussetzung um bestimmte Lebensregeln zu durchschauen. Ich, obwohl ich in meinem Leben hart gelernt habe zurecht zukommen, leide jedenfalls an der Elternlosigkeit und werde es immer tun, selbst wenn das Leben auch so schön ist und man sich mit der Zeit „andere“ Eltern und Bezugspersonen zulegt. Ich selbst habe 10-15 Jahre Therapie hinter mir und weiss, dass es mir geholfen hat zu überleben, aber ob ich fertig therapiert bin, wage ich zu bezweifeln, denn woher weiss man als nicht gelernter, ob man gut und fertig therapiert worden ist ??? Trotzdem bleibt die therapeutische Hilfe für mich die einzige Lösung, vorallem wenn man an Hintergründen und Ursachen interessiert ist.
    Und ich möchte auf diesem Weg auch noch bestimmte und meistens nicht betroffene Menschen ansprechen und bitten, sich mit Ihren „gut gemeinten Ratschlägen“ zurückzuhalten, wie “ es ist doch Deine Mutter und Du solltest doch irgendwie einen Weg zu Ihr finden“. Denn die sind ABSOLUT FEHL am Platz, Ihr könnt alle an Eueren Mitmenschen mitverantwortlich sein, geht und besucht die Leidenden selber um Ihnen ein mitfühlendes Ohr zu schenken – mehr ist nicht verlangt …..

  30. Suzanne sagt:

    Liebe Bloggerin, liebe Eltern, „Kinder“ und natürlich liebe Interessierte,

    ich bin Studentin und schreibe derzeit meine Abschlussarbeit über genau dieses Thema: „Wenn Kinder ihre Eltern verlassen -Hilfen zur Alltagsbewältigung“. Ich bin auf der Suche nach weiteren Buchtipps (die Autoren Kindt, Klein und Haarmann habe ich schon aber was gibt es mehr?) und Artikeln sowie evtl. Studien genau zu diesem Thema, Ich selbst bin als „verlassene“ Tochter betroffen und möchte Eltern kennen lernen die einen Weg aus dem Loch gefunden haben, dass ich ja aus der Perspektive gar nicht kenne.
    Bitte kontaktieren sie mich doch, wenn sie Ideen, Ratschläge etc. haben. Vielen lieben Dank!
    skaden@gmx.de

  31. Simone sagt:

    Hallo Kleemann,

    eine sehr gute Frage, vielen Dank dafür. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, in meinem Fall nahm mein Vater eigentlich keine Position ein. Er wird von meiner Mutter restlos instrumentalisiert. Er hat sich vollständig rauszuhalten, bis auf den Moment, dass ihre ganzen Mechanismen und Methoden mich zu manipulieren fehlgeschlagen haben, dann wurde er als „Joker“ eingesetzt, mit dem Ziel mich mithilfe der väterlichen Autorität doch noch „gefügig“ zu machen. In meinem Fall hat mich der emotionale Missbrauch seitens meiner Eltern an mir den Kontakt immer wieder abbrechen lassen.

    Das Hauptproblem bei vielen ist: Man durchschaut zwar das Beziehungsmuster, kann es aber dennoch alleine nicht durchbrechen. Und viele Eltern sind nicht bereit, an sich zu arbeiten. Sie wollen, dass es so bleibt, wie es ist. Aber genau das geht ja eben nicht für das „Kind“. Auch wenn man durchschaut, warum man verletzt wird, tut es trotzdem weh und irgendwann will man, dass es ein Ende findet.

    Vielleicht fragen Sie ihren Neffen ja irgendwann, warum er so gehandelt hat. Ganz sicher hatte er „seinen“ Grund.

    Alles Gute, Simone

  32. Kleemann sagt:

    Hallo Frau Dr. Voss,
    ich habe meine Schwester, die vor ca. 16 Jahren von ihrem Sohn verlassen wurde, über einen langen Zeitraum unendlich bedauert. Nachdem ich offensichtlich nicht die richtigen Worte zu ihr gesagt hatte, hat sie mich dann verlassen. Was ihr Sohn mit ihr machte, machte sie auch mit mir. Bis heute besteht kein Kontakt.
    Nachdem Angelika Kind iht Buch auf den Markt gebracht hat, war ich sicherlich eine der Ersten, die dieses auch gelesen hat. Es hinterlies in mir ein sehr flaues und unbefriedigendes Gefühl. Das Schöne daran war allerdings, dass ich Wut verspüren konnte. Wut darüber, dass ich immer nur an meine doch so unglückliche Schwester gedacht habe. Wie schwer doch dieser Schicksalsschlag für sie war. Dass meine Worte sie damals nicht trösten konnten. Ich fing an, endlich mal über meinen Neffen nach zu denken. Was waren seine Gründe den Kontakt zu ihr ab zu brechen. In diesem Blog habe ich so manche Antworten bekommen. Vielen Dank an alle, die hier Kommentare geschrieben haben. Eine Frage hätte ich allerdings. Was ist mit den Vätern. Was für eine Position nehmen diese ein. Wie sehen die Familienkonstelationen aus? Halten sie sich aus den Konflikten raus?
    Ich würde mich über ein paar Kommentare sehr freuen.Ganz liebe Grüße.

  33. Simone sagt:

    Liebe Rebekka,

    vielen Dank für Ihre Antwort. Zu Ihrer Frage, ich bin 44J. In der Stern Ausgabe Nr. 30 dieses Jahres wurde dieses Thema aufgegriffen. Da steht: Darf man den Kontakt zu seinen Eltern abbrechen? Antwort: Ja, auch wenn die einen leiden. Denn wer geht, konnte so nicht weiterleben. Ist eine m. E. gute Sichtweise und trifft für meine Kontaktabbrüche auf jeden Fall zu. Im Moment bin ich wieder an diesem Punkt. Habe versucht, die Kontakte zu begrenzen, aber meine Eltern lassen sich nicht so einfach begrenzen. Ist mir schon wieder alles neben den Anforderungen und Ereignissen meines eigenen Lebens zuviel geworden, also erstmal wieder bis auf Weiteres auf null runterfahren um Ruhe zu finden, Luft zu holen. Mir geht es ohne Kontakt immer sehr schnell viel besser. Traurig, aber wahr. Ich habe 2 ältere Brüder. Die können sich aber aus der Situation gar nicht befreien, weil da viele Abhängigkeiten bestehen oder bestanden, auch finanzieller Art. Ich bin die Einzige, die sich gelöst hat.

    Viele Grüsse Simone

  34. Dunja Voos sagt:

    Liebe Kati,

    ich finde, Sie greifen da einen wichtigen Punkt auf: Wenn Menschen Berater werden, die ihren eigenen Schmerz noch nicht ausreichend bearbeitet haben, kann das andere Menschen in negativer Weise beeinflussen oder gar „aufstacheln“. Das ist ein Grund, warum ich von der Psychoanalyse so viel halte: Psychoanalytiker machen eine aufwendige Lehranalyse, in der sie ihre eigenen Probleme gründlich bearbeiten, bevor sie Patienten behandeln dürfen. Das Problem bei „Coaches“ und „Beratern“ ist, dass sich jeder so nennen darf. Manche Menschen werden Berater, um ihren eigenen unbearbeiteten Schmerz zu regulieren. Dann kann leicht so etwas passieren wie ein „Aufschaukeln“. In diesem Beispiel hieße das also, dass die Kluft zwischen Eltern und Kindern nur größer wird, wenn Menschen zu Beratern werden, die selbst noch an ihrem Zustand allzu sehr leiden.

    Viele Grüße von Dunja Voos

  35. Kati sagt:

    Liebe Frau Dr. Voos,

    herzlichen Dank, dass Sie diesen Blog eröffnet haben! Ich habe das Buch von Frau Kindt per Zufall in einer Buchhandlung in die Hände bekommen, und mich hat fast der Schlag getroffen! Das ist genau die Sorte Buch, die die Kommunikation zwischen den Generationen erschwert, weil es die Opferhaltung der Eltern zementiert.

    Wenn man ein Problem hat, gibt es ja zwei Möglichkeiten: entweder man löst das Problem, oder man lernt, mit dem Problem zu leben. Und das Buch von Frau Kindt ermuntert Eltern zu dem zweiten (aus meiner Sicht immer unbefriedigenderen) Ansatz. Ich habe das Buch nur durchgeflippt, keinerlei ernsthafte Selbstreflexion oder fundiertes psychologisches Wissen darin gefunden und es deshalb mit einem ganz unguten Gefühl wieder weggelegt – ungut, weil ich den Schuldvorwurf von Frau Kindt an ihre Tochter „wie konntest Du mir das antun? Ich habe doch alles für Dich getan!“ sehr wohl wahrgenommen habe. Frau Kindt fragt sich ja lediglich, ob sie ihre Tochter vielleicht zu sehr verwöhnt hätte (was sie selbst ja im besten Licht erscheinen lässt). Aber jeder, der sich auch nur ein bisschen mit Psychologie beschäftigt hat, weiß, dass Verwöhnen genau das Mittel ist, um ein Kind auf das für die Eltern wünschenswerte, für das Kind aber ungesunde Gardemaß zu dressieren. Was Kinder wirklich brauchen, ist, dass sie als eigenständige Person wahr- und angenommen werden. Dazu aber kein Wort in dem Buch. Ich frage mich, ob Frau Kindt dazu in der Lage war, und zwar vor folgendem Hintergrund:

    In einem Interview in der Süddeutschen vom 9. Mai 2011 hat Frau Kindt gesagt (wörtliches Zitat!): „Es gab keinen Anlass, keinen Grund, den Kontakt abzubrechen.“ Wollte Frau Kindt etwa damit sagen, dass ihre Tochter den Kontakt grundlos abgebrochen hat? Das wäre doch genau die Sorte Übergriffigkeit, die Kinder von ihren Eltern wegtreiben. Denn die Tochter wird ganz gewiss einen Grund und einen Anlass gehabt haben. Das mag haarspalterisch klingen, aber manchmal sind es eben die gedankenlosen Fehlformulierungen, die unser Unterbewusstsein bloß legen und subtil Vorwürfe platzieren. Frau Kindt hätte ja ebenso gut sagen können: „Für mich kam der Kontaktabbruch vollkommen überraschend.“

    Entblößend ist meines Erachtens auch der letzte Satz in dem Interview: Frau Kindt wolle nicht aktiv nach der Tochter suchen, weil bei ihr die Angst vor direkter Ablehnung zu groß sei, was für sich gesehen sehr verständlich ist. Dann kommt aber noch die Rechtfertigung: „Sie stellen sich ja auch nicht vor das Haus eines Liebhabers, der Sie verlassen hat.“

    Immer dieses Gehacke um „Recht“ und „Schuld“!!! Und dafür werden dann auch merkwürdige Vergleiche nicht gescheut. Darum geht es doch gar nicht!!! Das verstehen nur verlassene Eltern nicht, und offenbar auch Frau Kindt nicht. Es geht darum, dass Kinder gehört werden wollen, dass ihre Wahrnehmung, ihre Bedürfnisse und ihre Gefühle akzeptiert werden. Aber dass das einigen Eltern unmöglich ist, weil sie selbst zu sehr in ihrer eigenen ungemütlichen und schmerzhaften Zwangsjacke drinstecken, ist ja wohl allen hier klar. Und mir geht es hier auch um etwas ganz anderes:

    Dies alles würde ich nicht schreiben, wenn Frau Kindt ihr Buch wirklich nur als Betroffenen-Bericht verfasst hätte und es nicht auch gezielt als Acquise-Mittel einsetzen würde. Mich alarmiert, dass Frau Kindt auf einer eigens für das Buch erstellten Homepage unter „Kontakt“ Coaching und Beratung für betroffene Eltern anbietet. Meine Befürchtung ist, dass Frau Kindt Eltern in die Irre führt, die bei professioneller Beratung durch einen geschulten Therapeuten vielleicht doch noch den Weg zu ihren Kindern zurück finden würden. Ist das nicht ein Fall für die Ärztekammer?

    Herzliche Grüße, Kati

  36. Rebekka sagt:

    Liebe Simone

    Ich kann Sie sehr gut verstehen!

    Ich habe den Kontakt zu meinen Eltern 24jährig während zweier Jahre ausgesetzt. Danach hatte ich bis zu meinem Klinikaufenthalt im Alter von 39 Jahren einen oberflächlichen Kontakt zu ihnen. Ich habe das Gespräch über die ungelösten Konflikte mit ihnen in den vergangenen Jahren mehrmals gesucht. Sie haben jedoch offiziell kein Problem mit mir und den Beizug einer Fachperson haben sie seinerzeit mit dem Hinweis ich könne selber eine Therapie machen wenn ich eine solche benötigen würde abgelehnt. Wenn es nach meinen Eltern gehen würde, wäre es der Job meiner Psychologin mich solange zu therapieren bis dass ich ihren Erwartungen endlich zu entsprechen vermag. Sie sehen in mir immer noch das in ihren Augen widerspenstige Kind.

    Darf ich Sie nach Ihrem Alter fragen? Haben Sie Geschwister und wie stehen diese zu Ihnen beziehungsweise zu ihren Eltern?

    Ich habe es eigentlich erst geschafft, den Kontakt zu meinen Eltern ganz abzubrechen als ich erkannt habe, dass mich diese tatsächlich nicht lieben. Das war in der Klinik, als sie mich nicht besuchen wollten. Ich habe darüber in meinem letzten Beitrag geschrieben. Mein Vater hatte rund ein halbes Jahr später einen kurzen Spitalaufenthalt. Für ihn war es selbstverständlich, dass ich ihn wie bisher üblich besuchen würde. Ich konnte diese Erwartung jedoch nicht mehr erfüllen.

    Wie müsste die Erlaubnis denn aussehen, damit Sie sich von Ihren Eltern zurückziehen könnten?

    Herzliche Grüsse, Rebekka

  37. Sabine sagt:

    Liebe Simone,

    ich kann Dich gut verstehen. Ich habe auch alles mögliche Therapeutische gemacht, mir ist ebenfalls vieles klar geworden über das, was bei uns passiert ist, aber meine Eltern reagieren genauso wie Deine: ich habe alles falsch in Erinnerung, das stimmt alles nicht etc. Dazu kommt noch meine Riesenfamilie, die derselben Meinung wie meine Eltern ist, die deren anerkennung möchte, sodass alle sich noch gegenseitig bestätigen, dass ich eine macke habe … aber ich brauch doch nicht zu gehen, ich darf doch bleiben … aber vermutlich jetzt auch nimmer, nachdem was besonders peinliches angesprochen hatte, was natürlich nicht wahr und nie so gewesen ist … naja … mir geht es auch – oder gerade? – ohne meine Familie gut bzw. ohne meine Eltern etc., meine älteste Tochter ist ja noch da …. alles Liebe von Sabine :)

  38. Simone sagt:

    Hallo,

    ich habe zu meinen Eltern schon viele Male den Kontakt für längere Zeit abgebrochen (meist so 1 1/2 Jahre), aber dann immer nach der Erholungsphase mit Briefen, Mails und Gesprächen versucht, die inneren Zusammenhänge/Muster klarzumachen. Ich habe selber eine mehrjährige Therapie gemacht, die mir sehr gut getan hat und die mich die Beziehungsstruktur hat beleuchten lassen. Ich glaube, dass mir die destruktive Innenstruktur unserer Beziehung, weitestgehend bekannt ist, allerdings streiten meine Eltern alles ab. Jeder Versuch von mir etwas Licht in die Sache zu bringen, wird immer nur abgetan mit den Worten, das stimme doch nicht, ich hätte das falsch in Erinnerung. Meine Therapeutin sagte damals, meine Mutter würde mir regelrecht meine Wahrnehmung absprechen. Meine Mutter sagt auch immer, es gebe nur eine Wahrheit – natürlich Ihre. Eigentlich möchte ich den Kontakt nicht ganz abbrechen, aber ich habe nach über 20 Jahren, das Gefühl, meine Eltern lassen mir keine andere Wahl. Ich bin müde und habe das Gefühl, ich kann und will nicht mehr. Ich will endlich mal unbeschwert von Ihnen in die Zukunft blicken. Irgenwie warte ich, glaube ich noch auf eine Art Erlaubnis. Wollte ich nur mal loswerden. Danke.

    Simone

  39. Sabine sagt:

    Hallo BarbaRossa,

    ich gebe Dir voll und ganz recht, was den emotionalen Missbrauch betrifft. Als ich ca. 15 war, war es in der Schule modern, sich mit missbrauchten und misshandelten Kindern zu beschäftigen. Da outeten sich gerade die ersten Missbrauchsopfer, und es ging – wie heute – vor allem um sexuellen Missbrauch.

    Ich fühlte mich ebenfalls missbraucht zuhause, aber nicht sexuell sondern emotional. Schon damals, also mit 15!, hatte ich den Eindruck, dass sexueller Missbrauch „nur“ die Spitze des Eisbergs von grundsätzlich missbräuchlicher Haltung und Verhaltensweisen dem Kind gegenüber ist, dass aber vor allem der sexuelle Missbrauch publik gemacht wird, weil man sich daran so schön „aufgeilen“ kann und die Opfer auf diese Weise im Grunde genommen nochmal missbraucht werden anstatt dass endlich das zugrundeliegende grundsätzliche missbräuchliche und verletzende Verhalten aufgedeckt und benannt wird, was meiner damaligen Ansicht nach zur Folge hätte, dass sich vermutlich die ganze Gesellschaft ändern müsste und ein ganz anderes Miteinander lernen müsste, das damals aber schon in der ELTERN beschrieben wurde und auch in den Büchern von Thomas Gordon: Familienkonferenz und die Folgebücher.

    Das Wissen über etwas anderes gab es damals oder zumindest kurze Zeit später sehr wohl schon, aber ich hatte damals und heute immer noch den Eindruck, dass niemand danach lebt und man selber erst recht ausgestoßen und abgelehnt wird, wenn man danach lebt. Allerdings habe ich das mit meinen Kindern auch nicht wirklich konsequent gelebt.

    Alles Liebe von Sabine :)

  40. Batia sagt:

    Ich möchte hier noch etwas in die Diskussion einbringen, was mir bisher gefehlt hat: Es geht hier nicht um einen Konflikt auf gleicher Augenhöhe.
    Ein Kind ist seiner Mutter vom Moment der Zeugung an auf Gedeih und Verderben ausgeliefert, im Guten wie im Bösen.
    Ich finde es billig, wenn sie eine Mutter damit herausredet, dass auch immens viele andere Einflüsse ein Kind prägen, dass es bei der Geburt bereits eine Persönlichkeit sei – NEIN!
    Allein schon, wie die werdende Mutter mit der Schwangerschaft umgeht, wird zu einer lebenslangen Prägung. Ich weiss, was ich sage, denn meine Mutter war schon mit mir zur Abtreibung zu einem Arzt im Ausland unterwegs, als sie mich bereits spüren konnte.

    Mal etwas provokativ: Wenn Frauen und Mütter sich das Recht herausnehmen, über „ihren Bauch“ zu entscheiden – für oder gegen das Kind – dann haben auch Kinder das Recht, sich für oder gegen ihre Mutter zu entscheiden.

  41. Sabine sagt:

    Ich kenne das Problem von beiden Seiten: Als jnge Frau habe ich den Kontakt zu meinem Vater und meiner Stiefmutter abgebrochen, nachdem meine Mutter schon als sehr junge Frau gestorben ist, da war ich sieben. Ich fühle eher mit dem verlassenden Kind als mit der „armen“ Mutter. Meine Sohn brach den kontakt zu mir vor zwei Jahren ab. Ich finde es sehr schade, dass wir nimmer miteinander reden können, sehe aber auch, dass wir in zwei Welten leben, mein Sohn eher in der Welt meiner Eltern, mit der ich nichts anfangen kann. Obwohl ich also selber auch betroffene Mutter bin, sehe ich mich eher als diejenige, die die Eltern verlassen hat, wenn auch nicht konsequent genug, da ich anfangs doch noch an eine Annäherung glaubte, an so eine Art „Angebot“, dass ich zurück komme, was aber nicht passierte. Inzwischen sind beide Seiten konsequent – also sowohl meine Familie als auch ich, es gibt keinen Kontakt mehr. Insofern kann ich meinen Sohn gut verstehen, warum er nichts mehr mit mir zu tun haben will, sehe, wie sehr er die Anerkennung und Akzeptanz derjenigen sucht und wünscht, mit denen ich gar nix anfangen kann und mit denen ich auch nix zu tun haben will.
    Wenn ich darüber schreiben würde, würde ich auch nicht die Namen meiner Kinder nennen, insbesondere nicht den meines Sohnes. Erstens würde er mir das nie verzeihen, zweitens empfinde ich es auch als einen Mangel von Respekt und Achtung vor dem Kind.

    Alles Liebe von Sabine :)

  42. Rebekka sagt:

    An die Anonyme Schreiberin des Briefes an Maya

    Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für diese Worte!

    Ich bin von meinen Eltern nie wahrgenommen worden. In dem Sinne mussten sie mich gar nicht erst verlassen. Sie waren gar nicht erreichbar für mich. Ich war sehr einsam, obwohl sie physisch mehr oder weniger anwesend waren. Das war besonders schwierig für mich, weil niemand sehen konnte wie ich gelitten habe.

    Als ich in die psychiatrische Klinik eingetreten bin habe ich mir gewünscht, dass mich meine Eltern besuchen würden. Hätte ich während dieser seelischen Not erstmals erfahren dürfen, dass meine Eltern für mich da sind, hätten wir wahrscheinlich eine emotionale Beziehung zueinander herstellen können. Meine Eltern wollten mich jedoch erst wieder sehen, wenn es mir wieder ganz gut gehe. Das war schwierig für mich, weil ich nicht im Voraus wissen konnte ob es mir an dem Tag an welchem ich mit meinen Eltern verabredet war gut gehen würde. Ich hatte eine Depression.

    Als es mir dann wieder einigermaßen gut ging, habe ich den Kontakt mit meinen Eltern abgebrochen. Für meine Eltern kam dieser Entscheid „aus heiterem Himmel“. Sie verstehen meine Entscheidung überhaupt nicht und ich musste ihnen deshalb ein zweites Mal schriftlich erklären, was ich unter einem Kontaktabbruch verstehe. Danach haben sie meine Grenzen nicht mehr überschritten.

    Ich wünsche auch Ihnen anonyme Schreiberin viel Kraft auf ihrem weiteren Lebensweg!

    Herzliche Grüße, Rebekka

  43. BarbaRossa sagt:

    Auch ich bin ein Kind, das seine Eltern “schmählich” verlassen hat. Meine Eltern werden mit Sicherheit in ihrem Umfeld absolute Verständnislosigkeit über diesen Schritt der undankbaren Tochter äußern, für die man ja alles getan habe.

    Dass diese undankbare Tochter im Elternhaus durch die abstruse Zwangs- und Borderlineerkrankung seiner Mutter terrorisiert und vernachlässigt wurde und in physischer und emotionaler Gefangenschaft aufwuchs, das werden meine Eltern mit Sicherheit verschweigen.
    Meine Kindheit und Jugend war ein Fall für das Jugendamt, die Misshandlung spielte sich aber so geschickt im Verborgenen ab, dass sie nach außen nicht ausreichend sichtbar wurde.

    Gerade emotionaler Missbrauch lässt sich schwer messen oder gar beweisen. Da haben verlassene Eltern leichtes Spiel, sich als Opfer ihrer Kinder darzustellen.

    Selbstverständlich lässt sich das nicht generalisieren, es gibt mit Sicherheit auch verlassene Eltern, die ihre Kinder in keinster Weise misshandelt haben.
    Meiner Meinung nach aber dürfte dieser Anteil gering sein. Normalerweise kostet es die Kinder enorme Kraft sich gegen die Eltern zu wenden und den Kontakt abzubrechen. Auch mich – obwohl misshandelt – hat dazu nur die reine Selbsterhaltung getrieben.

    Dennoch ist das alles nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Die psychischen Folgen der konstanten Traumatisierung zuhause belasten nicht nur mich, sondern bedeuten durch eingeschränkte Arbeitsfähigkeit und Therapiekosten auch enorme Aufwendungen für unser Sozialsystem und damit für die ganze Gesellschaft. Und das wahrscheinlich noch ziemlich lange, denn ich bin – im Gegensatz zu meinen Eltern – noch jung.

    Liebe Medien, bitte beschäftigt Euch mal mit diesem Thema! Gerade der Bereich des emotionalen Missbrauchs müsste viel publiker werden!!! Kontinuierlicher und extremer emotionaler Missbrauch hat die gleichen Folgen wie körperlicher oder sexueller Missbrauch.
    Wie gesagt, meistens sind die Kinder die Opfer, nicht die Eltern.

  44. Eine Mutter sagt:

    Liebe Schreiberin des offenen Briefes,

    ich selbst bin eine Mutter, die immer wieder davon bedroht ist, dass meine Tochter mich irgendwann mal endgültig verlassen könnte. Das ist eine Angst und ein Druck, den ich nur schwer beschreiben kann. Sie benutzt dabei einseitige und absolute Schuldzuweisungen über die zu reden sie sich weigert. Sie sagt, dass wäre ihre Überzeugung. Sie überschreitet dabei so maßlos meine Grenzen, dass ich jetzt, ganz aktuell mit meinem Latein am Ende bin. Nun gut, lange konnte sie mich damit verunsichern und in die Knie zwingen. Das ist natürlich mein Problem. Aber ich setze jetzt (endlich!) meine Grenze und der ganze Konflikt eskaliert.
    Was ich damit sagen will ist, dass die Kinder auch nicht nur Opfer sind. Sie sind ganz eigene Persönlichkeiten und so sind sie auch schon auf die Welt gekommen (ich habe drei Kinder). Und es gibt noch eine ganze Menge anderer Einflüsse, die ein Kind prägen.
    Meine Tochter ist inzwischen 35 Jahre alt, hat zwei eigene Töchter und hatte, wie ihre Geschwister, schon lange die Möglichkeit zu lernen, dass dieser Weg, den sie im Konflikt mit mir geht, sehr destruktiv ist.
    Eltern sind weder für alles verantwortlich zu machen, noch an allem Schuld. Sonst könnte ich jetzt auch die Hände in den Schoß legen und einfach alles auf meine Mutter schieben, usw. usw.
    Es gehören immer zwei zu einem Konflikt, aber zu dessen Lösung auch… Mutter und Tochter.
    Wenn es aber die Bedingung ist, dass ich all die Schuld verstehe und einsehe und zu Kreuze krieche, dann stimmt da etwas nicht!
    Respektvollen Umgang kann und muss ich erwarten können, denn das erwarten die Kinder auch, egal welche Probleme es gibt. Einfach immer mit dem Knüppel auf die Eltern hauen und zu hoffen, ich wachse indem ich den anderen klein mache geht einfach nicht.
    Es geht nicht darum, wer Recht hat mit seiner Meinung und Sichtweise. Es geht auch nicht darum, dass wir immer alles verstehen müssen. Mir geht es darum, dass als erstes beide sich gegenseitig zu respektieren haben, wie jeder ist. Und wenn man Glück hat, entwickelt sich ein konstruktiver Dialog.
    Auch Ihre Mutter hat, ohne dass ich Ihre Geschichte kenne, Ihnen sehr viel mehr mit ins Leben gegeben, als nur Ihren Schmerz und Kummer. Wie könnten sie sonst z.B. so gut schreiben? Alle Seiten gehören zu unserem Leben und jeder hat die Aufgabe, daraus etwas sinnvolles zu machen.

    Meine Tochter bombardiert mich seit Jahren immer wieder mit ihrer Kritik, aber es kommt NUR Kritik. Alles andere blendet sie entweder aus oder sagt es mir nicht. Das hält auch eine starke Mutter nicht gut aus. Traurig finde ich nur, dass sie sich damit selbst keinen Gefallen tut, denn es geht ihr nicht gut dabei. Und sie fordert, dass ich es lösen soll, weil ich Schuld bin daran, dass es ihr schlecht geht.
    Solange aber die Kinder die Eltern für ihr Wohlbefinden verantwortlich machen, werden sie nie erwachsen. Das Gleiche gilt natürlich auch für mich als Mutter. Nur gegenseitiges Verstehen kann helfen und darum bemühe ich mich sehr. Auch Kinder müssen die Eltern irgendwann aus der Anklage los lassen, weil sie für ihr leben dann alleine verantwortlich sind.
    Ich möchte jetzt noch etwas ganz offen schreiben. Aus Ihren Zeilen lese ich viel Bitterkeit und mir scheint, dass Sie für sich noch nicht wirklich alles aufgearbeitet haben. Sie scheinen für mich noch in der Opferhaltung. Sie lesen so viel böse Absichten in den Text von Frau Kindt, die man nicht zwangsläufig dort lesen muss. Eine Änderung des Blickwinkels, hat mir schon oft geholfen, meine Tochter besser zu verstehen. Das würde Ihnen vielleicht auch helfen.

    Das Buch ist ein Betroffenenbuch und damit natürlich völlig subjektiv und einseitig. Einen anderen Anspruch lese ich auch nicht heraus. Es wird Zeit, dass Eltern mit diesen Sorgen in Austausch treten! Vielleicht kann man sich damit auch helfen, einen besseren Weg zu finden.

    Eine Mutter, die auch Tochter ist in einer sehr schwierigen Mutter/Tochterbeziehung, den Kontakt aber nicht abgebrochen hat.

  45. Bengelchen sagt:

    Hallo,
    wenn ich meine Mutter „verlassen“ würde dann wüßte sie auch nicht warum!
    Sie sieht keine Fehler bei sich.
    Sie sieht alle Fehler bei mir.
    Ich bin schwierig, kompliziert.
    Ich bin anstrengend, nervend.
    Ich habe nichts aus meinem Leben gemacht.
    Ich bin wie mein Vater.
    So sagt sie es immer wieder – seit ich Kind war
    Jetzt bin ich Mitte 40 und nichts hat sich geändert.
    Ich liebe meine Mutter über alles. Nur liebt sie mich????
    Schwer vorstellbar wenn man ihr (und ihrem neuen Mann) nie etwas recht machen kann.
    Weder als Kind noch als Erwachsene schaffe ich es.
    Ich sehne mich – auch mit Mitte 40 – immer noch nach ihrer Liebe.
    Warum tue ich das? Es ist doch auswegslos.
    So laufen auch meine Beziehungen ab.
    Je mehr mich jemand wegstösst – desto mehr klammer ich.
    Ich schaffe es nicht meine Mutter zu verlassen.
    Und würde es mir dann besser gehen?
    Jedenfalls keine Demütigungen mehr.
    Eines ist jedenfalls sicher: Meine Mutter würde nicht verstehen das ich gehe,
    denn sie glaubt das sie alles richtig macht!

  46. Anonym sagt:

    Auch ich habe kurz nach meiner Volljährigkeit den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen.

    Meine Mutter hatte kein gutes Leben. Zweifelslos ist sie ein guter Mensch und ich werde sie, wo ich kann – und wenn ich mich selbst erholt habe, psychisch als auch finanziell – auch unterstützen.

    Sie war kaufsüchtig und hat die Familie in schwerwiegende Probleme gebracht. Aber dies war nur ein kleines Übel. Das große war, dass sie eine Cholerikerin ist, ausgelöst durch hauptsächlich meinen Vater, der Schläger war.

    Ein Zusammenleben war im Grunde nicht mehr möglich. Teilweise wurde man beleidigt wenn man die Mutter begrüßt hat. Es hat sehr viel Kraft gekostet.

    Nach ungefähr 7 Jahren ist die Situation derart eskaliert, dass ich sogar sehr hart beschimpft wurde. Ich bin im Grunde ein friedlebender und sehr ruhiger Mensch. Dennoch hat mich dies nach nunmehr 7 Jahren das erste Mal derart zum Ausrasten gebracht, dass ich von Glück reden kann, dass meine Mutter nicht schwer verletzt wurde oder tot ist.

    Ich wurde während der Eskalation sogar aktiv provoziert, d. h. sie wollte, dass ich sie schlage. Das hat sie provoziert, da mein Vater Schläger war und sie dachte, ich würde genauso handeln, wenn ich ausraste. Jedoch habe ich noch nie jemanden geschlagen.

    Dass sie mich jedoch so abscheulich und verwerflich zu einer Gewaltaktion gegen sie animiert hat und ich mich so aufgeregt habe durch die Beleidigungen, hat mich sehr erschüttert.

    Ich bin nach etwa einer Stunde weggefahren und nie mehr wieder gekommen. Ich lebe nun gute 1.000 Kilometer entfernt von meiner Mutter.

    Das Traurige an der Geschichte ist, dass ich sehr gefühlslos geworden bin, da ich mein ganzes Leben lang ausschließlich mit Streit zu tun hatte. Mir wurde in der Kindheit nicht Gutes getan. Ich habe immer hart gearbeitet und mir wurde alles weggenommen.

    Dies ist alles verarbeitet, dass ich abgestumpft bin, ist jedoch nicht zu ändern. Dennoch kann ich sagen, dass ich nun ein sehr ausgeglichener Mensch bin. Was auch alles passiert ist, mir geht es mittlerweile wieder sehr gut und genieße – so schlimm es klingt – die Abwesenheit meiner Familie.

  47. Dunja Voos sagt:

    Liebe Schreiberin des „Offenen Briefs an Maya“,

    auch ich habe mich gefragt, wie sich wohl die Tochter fühlen muss, wenn die Mutter ein solches Buch schreibt. Wahrscheinlich ruft es Ängste und Wut hervor. Und wahrscheinlich wäre es besser gewesen, der Tochter einen Kunstnamen zu geben – so weit das überhaupt in Zeiten der transparenten Medien noch praktikabel ist.
    Andererseits hat das Buch in der Öffentlichkeit sicher eine Diskussion entfacht, die vielleicht schon lange nötig war.

    Ein Satz, den Sie schreiben, spiegelt sehr gut wider, worum es immer wieder geht, nämlich um die Sprachlosigkeit:
    „Ich lese zwischen den Zeilen genau das heraus, was mich selbst damals den Kontakt zu meiner Mutter beenden ließ: Doppelbotschaften. Subtil, sehr subtil.“

    Das, was unbewusst zwischen Mutter und Kind kommuniziert wird, ist das Problem. Deshalb ist es auch so schwierig, über das Thema zu diskutieren. Immer wieder werfen die Kinder den Eltern Dinge vor, die die Eltern nicht verstehen können – und umgekehrt. Sowohl Eltern als auch Kinder machen sich gegenseitig das zum Vorwurf, was „zwischen den Zeilen“ steht. Beide Seiten fühlen sich verletzt und unverstanden – und suchen nach Ausgleich.

    Hier hilft sehr oft nur eine psychoanalytische Betrachtungsweise: Wenn die Mutter oder das Kind eine psychoanalytische Therapie macht, dann besteht die Möglichkeit, dass die unbewussten Schmerzen verstanden werden.

    Sowohl Eltern als auch Kinder ringen darum, sich zu verstehen. Da es sich jedoch um unbewusste „Schmerzen“ handelt, müssen diese oftmals erst bewusst werden, bevor Verständnis entstehen kann.
    Beispiel: Angelika Kindt schreibt immer wieder, dass sie sich selbst als stark und unabhängig erlebt, wohingegen die Tochter ihrer Mutter vorwirft, dass sie ständig für sie hätte da sein müssen.
    Hier begegnen sich Mutter und Kind auf unbewussten Ebenen. Die Mutter verdrängt ihre Schwächen – sie musste ja auch immer stark sein. Doch sie durchlebte Situationen, die man kaum alleine bewältigen kann. Die Tochter wiederum spürte die Schwächen der Mutter, die die Mutter selbst kaum spürt. Ohne therapeutische Arbeit wird es hier immer wieder haken: Die Mutter sagt: „Ich bin doch stark“ und die Tochter sagt: „Ich musste ständig für Dich da sein, weil Du so schwach warst.“

    Häufig kann ein Psychoanalytiker dabei helfen, die unbewussten Schwächen, Aggressionen und Gefühle zu verstehen. So kann man für sich selbst auch besser verstehen, was man eigentlich zwischen den Zeilen sagt. Und so können auch die „Crazymaker“ zum Ende kommen.

    Viele Grüße von Dunja Voos

  48. Dunja Voos sagt:

    Liebe Luise-7,

    vielen Dank für Ihren Kommentar an die „Schreiberin des offenen Briefes an Maya“.

    Sehr wichtig finde ich Ihren Satz:
    „Warum wollen sich erwachsene Töchter nicht mit ihren Müttern auseinandersetzen?
    Ihr Brief zeigt Verstand, warum setzen sie ihn nicht ein, um mit ihrer Mutter wieder in Kontakt zu kommen?“

    Das fragen sich sicher viele „verlassene Eltern“. Doch die Antwort lautet wahrscheinlich: Weil der Verstand an dieser Stelle nicht weiterbringt. Es geht sehr oft um unbewusste Gefühle. Immer wieder beschreiben Kinder und Eltern, dass sie sich nicht „verstehen“ können. Sie versuchen innigst, ihren Verstand einzusetzen – aber was nicht bewusst ist, kann nicht in Worte gefasst und nicht mit dem Versatnd erfasst werden. Um den Verstand einzusetzen, müssten erst unbewusste Gefühle angesprochen und bewusst werden. Erst durch ein neues emotionales Verständnis kann man dann den Verstand einsetzen.

    Will heißen: Eltern und Kinder stehen vor demselben Problem. Sie kommunizieren auf einer unbewussten Ebene. Kinder spüren unbewusste Gefühle und Schwächen der Eltern – oft sind es Stellen, an denen die Eltern selbst nicht „erwachsen“ werden konnten – zum Beispiel, weil sie Traumatisches erlebt haben oder weil ihre eigenen Eltern nur wenig emotionales Verständnis für sie aufbringen konnten.

    Es sind eben nicht die „erwachsenen Seiten“, die Eltern und Kinder aneinander verzweifeln lassen, sondern die „kindlichen“ Seiten, die nie nachreifen konnten, weil es an einfühlsamen Menschen fehlte. In einer psychoanalytischen Therapie beispielsweise können Schwächen und „kindliche Verletzungen“ ihren Platz finden. Der Patient – egal, ob Mutter/Vater oder Kind – kann dann nachreifen.

    Also: Weder der Appell an die „erwachsene Seite“ noch an den „Verstand“ hilft, weil die Probleme, um die es sich dreht, oft unbewusste Probleme sind. Die heutigen „Kinder“ haben oft das Glück, eine psychoanalytische Therapie machen zu können. Sie erleben dann viel Neues, spüren Trauer und Wut über das Vergangene. Selbst „weiser“ geworden, meinen sie, die Eltern müssten sie jetzt doch verstehen. Das wäre unglaublich wünschenswert. Aber wir müssen anfangen, seelische „Begrenzungen“ genauso ernst zu nehmen wie körperliche Behinderungen. Es ist kein böser Wille, wenn die Eltern die Kinder nicht verstehen können – oder umgekehrt. So schwer das ist: Wer sich verständlicherweise als Opfer fühlt, will, dass der „Täter“ seine Taten einsieht. Aber das geht leider nicht immer. Stehen doch beide Seiten oft im Regen. Sind doch beide Seiten oft in gewisser Weise „Opfer“. Seelische Verletzungen kann man genauso ungewollt weitergeben wie einen Masern-Virus.

    Verstehen kann erst entstehen, wenn das Unbewusste mit einbezogen wird und wenn die Betroffenen zum Beispiel in einer psychoanalytischen Therapie die Wärme und Entlastung erfahren, die ihnen fehlt.

    Aber natürlich gibt es auch Situationen, für die es keine Worte mehr gibt. Situationen, in denen Trennung der einzige Weg ist, um selbst zu überleben (siehe anonymer Kommentar vom 1.6.2011).

    Viele Grüße von Dunja Voos

  49. Anonym sagt:

    Sehr geehrte Schreiberin,

    ihre Interpretation des Buches ist gut. Es ist ihre Meinung, um wirklich wissen zu wollen, wie die Tochter Maya damit umgeht, müßte sie hier selbst schreiben.
    Ob Doppelbotschaften wirklich ein Grund sind, die Familienbeziehung zu beenden, setzt mich in Erstaunen. Was hat Mayas Bruder mit dem Konflikt zu tun?
    Werden da nicht destruktive Familiengeschichten allein auf dem Rücken der Mütter ausgetragen? Sind denn nur die Mütter an allem Schuld oder gibt es da nicht auch Väter, wenn auch nur im Hintergrund, Großeltern, Tanten, Onkel etc. die die Komplexität des Familiensystems mit beeinflussen?
    Sie würden ihrer Mutter übel nehmen, wenn sie mit ihrer Geschichte durch die Talkschows tingeln würde, aber sie haben doch die Mutter-Tochter -Beziehung beendet.?
    Warum wollen sich erwachsene Töchter nicht mit ihren Müttern auseinandersetzen?
    Ihr Brief zeigt Verstand, warum setzen sie ihn nicht ein, um mit ihrer Mutter wieder in Kontakt zu kommen?
    Alles sehr unverständlich für mich als Mutter erwachsener Kinder.

    Mit freundlichen Grüßen

  50. anonym sagt:

    Auf Anraten der Fachärzte für Psychiatrie entschied ich mich vor ein paar Monaten dafür, den Täterkontakt abzubrechen. Die Täter sind meine Eltern. Ihre Taten führten unter einigen anderen schwerwiegenden Diagnosen auch zur Diagnose: DIS (Multiple Persönlichkeit). Es verging kein Tag während meines stationären Aufenthaltes ohne scheinbar besorgten elterlichen Anrufs. Ich bat sie darum, das zu lassen: die Anrufe wurden mehr. Ich verlangte, nicht täglich mehrfach angerufen zu werden: die Anrufe nahmen zu. Ich verweigerte die Anrufannahme: sie versuchten es über das Patiententelefon und damit über die Mitapatienten. Sie steigerten sich bis hin zu einem stalkinghaften Auftretens, bis die Ärzte einschritten. Es wurde deutlich, dass die angebliche Besorgtheit in Wirklichkeit eine Unterwanderung der Therapiebemühungen war und das Ziel verfolgte, das Schweigegebot aufrecht zu halten! „Wir warnen Dich! Gande Dir, wenn Du über Deine Kindheit auspackst und unsere Familie in den Dreck ziehst!“

    „Wenn Sie weiter leben wollen, dann geht das nur, wenn Sie den Kontakt zu den Tätern abbrechen. Solange der Kontakt weiter besteht, wird Traumatherapie keinen Erfolg haben!“ das waren die klaren Worte der Behandler, die sich nicht leichtfertig zu diesen Aussagen hinreißen lassen.

    45 Jahre: das ist genug! Seibzehn Jahre davon Hölle. „Du sollst nicht merken“ greift nicht mehr. Kinder haben immer einen Grund, wenn Sie den Kontakt abbrechen! Wie wahr! Das Eltern auch Opfer sind, das befreit sie nicht von ihrer Verantwortung, die sie als Eltern ihren Kindern gegenüber haben.

    Jede andere Beziehung im Leben können wir aus freien Stücken eingehen und wieder verlassen. Die Beziehung zu den Eltern, wenn sie zu Tätern wurden, ist selbstverständlich ebenso abbrechenbar!

    Ich schreibe das Wort Täter bewusst nicht in Klammern!
    Denn was meine Eltern taten, das sind echte Straftaten nach dem Strafgesetzbuch. Verjährte Taten vor dem Gesetz, aber mit lebenslangen Folgen für mich. Den Rest meines Lebens werde ich nicht mit ihnen verbringen – ich habe mich entschieden und das war ein schwerer Entschluss. Was überzeugt mich aber davon, dass es der richtige Weg ist? FEHLENDE REUE: würde ich meine Täter anzeigen und käme es zur Gerichtsverhandlung würden sie keine ihrer Taten zugeben. Schlimmer noch, sie würden neue Taten an mir verüben in dem sie behaupten würden, dass ihr „schwieriges Kind“ sie regelrecht zu ihrem Verhalten gezwungen hätte oder dass die Tochter den Vater verführt habe und er, der erwachsene Mann, dem gegenüber völlig wehrlos ausgeliefert war. „Alles halb so schlimm“, „das kommt doch so oder ähnlich überall vor“, „Meine Güte, das ist doch alles ewig her.“

    Fakt ist, dass ich mich in viele Persönlichkeiten aufgespalten habe und mit diesem Zerrissensein leben muss. Eine Chance auf Heilung besteht nur, wenn ich mich vor weiteren „Wir haben es doch nur immer gut gemeint – Übergriffen“ rigoros schütze. Das schlimmste ist, dass die Täter sich selbst so viel Glauben schenken und fest davon überzeugt sind, dass ihre Taten gar keinen Schaden angerichtet haben können.
    Wer dies in eindrücklicher Weise einmal erleben möchte, dem sei der Film „Postcards to Daddy“ wärmstens empfohlen: http://www.postcard-to-daddy.de/

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