Münchhausen-by-Proxy-Syndrom: Wenn Mütter ihre Kinder medizinisch quälen

Kindesmisshandlung ist oft sehr schwer erkennbar – vor allem, wenn Eltern ihre Kinder mit „Gutem“ quälen. Manche Mütter führen extreme Therapien bei ihren Kindern durch und schädigen sie damit. Wenn sie die Kinder dann dem Arzt vorstellen, kann es sehr verwirrend werden, zum Beispiel wenn ein Kind immer wieder hochdosierte Nahrungsergänzungsmittel oder Medikamente bekommt, durch die es sich erbrechen muss. Manche Mütter drängen die Ärzte auch wiederholt zu fragwürdigen Operationen oder forcieren ein Leiden des Kindes, sodass der Arzt sich zum Handeln gezwungen sind. Auch manche Mütter, die die Vojta-Therapie bei ihren Babys extrem durchführen, können nahe am Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom sein.

Der Psychoanalytiker Professor Ulrich Sacchsse erklärt das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom sehr gut auf Youtube.

Wer helfen will, muss oft sehr vorsichtig vorgehen. Dem Drang, das Kind der Mutter sofort zu entziehen, kann oft nur schwer widerstanden werden. Doch auch gequälte Kinder wollen oft nicht von ihrer Mutter weg und auch quälende Mütter hängen sehr an ihrem Kind und „lieben“ es, wenn auch in einer unreifen oder perversen Form. Mit einer (sofort einsetzenden, evtl. hochfrequenten) Psychotherapie, die die Mutter wirklich erreicht, können erstaunlicherweise manchmal binnen Wochen gute Veränderungen herbeigeführt werden.

„Aber wenn das Kind gequält wird, muss ich es der Mutter doch sofort entreißen!“, sagt man allzu schnell. Doch nach sorgfältiger Abwägung kann es besser sein, Mutter und Kind noch einmal ein paar Wochen unter Therapie Zeit zu geben, als sofort dramatische Lebensveränderungen herbeizuführen.

Nachdenken unter Druck

Wichtig ist es, zu versuchen, einen Zugang zur Mutter zu finden, auch, wenn sich der Blick fast automatisch und ausschließlich aufs Kind richtet. Die Mütter sind in einer prekären psychischen Verfassung und haben selbst als Kind meistens Unfassbares erlebt. Es gibt Fälle, in denen die Mütter einen Suizidversuch unternehmen, sobald man ihnen das Kind wegnimmt. Es laufen hochkomplexe psychische Vorgänge ab und es erfordert eine gute Schulung der Therapeuten, um nicht zu Kurzschlussreaktionen zu kommen.

Natürlich lässt sich schnelles Handeln oft nicht vermeiden – manchmal muss das Kind sofort von der Mutter weg, damit es nicht mit seinem Leben bezahlt. Doch über das Münchhausen-by-proxy-Syndrom wird erst langsam aufgeklärt. Wann immer der Verdacht auftaucht, ist es wichtig, Vertrauen aufzubauen, die Nerven zu behalten und mit Fachleuten zu sprechen, die sich damit auskennen.

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