Schreckliche Nahtoderfahrungen – wie können Betroffene damit leben?

Meistens hören wir die positiven Berichte von Menschen mit Nahtoderfahrungen (NTE, Near Death Experiences, NDE): Da gibt es gute Begleiter, viel Licht, nie gesehene Farben, unaussprechlich gute Gefühle und ein Verlassen des Körpers. Danach haben viele keine Angst mehr vor dem Tod. Doch etwa eine von fünf Nahtoderfahrungen sind erschreckende, grausame Erfahrungen, über die kaum jemand spricht (Bush und Greyson, 2014). Nancy Evans Bush ist davon betroffen und hat zusammen mit dem Arzt Bruce Greyson einen sehr guten Artikel darüber geschrieben (Distressing Near Death Experiences).

Nahtoderfahrungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht in Worte gefasst werden können, sagt Nancy Bush in ihrem Youtube-Video „Mystery and Ancient Voices: Biblical visions and NDEs“. Wer es erlebt hat, versucht häufig dennoch, Worte dafür zu finden. Viele Betroffene mit positiven Erfahrungen kommen sogar ins Fernsehen. Betroffene mit schrecklichen Nahtoderfahrungen sprechen jedoch oft über Jahrzehnte gar nicht darüber.

Schlimmes Gefühl von Gewissheit

Gemeinsam ist den schrecklichen Nahtoderfahrungen häufig, dass es bedrohliche Begleiter (vielleicht „innere Objekte„?) gibt, ein schreckliches Gefühl von Unendlichkeit, ein Alleinsein im All, ein Nicht-Gehörtwerden und ein körperliches Gequältwerden. Es ist oft ein Gefühl von Gewissheit da, dass dies die ewige Hölle sein muss und dass dieses Gefühl von Verlassenheit und schwarzer Ewigkeit nie mehr aufhören wird.

Manche Psychiater tun dies schlicht als Psychose ab. Damit ist den Betroffenen aber nicht geholfen. Ihr Erlebnis war echt. „Realer als real“, hörte ich einmal eine Frau sagen, die über ihre (positiven) Nahtoderfahrungen sprach. Häufig sind die Nahtoderfahrungen verbunden mit einem Gefühl der absoluten Gewissheit oder dem Gefühl des „Alles-Verstehens-und-Wissens“.

Posttraumatisches Wachstum

Es gebe keine Hinweise darauf, dass Verbrecher oder Selbstmörder negative Nahtoderlebnisse haben und gute Menschen positive Erlebnisse. Dennoch wenden sich Menschen mit schlimmen Nahtoderfahrungen danach dem Bibelstudium und Glaubensgemeinschaften zu. Es ist, als böte ihnen das „Gute Leben“ eine Art Sicherheit vor einem schrecklichen Leben nach dem Tod.

Genau wie bei Menschen mit positiven Nahtoderfahrungen ist das Leben von Menschen mit schrecklichen Erfahrungen danach ein anderes.

(Alp-)Träume und der Körper

Viele Untersuchungen zu Nahtoderfahrungen konzentrieren sich auf den Kopf und die Sinne. Ich denke, es könnte wertvoll sein, auf Körpererlebnisse tiefer im Körper zu schauen.

Wenn wir träumen, dann nehmen wir unseren Körper auf bestimmte Weise wahr. Ist die Blase voll, träumen wir davon, in einem See zu ertrinken. Von überall kommt Wasser her. Werden wir wach, wissen wir auf einmal, warum wir von dem ganzen Wasser träumten: Im Schlaf haben wir unsere volle Blase wahrgenommen.

Es ist, als sei unsere Seele in die Blase gewandert und habe dort von allein Seiten das Wasser wahrgenommen. Unsere Tiefenrezeptoren haben uns ein Bild, eine Empfindung und ein Gefühl gemalt. Ebenso können wir von dunklen Höhlen träumen, wenn wir vor dem Schlaf Geschlechtsverkehr hatten oder im Schlaf unser volles „Darmrohr“ oder unseren leeren Magen spüren.

Nancy Bush schreibt über einen atheistischen Professor mit einer Darmruptur, dass er sich in seiner Erfahrung gequält und auseinandergerissen gefühlt hatte. Das Gefühl, auseinandergerissen zu werden, war ein Reales: Der Darm riss auseinander. Es ist, als würde die Seele dann vollkommen in der rupturierten Stelle verweilen.

„An atheistic university professor with an intestinal rupture experienced being maliciously pinched, then torn apart by malevolent beings.“ (Distressing Near Death Experiences, S. 373)

Nahtod und Geburt

Auch erinnern mich manche Beschreibungen an Beschreibungen von Geburtserlebnissen. Auch bei der Geburt sind wir im schlechten Fall allein und verlassen gewesen. Wir waren vollkommen hilflos und hatten keinerlei Kontrolle. Wenn wir an unser Zeit-Erleben als Kinder denken, dann wissen wir noch, wie lang ein Nachmittag vor Heilig Abend war. Kindern vergeht die Zeit extrem langsam und wenn sie Schreckliches wie Hunger und Alleinsein erleben, steht die Zeit still.

Auch wenn wir Erwachsene in einer Qual sind, ist es, als käme uns unser Zeitgefühl abhanden. Das Schreckliche vermittelt uns ein erbarmungsloses Gefühl von „Jetzt“ – es ist, als würde es nie mehr etwas Anderes geben und als sei nichts Anderes mehr vorstellbar. Wenn wir fallen, denken wir in Bruchteilen von Sekunden unglaublich viel. Wir denken dabei oft in Bildern, weniger in Worten, denn Bilder sind schneller als Worte. Oder aber wir wundern uns, wieviele Worte in einen Bruchteil einer Sekunde passen.

Wir haben lange an den handfesten Dingen geforscht: Technik, Chemie, Physik, Informatik sind uns vertraut. Unser westliches reales Leben tut vieles schnell als Esoterik, Psychose und Schwurbelei ab. Endlich kommen wir in eine Zeit, in der sich Wissenschaftler dem Unerklärlichen zuwenden und ganz neue Welten entdecken. Vielleicht ist den Betroffenen allein durch das ernsthafte Interesse der Menschen an ihrem Erleben schon wenigstens etwas geholfen.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Nancy Evans Bush, Bruce Greyson
Distressing Near Death Experiences – The Basics
Feature Series, Missouri Medicine, September/October 2014, S. 372-376
https://med.virginia.edu/perceptual-studies/…pdf

Bush, Nancy:
Dancing Past the Dark: Distressing Near-Death Experiences.
Cleveland, TN: Parson’s Porch Books 2012

Dante Alighieri (1832):
Die Göttliche Komödie
Burkhard Wolk: 9 Kreise des Inferno
https://youtu.be/ThV3s61oUl8

Unversity of Virginia (UVA) Medical Center:
Is there Life after Death?
50 Years of Research at UVA, 7.3.2017
Youtube

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