Schlecht gestimmt? Über Heiserkeit, Stimmprobleme und die psychogene Stimmstörung
Plötzlich bist Du heiser und die Stimme ist weg. Die Heiserkeit wird als „Dysphonie“ bezeichnet („Dys“ = „gestört“), die Stimmlosigkeit als „Aphonie“ („A“ = „weg“, „phon-“ = Ton, Stimme). Doch der HNO-Arzt kann vielleicht nichts feststellen – er sieht höchstens in der Kehlkopfspiegelung (Laryngoskopie), dass sich die Stimmlippen während der Lautbildung (Stimmbildung, Phonation) nicht ganz so annähern, wie sie es bei beschwerdefreien Menschen tun würden. „Das ist psychisch bedingt“, sagt er dann. Und nun? Besonders Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr sind von psychisch bedingten Stimmstörungen betroffen (Ärzteblatt, 8. Mai 2015). Dabei ist man „verstimmt“ und nicht in „guter Stimmung“.
Häufig gehen der Heiserkeit und Stimmlosigkeit psychische Belastungen und/oder Infekte voraus. Hohe psychische Belastungen führen zu Anspannungen der Muskeln und der Kehlkopfmuskulatur.
Oft hilft die Kombination aus Psycho- und Stimmtherapie (Reiter et al., 2013), doch auch hier kommen viele nicht weiter. Das liegt daran, dass sich das vegetative Nervensystem nicht so einfach umstimmen lässt. Um das vegetative Nervensystem wirklich beeinflussen zu können, braucht es oft eine Bewegungs- und Meditationsform, die wochen- oder sogar jahrelang geübt wird. Dazu kann Yoga, TaiChi, QiGong oder Ähnliches gehören.
Hinter dem Stimmverlust stecken oft Ängste. Die Stimme zu erheben, seine Stimme abzugeben, seine Meinung zu sagen kann mit schwerwiegenden Folgen verbunden sein – so der Angstgedanke. Häufig wird bei Stimmstörungen mit gepresster, relativ hoher Stimme gesprochen. Es kann schon helfen, die Stimme bewusst abzusenken und länger auszuatmen.
Wenn wir zu hoch, also aufgeregt, sprechen, dann beanspruchen wir unsere Stimme über die Maßen. Gut ist es, möglichst mit der natürlichen Stimmlage zu sprechen. Die müssen wir manchmal erst wiederfinden, doch es lohnt sich. Die Professorin für Musiktherapie, Susanne Bauer, und Kollegen schreiben: „Danach wird die mittlere Sprechstimmlage, das heißt die Stimmqualität, die durch die Grundstellung der Stimme in entspannter Lage erzeugt wird, von Zuhörern in den meisten Fällen als ‚angenehm‘ und ‚authentisch‘ wahrgenommen.“ (Susanne Bauer et al., 2010, S. 17, PDF) Es gibt „Studien zum verbalen und Vokalen Verhalten in der Mutter-Kind-Beziehung, die aufzeigen, dass die affektive-kognitive Entwicklung durch stimmliche Stimulierung gefördert wird.“ (Susanne Bauer et al., 2010, S. 30, verweist auf Altmann et al. 2002, Beebe/Lachmann 1994, Malloch 1999, Papousek 1981, Papousek/Papousek 1988, Stern 1991, Colwyn Trevarthen 2002)
Tipp bei Reizhusten: Es kann helfen, die Nase zu „putzen“, zu schnäuben, auch, wenn die Nase frei ist. Die Art der Atmung kann den Reizhusten lindern.
Störungen der Stimmproduktion rühren oft auch von einer „inkorrekten“ bzw. angespannten Atmung her. Die „Bienenatmung“ aus dem Yoga (Bhramani Pranayama, Humming Bee Breathing) kann bei regelmäßigem Üben die Stimme und das autonome Nervensystem entspannen. Die Schwingungen, die man mit der eigenen Stimme produziert, wirken auch auf das Trommelfell im Ohr. Dies wiederum wirkt ebenfalls beruhigend. Mehr dazu siehe: Bhramari Pranayama: Bienenatmung auf Yogavidia, https://youtu.be/REw65kjfvrg
Konflikte lassen die Stimme erstarren
In der Psychoanalyse werden manche Stimmstörungen auch als „Konversionssymptom“ erkannt: Die Heiserkeit weist auf einen Konflikt hin. Früher gab es den Ausdruck „hysterische Konversion“ für körperliche Symptome, in denen seelische Nöte ausgedrückt werden. Der Autor Peter Butcher hat festgestellt, dass besonders Frauen in extremen Stresssituationen mit Heiserkeit und Stimmlosigkeit reagieren. Häufig stehen die Symptome „in Verbindung mit Konflikten in persönlichen Beziehungen, niedriger Selbstachtung, schweren Verantwortungslasten und Gefühlen der Machtlosigkeit“ (Butcher, 1995).
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Literatur:
Leah B. Helou et al. (2013)
Intrinsic laryngeal muscle activity in response to autonomic nervous system activation
Laryngoscope November 2013, Vol 123, Issue 11, Pages 2756-2765
https://doi.org/10.1002/lary.24109
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/lary.24109
Wenn der Körper unter Stress gesetzt wird, reagiert das autonome Nervensystem z.B. mit einer Erhöhung des Blutdrucks. Auch Muskeln spannen sich an, z.B. der Musculus trapezius, zusammen mit den Kehlkopfmuskeln.
Ulrich Ott, Janika Epe (2018):
Gesund durch Atmen: Ein Neurowissenschaftler erklärt die Heilraft der bewussten Yoga-Atmung
O.W. Barth Verlag 2018
https://www.droemer-knaur.de/buch/ulrich-ott-janika-epe-gesund-durch-atmen-9783426292761
https://www.ulrichott.de/
Prasad Rajkishore, Fumitoshi Matsuno (2006):
Does Humming Sound play Healing role in Bhramari Pranayama?
SCIS & ISIS 2006
https://doi.org/10.14864/softscis.2006.0.1983.0
Reiter R et al. (2013):
Long term outcome of psychogenic voice disorders
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.anl.2013.01.002
Auris Nasus Larynx 2013; 40: 470-475
Butcher, Peter (1995):
Psychological processes in psychogenic voice disorder
International Journal of Language & Communication Disorders
DOI: 10.3109/13682829509087245
Volume 30, Issue 4, pages 467–474, October 1995
Niebudek-Bogusz E. et al. (2008):
The Effectiveness of Voice Therapy for Teachers with Dysphonia
Folia Phoniatr Logop 2008;60:134–141
(DOI:10.1159/000120290)
www.karger.com/Article/Abstract/120290
Grover, Mary; Catlin-Jairazbhoy, Amy (1996):
Voice Therapy – A Case Study Combining Eastern and Western Techniques
Journal of the Indian Musicological Society27 (Jan 1, 1996): 17
search.proquest.com/openview/c2e571f127ae0004ee7013d1ef64f4ae/1
Susanne Bauer, Alemka Tomicic und Kollegen (2010):
Die Bedeutung von Stimme und Stimmklang im psychotherapeutischen Prozess aus der Sicht der Patienten und Patientinnen.
Psychoanalyse und Körper, Nr. 17, 2010, Heft II: S. 27-50 (PDF)
Prof. Susanne Bauer „promovierte zum Thema Musiktherapie, Emotionen, Wahrnehmung und Schizophrenie an der Universität Ulm. In der Forschung hat sie sich u.a. mit der emotionalen Wahrnehmung, dem musikalischen und verbalen Ausdruck bei Menschen mit Schizophrenie und Asperger Syndrom, der Bedeutung von Stimmklang und Stimmqualität in der psychotherapeutischen Diagnostik und der Beziehungsregulation in der psychotherapeutischen Dyade sowie der Bedeutung des Musizierens zur Erhaltung des Selbstgefühls für Menschen in extremen Lebenssituationen, auseinander gesetzt.“ Universität der Künste, Berlin
Dieser Beitrag erschien erstmals am 2.8.2015
Aktualisiert am 21.12.2023