Triebe (englisch: Drives): Der körperliche Drang in uns

Manchmal fühlen wir uns zu etwas „getrieben“. Ohne Hunger und Durst ist kein Leben möglich. Wir kennen unzählige Triebe. Manchen müssen wir unbedingt nachkommen, z.B. dem „Trieb“, uns zu entleeren. Das, was uns körperlich oder emotional treibt, wird in unserer Psyche als Vorstellung wiedergegeben: „Ich hab‘ Dich zum Fressen gern!“ Sigmund Freud sagte: „Unter einem ‚Trieb‘ können wir zunächst nichts anderes verstehen als die psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen Reizquelle, zum Unterschiede von ‚Reiz‘, der durch vereinzelte und von außen kommende Erregungen hergestellt wird.“

… „Trieb ist so einer der Begriffe der Abgrenzung des Seelischen vom Körperlichen. … Die Quelle des Triebes ist ein erregender Vorgang in einem Organ und das nächste Ziel des Triebes liegt in der Aufhebung dieses Organreizes.“ (Sigmund Freud, 1905/1924: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie: Partialtriebe und erogene Zonen, www.projekt-gutenberg.org/freud/3abhandl/chap006.html und auch: Reclam, Stuttgart 2010: S. 50/51)

Trieb, Körper und Seele

Der innere körperliche Reiz verursacht eine psychische Vorstellung (Repräsentanz): Ist die Blase voll, stellen wir uns vielleicht einen mit Wasser gefühllten Ballon vor. Sind wir sexuell erregt, bekommen wir sexuelle Phantasien. Wir haben eine Vorstellung von unserem Körper und davon, was er braucht. Das heißt: Wir können uns psychisch vorstellen, wo’s körperlich juckt. Wenn der Magen leer ist („Reiz“), dann verspüre ich Hunger und habe eine Vorstellung von Mangel, zum Beispiel die Vorstellung von einem „Loch im Bauch“ (psychische Repräsentanz). Wenn die Wut kommt, steigen meine Stresshormone im Körper an. Ein aggressiver Trieb baut sich auf und verlangt nach Abfuhr – sehr oft durch Bewegung, übermäßiges Denken und Sprechen. Das sogenannte „Triebziel“ ist die Rückkehr zum unerregten Ausgangspunkt. Das Triebobjekt ist das, was wir brauchen, um unseren Trieb zu befriedigen, z.B. Wasser bei Durst, einen anderen Menschen bei Erregung oder Bewegung nach langem Stillsitzen.

Der körperliche Trieb erwächst aus einer Körperregung, die sozusagen in die Psyche gelangt und darauf drängt, befriedigt zu werden. Man giert nach Essen, will Wut loswerden oder mit dem Partner schlafen. Dabei sind gesunde Menschen nicht „unersättlich“, sondern sie wollen zu ihrem Gleichgewicht, zu ihrem „Nullpunkt“ zurückkehren – Freud nannte diese Tendenz, zur Homöostase zurückzukehren, das „Nirwana-Prinzip“.

„Affect is the subjective side of drive.“ („Der Affekt ist die subjektive Seite des Triebs.“) Mark Solms – The Hidden Spring, May 23, 2021, talksonpsychoanalysis.podbean.com, Min. 07.25. Mark Solms sagt in seinem Podcast „The Hidden Spring“, es gebe sieben emotionale Triebe zusätzlich zu den Körpertrieben.

Umwege

Nicht alle Triebe können immer und sofort „ausgelebt“ werden – das verbietet uns unsere Kultur (siehe Sigmund Freud: „Das Unbehagen in der Kultur“). Triebe werden daher oft verdrängt oder sublimiert. Von den Trieben zu unterscheiden sind die körperlichen und emotionalen Bedürfnisse.

Der südafrikanische Neuropsychoanalytiker Mark Solms erklärt in seinem Podcast „The Hidden Spring“, ab wann das Nahrungsbedürfnis zum Hunger wird. Er führt aus, dass wir zum Beispiel die ganze Zeit verstoffwechseln und verdauen, ohne es zu merken. Doch erst, wenn unser Körper einen Mangel hat, empfinden wir Hunger. Der Hunger wird uns bewusst. Erst, wenn der Hunger bewusst wird, ist es ein Trieb. Er beschreibt, wie sich seine Blase unmerklich füllt, z.B. während einer Vorlesung. Doch erst am Ende der Vorlesung spürt er seine volle Blase. Dann wird es zum dringlichen Verlangen, die Blase zu entleeren. Dieses dringliche Verlangen sei dann der Trieb, so Solms.

„Sublimation“ bedeutet, dass der Trieb so befriedigt wird, dass auch die Gesellschaft mit meinem Verhalten leben kann. Wenn wir wütend oder erregt sind, können wir uns abregen, indem wir im Orchester eine Beethoven-Symphonie spielen. Kinder, die gerne mit Dreck oder Kot spielen würden, können diesen Trieb ersatzweise befriedigen, indem sie z.B. mit Fingerfarben malen. Diese Ersatzhandlungen heißen „Sublimationen“. „Sublimation“ (sub = lateinisch für „unter“, limes = „Grenze“) ist eine „Umleitung“ auf dem Weg zur Triebbefriedigung. Manchmal fühlt es sich an wie eine Art „schlechtere Wahl“, die wir treffen, um in der Gesellschaft nicht anzuecken. Manchmal aber kann die Sublimation auch zur echten Erfüllung werden.

Es gibt viele Triebe

Wir kennen unzählige Triebe. Der Psychoanalytiker Wilfred Bion (1897-1979) nannte z.B. auch den „Wahrheitstrieb“ und den „Wisstrieb“ – das heißt, dass sich die Menschen nach der Wahrheit sehnen und diese durch Neugier herausfinden wollen. Der Psychoanalytiker Harold Searles (1918-2015), der viel mit Psychotikern arbeitete, beschrieb den Trieb, einen anderen verrückt machen zu wollen und der Dichter Friedrich Schiller (1759-1805) erklärte, wie wichtig der „Spieltrieb“ für die menschliche Entwicklung ist.

„Von 1894-1911 dominiert der Dualismus Sexualtriebe versus Ich-(bzw. Selbsterhaltungs-)Triebe; von 1915-1920 sind es Sexual- vs. Aggressionstriebe und ab 1920 ist es Lebens- versus Todestrieb.“
Freuds Triebtheorie in: Mertens/Waldvogel: Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, Kohlhammer-Verlag 2008

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Lesetipps:

Ebbecke, U (1955):
Hunger, Durst, Sättigung, Übelkeit, Ekel von der physischen und der psychischen Seite betrachtet
Acta Neurovegetativa 10, 409–428 (1955). https://doi.org/10.1007/BF01227086
https://link.springer.com/article/10.1007/BF01227086

Sigmund Freud (1930):
Das Unbehagen in der Kultur
reclam

Vanscheidt E., Vanscheidt W. (1989):
Das psychoanalytische Konzept Sigmund Freuds.
In: Männliche Sexualität. Birkhäuser, Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-5269-2_3
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-0348-5269-2_31

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 23.2.2013
Aktualisiert am 17.7.2023

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