102 Wie wird man Psychoanalytiker*in? Präverbale Zustände erfassen durch Reverie

Was wir erlebten, bevor wir sprechen konnten, beeinflusst uns vielleicht ganz besonders tief. Der Psychoanalytiker Giuseppe Civitarese schreibt in seinem Buch „Truth and the Unconscious in Psychoanalysis“ eindrücklich, wie das Undenkbare denkbar werden kann. Der Analytiker stellt dabei sozusagen seinen eigenen seelischen Raum zur Verfügung. Die träumerischen Räume von Patient und Analytiker vereinigen sich.

Giuseppe Civitarese: Truth and the Unconscious in Psychoanalysis, Routledge, 2016: „From the perspective of a post-Bionian theory of the analytic field, I will attempt to show in a detailed clinical vignette how the analyst’s reverie can gradually lead to figurability (Botella and Botella, 2001) in the patient and that the more sensorial the quality of the analyst’s reverie, the higher the degree of thinkability achieved by the patient in relation to traumas originating in the non-verbal stages.“

„Aus der Perspektive der post-Bionischen Theorie des Analytischen Feldes werde ich eine detaillierte Fallvignette vorstellen. Hier wird deutlich, wie die Reverie des Analytikers nach und nach zur Figuarbilität (Botella und Botella, 2001) im Patienten führen kann. Je sensorischer die Reverie des Analytikers ist, desto höher wird der Grad der Denkbarkeit, die der Patient erreichen kann im Hinblick auf Traumata, die im nicht-sprachlichen Bereich ihren Ursprung nahmen.“

Giuseppe Civitarese: Truth and the Unconscious in Psychoanalysis, Routledge, 2016: „Reverie is the place where the patient’s partially obstructed capacity to dream and the (hopefully more available) oneiric space of the analyst overlap – it is where the analysis actually takes place. The analyst’s core intervention in this context is therefore not so much an interpretation (i.e. a de-coding or putting into words), even if, from the point of view of the classical psychoanalytic theory, it could be described very much as an interpretation IN the transference.“

„Die Reverie ist der Ort, an dem die teilweise behinderte Fähigkeit des Patienten zu träumen und der (hoffentlich mehr verfügbare) träumerische Raum des Analytikers sich überschneiden. Es ist der Ort, an dem die Analyse tatsächlich stattfindet. Die wichtigste Intervention des Analytikers in diesem Kontext ist daher nicht so sehr die Deutung (also das De-Kodieren oder das Fassen in Worte), auch wenn es – aus Sicht der klassischen psychoanalytischen Theorie – als eine Deutung IN der Übertragung beschrieben werden könnte.“

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Literatur:

Bergstein, Avner
Transcending the caesura: Reverie, dreaming and counter-dreaming
The International Journal of Psychoanalysis
Volume 94, Issue 4, August 2013
https://doi.org/10.1111/1745-8315.12055
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/1745-8315.12055

Giuseppe Civitarese:
Truth and the Unconscious in Psychoanalysis
Routledge, 2016

César Botella, Sara Botella:
The Work of Psychic Figurability:
Mental States Without Representation
Brunner-Routledge 2005
https://www.taylorfrancis.com/books/mono/10.4324/9780203342206...

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