Corona: Wir sind alle gleich – das macht uns Angst

Wenn es uns mal schlecht geht, dann gibt es andere, denen es besser geht. Wenn ich eine Depression habe, gibt es genügend Menschen ohne Depression. Wenn ich Regeln unangemessen finde, kann ich protestieren. Ich kann auch provozieren. Ich kann durch Protest, Regelbruch und Provokation meine Einzigartigkeit spüren. Das geht bei Corona auf einmal nicht mehr. Wir können nicht ausbrechen, so scheint’s, und jedem geht es genau wie mir. Wir scheinen alle hypnotisiert und gelähmt – das macht Angst.

Früher konnten wir uns rausreden: Wenn es mir hier nicht gefällt, dann wandere ich eben aus. Das geht jetzt in unserer Vorstellung nur schwer.

Bei vielen Problemen können wir sagen: Das ist absehbar. Ich beiße zwei Wochen die Zähne zusammen und dann ist es wieder gut. Auch das geht hier nicht. „Ich war zwei Jahre lang in einem Schweige-Kloster“, sagt eine ehemalige Nonne und wird von den anderen dafür bewundert. Jetzt ist es aus mit der Bewunderung: Wir alle sind vereinzelt und sitzen isoliert in der Zelle, so scheint’s. Dieses Gefühl von kollektiver Ohnmacht ist es, was uns Angst macht. Wenn ich mit meiner Angststörung zum Psychotherapeuten gegangen bin, wusste ich: Er hat keine Angst und kann mir helfen. Wenn ich mit Bronchitis zum Arzt ging, konnte er mir helfen. Jetzt sind die Helfer selbst in Gefahr. Der Psychotherapeut sitzt mit mir in einem Boot. Er hat selbst Angst.

Gelähmt

Dieses Gefühl des weltweit Kollektiven ist unangenehm. Es ist, als würden nun alle Menschen gleichgemacht. Als würde ein Meteorit aus dem All auf uns zufliegen und uns alle plattmachen, egal, wie gebildet, reich, arm oder krank wir sind. Wir sind nun gegen unseren Willen alle gleichgemacht worden. Kaum Proteste auf der Straße. Kaum Wissenschaftler mit anderer Meinung. Selbst ich schwimme im Fahrwasser mit. Wenn wir unsere Identität verlieren, unsere Einzigartigkeit, dann macht uns das Angst. Zur Zeit könnte so ein Gefühl aufkommen. Wir können nicht mehr „hervorstechen“, wir sind alle gleich abhängig und bedroht, egal, wo wir hinschauen. Es ähnelt einem Horrorfilm.

Aber …

Aber wir können kreativ sein! In den abgelegenen Wäldern Kanadas gibt es noch Orte und Hütten, wo Corona niemals hinkommt. Wir können uns an den „Engel von Mogadischu“, Gabriele von Lutzau erinnern. Die Stewardess der Lufthansa-Maschine „Landshut“ saß wie alle anderen Passagiere in der Maschine mit den Entführern fest. Und doch hatte sie eine besondere Kraft. Sie hatte beschlossen, den anderen zu helfen.

Auch unter uns gibt es weiterhin die sehr Verzagten und die, die ihre Zuversicht nicht verlieren. Und wenn der Psychotherapeut mit uns im selben Boot sitzt, dann können wir entdecken, wie wir mit dieser Gemeinsamkeit umgehen. Wir können zu Forschern unserer Situation werden und uns überlegen, wie es ist, wenn wir später unseren Nachkommen davon erzählen.

Wir lernen hier gerade sehr, sehr viel über die menschliche Psyche. Wir können uns vorstellen: So wie unsere eigene Psyche funktioniert, so funktioniert in vieler Hinsicht auch die Psyche einer Gruppe oder sogar die Psyche einer ganzen Menschheit. Und jetzt können wir sie von innen heraus betrachten. Und so wie wir uns selbst psychisch auch weiterentwickeln und zu immer besseren Lösungen finden, so werden auch die Menschen gemeinsam weitergehen und immer mehr entdecken, wissen, fühlen und verstehen. Wie können alle gemeinsam irgendwann aus dieser Ohnmacht aufwachen und uns freuen über die Entwicklung, die wir gemeinsam gemacht haben.

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3 thoughts on “Corona: Wir sind alle gleich – das macht uns Angst

  1. modean sagt:

    Hall Frau Voos,

    ich versuche mich einmal an einem Experiment, indem ich einen Ihrer Punkte aufgreife.

    „Ich war zwei Jahre lang in einem Schweige-Kloster“

    Genau das ist es.

    Stellen Sie sich jemanden mit einem schweren atopischen Ekzem (Neurodermitis) am ganzen Koerper vor. Dieser Mensch weiss sehr genau, wenn es juckt dann ist das einzige was Erleichterung verschafft, zu kratzen. Dieser Mensch weiss aber auch, dass wen er kratzt, alles um ihn herum schneeweiss von Schuppen ist. Fuer diese Person ist dann quasi immer irgendwie Winter. Diese Person weiss auch, dass wenn sie kratzt, es anfaengt zu bluten. Das warme Blut mag zuerst einmal Erleichterung verschaffen. Die Wunden infizieren sich aber. Sie heilen schlecht ab und platzen immer wieder auf. Irgendwann bilden sich Narben.

    Diese Person hat also gelernt den Juckreiz nach Moeglichkeit, ob der Konsequenzen, auszuhalten. Genauso lernen wir gerade mit Corna uns nicht in’s Gesicht zu fassen, ob der moeglichen Konsequenzen. Genauso lernen wir, dass dies unheimlich schwer faellt.

    Stellen Sie sich jemanden vor, auf den ein gewalttaetiger Uebergriff veruebt wurde. Einfach so aus heiterem Himmel. Es haben sich Panickattacken in der Folge eingestellt, die durch bestimmte, oft triviale Ereignisse getriggert werden. Das Gefuehl die Dinge bewaeltigen zu koennen, ging teils oder gar voellig verloren. Stattdessen hat sich ein Gefuehl der Zeitlosigkeit ob des Kontrollverlustes eingestellt.

    Genauso verhaelt es sich mit Corona. Wir dachten noch im Februar alles im Griff zu haben. Die Dinge schienen irgendwie kontrollierbar. Doch dann kam der Maerz. Der Uebergriff. Nichts ist wie zuvor. Es gibt Tage da scheint die Zeit, ob der ganzen Corona-Meldungen, still zu stehen. Man fuehlt sich ganz und gar fremdbestimmt, so wie ein Taeter seinem Opfer seinen Willen ueberstuelpt. Oft hat man das Gefuehl im Kopf mache sich ein matschiges Gefuehl breit. Man fuehlt sich als waere man in Watte gepackt. Genauso wie bei einer Panickattacke, bei der die Person anfaengt zu dissozieren.

    Ich koennte noch endlos Beispiele anfuehren. Doch zurueck zu meinem Experiment. Ja Corona bzw. die Art wie damit umgegangen wird, macht uns alle gleich.

    Corona ist, ob dessen was ich beschrieben habe, aber auch eine Chance. Naemlich das und vor allem die Personen zu verstehen, was bzw. die man ansonsten nicht verstanden hat. Vielleicht hat man jemanden mit einem atopischen Ekzem sogar schraeg von der Seite angeschaut oder ihn sogar aufgezogen, da er immer mit knallroter Gesichtshaut rum gerannt ist. Vielleicht hat man ihn stillschweigend als notorischen Skifahren gebrandmarkt, der es nicht versteht, sich mit Sonnenschutzkreme einzukremen.

    Nun besteht die Chance zu mehr Empathie aufgrund dessen, was wir gerade auf sehr ungewollte Weise alle zusammen erleben. Ob dies gelingt hat dann tatsaechlich jeder selbst im Griff. Sprich ganz und gar haben wir die Kontrolle nicht verloren.

  2. Dunja Voos sagt:

    Herzlichen Dank, liebe Hubi, für diesen Kommentar. Zeigt er doch, wie unterschiedlich wir eben doch alle sind! Danke :-)

  3. hubi sagt:

    ich muss ehrlich gesagt sagen, dass mir diese „gleichheit“ keine angst macht. es ist eine der wenigen situationen, wo ich spüre, dass wir alle verbunden sind. ich finde den aspekt, dass wir alle gleich sind, nicht schlimm. im gegenteil. auch sehe ich, dass im großen und ganzen die welt zusammenhält und gemeinsam dinge unternimmt, um die welt wieder sicher zu machen. ich vertraue darauf, dass die politiker und wissenschaftler und der gesunde menschenverstand auf besserung der situation hinarbeiten.

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