97 Wie werde ich Psychotherapeut*in/Psychoanalytiker*in? Sich aktiv mit dem Aversiven auseinandersetzen
Um Psychotherapeut*in/Psychoanalytiker*in zu werden, brauchst Du ein Interesse daran, das Aversive zu untersuchen. Deswegen ist dieser Beruf oft auch so schwierig und deswegen scheuen sich viele Patienten davor, eine psychoanalytische Psychotherapie zu beginnen. Manchmal machen wir Halt, bevor es zu aversiv wird. Wir sagen, wir wollen den Patienten schonen, doch wollen wir häufig auch uns selbst schonen. Rasch schauen wir nach den den Stärken und Ressourcen. Doch wenn Patienten eine ähnliche Atmosphäre schaffen wie die, in der sie groß geworden sind, wenn es also auch um Gewalt, Schuld, Ekel und (noch) nicht Benennbares geht, dann ist es oft schwer auszuhalten.
In der Psychotherapie-/Psychoanalyseausbildung arbeitest Du daran, Deinen eigenen psychischen Raum zu erweitern. Durch die Selbsterfahrung/Lehranalyse kannst Du, wenn sie gut ist, das Gefühl des Gehaltenwerdens verinnerlichen. Dabei lernst Du eigene Regressionstiefen kennen und bekommst auch ein Gespür dafür, wie Du später die Regressionstiefe Deines Patienten „dosieren“ kannst. Schweigen bewirkt, dass sich Unbewusstes weiter ausbreitet, Worte können wieder mehr Bewusstes mit hineinbringen.
Mit dem Patienten zusammen das Unaushaltbare auszuhalten und zu erforschen, ist oft schwierig, doch durch dieses gemeinsame Erleben hat das Aversive die Chance, anerkannt zu werden und sich möglicherweise auch zu wandeln. Dazu gehört immer wieder das Überwinden von Angst – oder das Mitgehen mit der Angst. Plötzlich wird vielleicht eine psychische Bewegung spürbar. Etwas Grässliches lässt nach oder bekommt einen Namen oder formt sich um. Und manchmal bleibt es auch, um immer wieder nahezu unverändert aufzutauchen.
Wer Psychoanalytiker*in werden will, braucht vielleicht eine gewisse „Liebe“ zum Aversiven. Häufig gibt es schier Unverdauliches, bei dem Therapeut und Patient immer wieder landen. Es gibt Dinge im Leben, die lassen sich manchmal nicht bearbeiten und verdauen wie z.B. Folter oder schwere Gewalt in der frühen Kindheit. Man wird sich auch nie daran gewöhnen können. Doch das Aversive lässt sich nach und nach in Zusammenhänge einordnen.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 15.2.2020
Aktualisiert am 26.12.2023