12 Wie wird man Psychoanalytiker? Die Lehranalyse
An den Punkten im Leben, an denen man selbst noch in problematischer Weise feststeckt, kann man seinen Patienten manchmal nur schwer weiterhelfen. Das Kernstück der Ausbildung zum Psychoanalytiker ist daher die Selbsterfahrung bzw. die Lehranalyse. Bei der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) geht man als Ausbildungsteilnehmer/-kandidat vier Mal pro Woche zur Lehranalyse. Diese findet im Liegen auf der Couch statt. Hier erfährt der angehende Analytiker am eigenen Leib, wie es ist, auf der Couch zu liegen und nahezu Unaushaltbares zu fühlen. Er spürt, wie es ist, gehalten zu werden und die Dinge mühsam durchzuarbeiten. So ist er für später gerüstet, wenn er selbst Patienten behandelt, die mit schwer erträglichen Spannungszuständen bei ihm auf der Couch liegen.
3-mal pro Woche reicht für den Abschluss „Psychoanalyse“ vor der Ärztekammer
Wenn man lediglich nach den Standards der Ärztekammer oder Psychotherapeutenkammer (Weiterbildungsordnung, WBO) Psychoanalytiker werden möchte (= nach Psychotherapeutengesetz, PTG), reicht eine dreistündige Psychoanalyse aus. Wer eine dreistündige Lehranalyse an einem DPV-Institut macht, ist nach der Ausbildung jedoch kein „DPV-Psychoanalytiker“. Man hat dann nur den Zusatztitel „Psychoanalyse“ erlangt und kann affiliertes, aber kein vollwertiges Mitglied der DPV werden.
„Vor allem müssen wir gar zu gut und „bis zum Grund“ analysiert sein, alle unsere unliebsamen äußeren und inneren Charakterzüge kennen, damit wir so ziemlich auf alles gefaßt sind, was an verstecktem Haß und Geringschätzung in den Assoziationen der Patienten enthalten ist.“
Sandor Ferenczi (1933): Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 19 (1-2): 5-15, PEP-Web
Umstrittene Vierstündigkeit
Die Vierstündigkeit ist umstritten – ist sie wirklich sinnvoll? Das wird wahrscheinlich jeder für sich selbst in der Lehranalyse herausfinden. Ich selbst habe sowohl Erfahrung mit dreistündigen als auch mit vierstündigen Analysen gemacht und meine Erfahrungen mit der Vierstündigkeit empfinde ich als so wertvoll, dass ich sie nicht missen möchte.
Oft heißt es auch, die Vierstündigkeit sei nicht mehr zeitgemäß – wer habe denn heute noch die Muße und das Geld, viermal pro Woche zur Lehranalyse zu gehen? Es ist erstaunlich, wieviel auf einmal denkbar wird, wenn man das Argument „Heutzutage“ weglässt. Auch heute noch brauchen die Menschen Beziehungen und auch heute noch ist es möglich, die Zeit und Mühe für die persönliche Weiterentwicklung aufzubringen.
Die Vorteile der Vierstündigkeit
Wer eine Psychoanalyse macht, weiß, wie quälend es sein kann, wenn man ein schwieriges Thema aufgebracht hat und dann über das Wochenende auf die nächste Stunde warten muss. In einer vierstündigen Lehranalyse ist es leichter, schwierige Themen aufzubringen, wenn man weiß: Morgen sehen wir uns wieder. Am Ende der Stunde muss man nicht immer auf den Punkt kommen und Spannungen lassen sich rascher wieder abbauen, wenn man sich am nächsten Tag wiedersieht.
Die vierstündige Psychoanalyse fühlt sich für mich an wie ein „Mantel“, während die dreistündige Analyse einem „löchrigen Mantel“ ähnelt.
Die vierstündige Lehranalyse erinnert mich an einen Fluss: Veränderungen kommen weniger holperig daher und schwierige Situationen lassen sich leichter meistern. Veränderungen stellen sich ein und es ist nicht immer so leicht zu erfassen, was genau diese Veränderungen bewirkt hat. Das ist manchmal beängstigend, aber oft auch beruhigend.
Psychoanalyse ist kein Partnerersatz
„Wenn du zur Lehranalyse gehst, brauchst du doch keinen Partner mehr. Du ruhst dich auf der Beziehung zum Psychoanalytiker aus. Die Psychoanalyse wird zum Partnerersatz“, hörte ich manchmal. Wie ist es mit der Psychoanalyse und der Partnerschaft?
Die vierstündige Psychoanalyse kann gleichzeitig als eine Belastung und eine Entlastung erlebt werden. Oft fühlt man sich gehalten und weniger allein. Doch die Lehranalyse – oder die Psychoanalyse im Allgemeinen – ist eine spezielle Situation. Gemeinsam erforscht man das Unbewusste, lernt viele Probleme zu verstehen und bekommt eine Vorstellung davon, wie man Beziehungen befriedigend gestalten kann. Doch der Psychoanalytiker kann einen Partner nicht ersetzen – das spürt man als Analysand ganz genau.
Die Situation lässt sich vielleicht vergleichen mit der Situation von Kindergärtnerinnen, die keine eigenen Kinder bekommen konnten. Zu „ihren“ Kindern baut die Erzieherin eine wertvolle Beziehung auf, doch diese Beziehung ist eine andere als die Beziehung zum eigenen Kind. Sie kann auf gewisse Weise erfüllend sein, aber sie ist eben etwas anderes. Es kommt gelegentlich der Schmerz der Unvollständigkeit oder der Nicht-Erfüllung auf. Ähnlich ist es wohl mit der Psychoanalyse: Die Sehnsucht nach einer „echten“ Beziehung – insbesondere mit ihrer körperlichen Intimität – wird durch die Beziehung zum Analytiker nicht geschmälert. Oft wird die Sehnsucht sogar größer und die Suche nach dem Partner intensiver.
Non-Reporting System – der Lehranalytiker hält sich aus der übrigen Ausbildung heraus
Bei der DPV ist der eigene Lehranalytiker ausschließlich für die eigene Analyse zuständig. Aus allen anderen Fragen der Ausbildung hält er sich heraus. Er berichtet niemandem über die Analyse, sodass man als Ausbildungskandidat frei erzählen kann. Dennoch gehört der Analytiker ja zum Institut und zur Vereinigung, sodass – vielleicht anders als bei einer Patientenanalyse – man die eigene Übertragung auf den Analytiker ausweitet. Der Analytiker ist „Teil der Familie“. Probleme, die man als Kind mit der eigenen Familie hatte, können im Institut wieder auftauchen und in der Lehranalyse besprochen werden. So greift Eins ins Andere, was einerseits belastend, aber auch sehr entwicklungsfördernd und schließlich befreiend sein kann.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 4.10.2013
Aktualisiert am 1.6.2020
2 thoughts on “12 Wie wird man Psychoanalytiker? Die Lehranalyse”
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Liebe wurzelsuchende Analysandin, ich kann da gerne einmal recherchieren und schauen, ob ich einen Überblick finde. Herzlich, Dunja Voos
Sehr geehrte Frau Voss, gehen eigentlich alle diese Analysen auf Freud zurück? Oder wer hat wem die ersten Lehranalysen gegeben? Und könnten Sie nicht einmal recherchieren, ob es einen Stammbaum der Lehranalytiker/innen und Lehranalysand/innen gibt. Das wäre doch sehr schön zu sehen wer in welcher Linie und Tradition steht und welche „Familien“ sich da so entwickelt haben. MfG, eine Lehranalysandin die ihre Wurzeln sucht.