13 Wie werde ich Psychotherapeut*in/Psychoanalytiker*in? Zuhören lernen
Das intensive Zuhören zu erlernen, ist sicher eine der größten Herausforderungen in der psychothearpeutischen Ausbildung. Der amerikanische Psychoanalytiker Lewis Aron (1952-2019) hat in einem wunderbaren Zitat zusammengefasst, worum es in der Psychoanalyse geht (2009, frei übersetzt von Voos): „Das ist es, was Psychoanalyse ist. Das ist es, was wir anbieten: Wir hören den Menschen ganz genau zu, über eine lange Zeit und mit einer großen Intensität. Wir hören auf das, was sie sagen und auf das, was sie nicht sagen; auf das, was sie in Worten sagen und jenes, was sie mit ihren Körpern und ihren Handlungen ausdrücken. Und wir hören ihnen zu, indem wir uns selbst zuhören – wir achten auf unsere Psyche, unsere Träumereien und unsere körperlichen Reaktionen.“
Und weiter: „Psychoanalyse ist Tiefenpsychologie – das heißt, wir hören in die Tiefe und lehren unsere Schüler das Zuhören. Was immer auch die moderne Medizin mit ihren Steuerungssystemen sagt, welche Medikamente auch immer verschrieben werden und was auch immer die Forschung herausfinden mag: Die Menschen wollen, dass man ihnen tief zuhört und sie werden es immer wollen. Daher wird es immer Patienten geben, die ein psychoanalytisches Vorgehen suchen und brauchen. Und es wird immer Therapeuten geben, die die Psychoanalyse erlernen wollen.“
(Original, Aron, 2009:) „That is what psychoanalysis is. That is what we offer: We listen to people in depth, over an extended period of time and with great intensity. We listen to what they say and to what they don’t say; to what they say in words and to what they say through their bodies and enactments. And we listen to them by listening to ourselves, to our minds, our reveries, and our own bodily reactions. … Psychoanalysis is a depth psychology, which means that we listen in depth and teach our students to listen. Whatever managed care says, and whatever drugs are prescribed, and whatever the research findings, people still want to be listened to in depth and always will. That’s why there will always be patients who want and need an analytic approach and why there will always be therapists who need to learn it.“
Körperliches Wohlbefinden hilft beim Zuhören
Es ist relativ leicht, gut zuzuhören, wenn man ausgeschlafen und in einer körperlich guten Verfassung ist. Daher leben viele Psychoanalytiker sehr gesund – manche erlernen auch Meditationstechniken, um sich besser vertiefen zu können. Es gibt jedoch immer wieder Phasen im Leben, in denen es uns als Therapeuten nicht gut geht. Dann werden wir vielleicht häufiger von unseren Gefühlen übermannt oder wir können uns auf den Patienten nicht so gut einstellen. Doch wir können im Laufe der Zeit zu unserer Mitte zurückfinden, insbesondere dann, wenn wir unsere eigenen Traumata und Konflikte in der Lehranalyse bearbeiten. Du fühlst vielleicht das Bestreben, die eigenen Gefühle mit ruhigem Interesse zu beobachten und nachzudenken, auch, wenn es bei Weitem nicht immer geht.
Relativ wenige Patienten zu behandeln, ermöglicht aus meiner Sicht oft ein zufriedeneres Arbeiten, weil es das Zuhören erleichtert – denn wir haben immer auch eine individuelle oder tagesformabhängige Zeitspanne, in der wir gut zuhören können. Mit der Zeit wirst Du jedoch wahrscheinlich immer besser darin, Deinen meditativen, interessierten Zustand beizubehalten, auch wenn es hoch her geht oder wenn Gefühle der Lähmung auftauchen.
Zuhören heißt: innerlich arbeiten
Du kannst das Gesagte und das Geschehen in der Stunde mitunter behandeln wie einen Traum. Du kannst das Gesagte in Deine Theorien und in die Lebensgeschichte des Patienten einbetten, Du kannst Dich berühren lassen, Deinen inneren Bildern folgen und den Drang spüren, wenn es wichtig wird, etwas zu sagen. Du kannst dann weiter schweigen oder Dich zur Deutung entscheiden. Es kann wichtig sein, Dich von bestimmten Wellen des Patienten nicht zu sehr beeindrucken zu lassen (jedoch nicht im Sinne der Vojtatherapie, bei der man das Schreien des Babys „überhören“ oder als gewollt ansehen soll). Du spürst vielleicht immer mehr, wie Du mit Deinem Patienten mitleiden und mitfühlen kannst, weil Dir das Leid in sehr ähnlicher Weise bekannt ist. Das kann auf beide heilend wirken.
Zuerst einmal aber brauchst Du gute Ohren und einen guten Ohrenarzt.
Im Flow
Dein Zuhören ist ein aktives Geschehen. Wenn es geht, kannst Du Dich einer gleichschwebenden Aufmerksamkeit hingeben, was mitunter an einen tranceartigen Zustand erinnert. Das Zuhören kann dabei mühelos sein. Es kann aber auch langweilig sein, oder es kann Dich aggressiv und ungeduldig machen. Es kann freudig sein und vieles mehr. Wenn sich das Aversive breit macht, kannst Du versuchen, das Aversive innerlich genau zu beschreiben: Wie fühlt sich das an? Und warum ist „es“ so aversiv? Vielleicht willst Du innerlich weglaufen, vielleicht sagst Du etwas, um Dich zu entlasten. Vielleicht gelingt es Dir aber auch, „da“ zu bleiben und Dein inneres Weglaufen zu beobachten. Vielleicht kannst Du die Einstellung gewinnen, das Aversive mit Neugier zu erforschen.
All das und noch viel mehr geschieht im Zuhören. Es ist eine innere Arbeit, die der Patient mitunter gut spüren kann. Je länger Du diese Arbeit machst, desto geschulter wirst Du darin. Sobald Deine Fähigkeit zum Zuhören aufgrund von Krankheiten oder Alter vielleicht spürbar abnimmt, bemerkst Du das auch. Vielleicht bedauerst Du das dann, aber vielleicht wendest Du Dich irgendwann auch gerne wieder von der Aufgabe des „Zuhören-Müssens“ ab, um Dich um Dich selbst zu kümmern.
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Buchtipp:
Lewis Aron and Karen Starr:
A Psychotherapy for the People.
Toward a Progressive Psychoanalysis
Routledge, Taylor&Francis Group
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 3.8.2013
Aktualisiert am 21.4.2024