„Ich hasse mich!“ Was passiert eigentlich bei Selbsthass?
Was passiert eigentlich, wenn wir sagen: „Ich hasse mich!“? Wer ist „Ich“ und wer ist „mich“? „Ich“ bin der Steuermann, während das „Mich“ unser Kern ist, unser Selbst, insbesondere auch unser Körper („Ich schneide mich“). Das „Ich“ ist der Aktuer, das „Mich“ ist derjenige, der erlebt, der erfährt, dem etwas widerfährt. Allerdings gibt es viele Definitionen von „Ich“ und „Selbst“, die dann dieses Bild auch wieder durcheinanderbringen. Sigmund Freud sagte: „Das Ich ist vor allem ein Körperliches“ (Freud: Das Ich und das Es, 1923, Projekt Gutenberg. Zeichnung dort: Vdgt = Verdrängtes). Wir spüren unser Ich durch unseren Körper und sagen: „Ich habe Hunger. Ich bin hungrig.“
Freud vergleicht das „Ich“ mit etwas Oberflächlichem, nämlich mit dem „Hirnmännchen“ (Homunculus, siehe Wikipedia), das oben auf der Hirnrinde sitzt und unseren Körper repräsentiert. Dort enden die Nervenstraßen, die die Informationen aus unserem Körper in unser Gehirn senden. Beispielsweisen sind die Lippen im Hirnmännchen sehr dick, weil wir in unseren Lippen sehr viele, sehr dicht beieinander liegende Nervenzellen haben. Unsere Lippen erscheinen uns daher relativ groß.
Wir fühlen, wer wir sind
Im Nervensystem liegen diejenigen Nervenzellen weiter außen, die erst später in der Entwicklungsgeschichte des Menschen hinzugekommen sind. Die Hirnrinde ist ein relativ neues System. Älter sind die Hirnteile, die weiter innen im Gehirn sitzen, wie z.B. das limbische System, das besonders für die Gefühle zuständig ist, aber auch das Atemzentrum im Hirnstamm. „Neu“ ist alles das, was den Menschen auszeichnet, wie z.B. die Fähigkeit, sich als ein „Ich“ erleben und bewusst zu handeln zu können. Ich bewege meinen Körper willentlich (so ich es kann). So ist das „Ich“ vom Gefühl her ein „Akteur“ und der Körper ist vom Gefühl her unserem Willen ausgeliefert. Es kann sich aber auch umdrehen: Ist unser Körper beschädigt, dann macht er mit mir, „was er will“. Der Körper kann „mich“ (= mein „Ich“), zum Opfer machen.
Das vegetative Nervensystem scheint sich kaum steuern zu lassen. Auch, wenn ich bewusst noch so sehr zu einer Veranstaltung gehen will: Wenn mein Magen rebelliert und „ich mich übergebe“, dann kann ich noch so sehr wollen: „Ich“ bin dann sozusagen Opfer meines Körpers.
Das Ich-Ideal macht uns zu schaffen
Wir haben ein Ich-Ideal und wissen: So will ich sein. Doch das „bockige Selbst“ geht andere Wege. „Ich hörte mich ‚Arschloch!‘ sagen, dabei wollte ich das gar nicht“, sagen wir manchmal. Da überkommt ES uns. Auch wenn wir träumen, sind wir nicht so richtig Herr über uns selbst. Wir sind in den ersten Schlafphasen „Opfer“ unserer Träume. Gegen Morgen hin, wenn sich wieder mehr Bewusstsein in den Schlaf mischt, können wir unsere Träume teilweise auch aktiv steuern (luzide Träume) – aus „mir träumt“ wird „ich träume“.
Selbsthass hat auch mit unseren frühesten Körpererfahrungen zu tun. Wie wurde ich gewickelt? Auf welche Weise wurde ich gehalten? Wurde ich misshandelt? Manche Wissenschaftler sagen, wir haben ein Kern-Selbst, das teilweise unveränderlich scheint, wie z.B. der Charakter oder unser Temperament. Wenn wir sagen: „Ich hasse mich“, meinen wir oft damit, dass unser bewusstes, handelndes „Ich“ dieses scheinbar unveränderliche Selbst hasst. Wir hassen den Teil in uns, der ursprünglich ist und dem wir uns ausgeliefert fühlen. Dazu zählt auch das Unbewusste.
Das Unbewusste kann stark sein und unsere bewussten Pläne durchkreuzen: Wir wollen eine Rede halten, aber plötzlich wissen wir nicht mehr, was wir sagen sollen oder unsere Stimme versagt. Dann hassen „wir uns selbst“, das heißt, unser wollender, steuernder, vernünftiger Teil hasst das „innere, bockige Kind“ in uns oder dieses Selbst, was da zu tun scheint, was immer es will.
Alternativen zum Täter-Opfer-System
Wie stark wir in Täter-Opfer-Systemen denken hat stark damit zu tun, was wir draußen in unserer Umwelt und bei unseren Eltern erlebten. Haben uns die Eltern nicht ernstgenommen oder gar unterdrückt, dann neigen wir dazu, auch in anderen Beziehungen vom Täter-Opfer-Denken auszugehen. Wenn wir unsere Mutter/unseren Vater liebten, aber von ihnen keine Liebe zurück erhielten, dann hassten wir sie, aber dann schließlich dachten wir vielleicht auch, dass mit uns selbst etwas nicht stimmt. Wenn die Mutter/der Vater/der Partner/die Partnerin mich nicht liebt, dann muss ja etwas mit mir, mit meinem Ursprung, nicht stimmen, so lautet die Gleichung. Den Hass, den wir zuerst auf einen anderen richteten, der unsere Liebe nicht erwiderte, richten wir dann oft gegen uns selbst.
Beim Selbsthass spielen auch die sogenannten „Repräsentanzen“ eine wichtige Rolle. Repräsentanzen sind Vorstellungen, die wir über uns selbst und vor allem über Vater und Mutter (über unsere Primär-Objekte) in uns tragen. Ähnlich wie wir körperlich aus den Genen von Vater und Mutter bestehen und doch ein eigener Mensch geworden sind, so besteht unsere Psyche auch aus Anteilen von anderen Menschen, insbesondere aus Anteilen von Mutter und Vater.
Vater und Mutter werden in die Psyche aufgenommen
Wir nehmen in unserer frühkindlichen Entwicklung Mutter und Vater in uns auf: Behandelten Mutter und Vater unsere Seele und unseren Körper vorwiegend zärtlich, dann übernehmen wir das. Wir behandeln uns selbst so, wie uns einst Vater und Mutter behandelt haben. Oft sagen wir bewusst: „Huch, jetzt rede ich schon wie meine Mutter!“ Oft aber sind uns die Teile von Mutter und Vater in uns nicht so getrennt bewusst. Sie sind sozusagen mit unserer Psyche, mit unserem eigenen Selbst verschmolzen. „Schau mal, der hat denselben Gang, dieselben Gesten, dieselben Floskeln wie sein Vater“, sagen andere dann.
Wenn wir sagen: „Ich hasse mich selbst“, kann man das oft auch aufdröseln in: „Ich hasse die mütterlichen/die väterlichen Anteile, die in meiner Psyche sind, ich hasse Mutter und Vater in mir selbst“, oder „Ich hasse mich, weil meine Psyche mit Mutter und Vater verschmolzen zu sein scheint und sich das nun anfühlt, als ließe es sich nicht mehr trennen.“
Was wir loswerden wollen
Diese „Verpappung“ von Vater und Mutter mit uns selbst äußert sich häufig in dem Gefühl, dass wir etwas aus uns herausschneiden, herausreißen wollen. So mancher, der einen Suizidversuch unternimmt, will eigentlich nicht „sich selbst“ umbringen, sondern sozusagen Vater oder Mutter in ihm. An diesen Punkten versucht man in der Psychoanalyse, diese gehassten Anteile besser kennenzulernen.
In einer Psychoanalyse untersucht man, welche Anteile in einem selbst Opfer und Täter sind. Das spielt sich häufig zunächst außen ab: Der Therapeut wird als Täter und Angreifer erlebt, während der Patient sich ausgeliefert fühlt. Oder umgekehrt: Der Patient greift den Therapeuten an (siehe Kapitel „Hass“ von Otto Kernberg in Mertens/Waldvogel: Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, Kohlhammer, 3. Auflage, 2008: S. 284).
Außenwelt gleich Innenwelt
Man kann dieses „Spiel“, was sich da außen abspielt, untersuchen und auf die inneren Kräfte, die inneren „Objekte“ übertragen. Werden wir von anderen respektvoll, verstehend und liebevoll behandelt, so spüren wir, dass wir auch mit unseren negativen Seiten liebenswert sind. Wir können uns nur schwer einfach so selbst lieben – es ist leichter, wenn wir von außen Liebe erfahren. Wir können danach suchen, z.B. in einer Psychotherapie, auf einer Reise, bei guten Lehrern und anderen Menschen, aber dabei müssen wir gelassen bleiben. Sie Liebe „herbeizumachen“, klappt meistens nicht. Wir müssen warten und davon ausgehen, dass wir liebenswert sind – auch, wenn wir einfach nur dasitzen und nichts tun.
Selbsthass ist ein furchtbares Gefühl, das großes Leiden verursacht und immer wieder über einen kommen kann. Doch Hass liegt auch nahe bei der Liebe. Hier kann es interessant sein, danach zu fragen, wo sich denn die Liebe versteckt hat und wo sie enttäuscht wurde. Neben Selbsthass kann es dann zunehmend auch Selbstmitleid (im guten Sinne), Trauer, Selbstbemutterung und Selbstliebe geben.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 16.11.2015
Aktualisiert am 11.12.2023
4 thoughts on “„Ich hasse mich!“ Was passiert eigentlich bei Selbsthass?”
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Ich bin so ekelhaft und hässlich das der Hass den ich für mich empfinde keine Worte mehr hat. Erstens hasse ich es eine Frau zu sein. Sich immer unterzuordnen. Wiederspricht man auch dem mänlichen allergrösstem Idioten bekommt man einen in die elendige HackFresse. Das zweite ist das Geschlecht es stink, es schmerzt, es blutet und ist nur zum vergewaltigen gut genug. Dann darf man nur wirtschaftsberufe ergreifen. Wird man Ingenieurin wird man als unfähig markiert. Frau kann das schliesslich nicht und hat mitProfessor/komilitone/kolege/Chef geschlafen um es schaffen. Dann die art und weise wie ich rede. Einfach nur ekelhaft. Viel zu viel geplapper. Viel zu hoch. Viel zu nuschelig. Dann das ganze gewabbel am körper. Ich könnt aufstehen und kotzen. Ins bett gehen und kotzen. Ich würd mir am liebsten alles mit einer axt abhacken und verstümmeln. Die faltigen hände, das hackfressengesicht. Die fetten beine. .
Ich finde es ganz ganz schwer, äußere gut sichtbare Teile an einem selbst (z. B. im Gesicht), die durch Umstände, auf die man keinen Einfluss hatte (also durch Unfall, Krankheit, Operation oder von Geburt an), beschädigt sind oder als unschön eingestuft werden (wie z. B. eine lange Narbe, Hautverbrennung, eine sehr große krumme Nase, usw., usw.) lieben zu lernen, ENTGEGEN der Werturteile anderer Menschen.
Eigentlich müßte man solche „Sorgenkinder“ doch als wertvoller (und nicht als weniger wert oder weniger schön) ansehen (entgegen der landläufigen Beurteilungen), weil man es mit solchen „Kindern“ ja schwerer hat im Leben. man also MEHR LEISTEN MUSS (Selbstwert-Arbeit), um von anderen angenommen/gewertschätzt/geliebt zu werden, als Menschen, denen aufgrund ihrer Schönheit leichter Anerkennung zuteil wird.
Ich wünsche allen, die sich wie ich auf einem solchen Weg befinden,
gutes Gelingen!
Liebe Grüße
Melande
Lieben Dank, liebe Leni1932 :-)
Toll und nachvollziehbar erklärt.