Triangulierung: „Was ich bei Mama nicht finde, finde ich beim Papa.“
Am Anfang unseres Lebens steht die sehr nahe Beziehung zur Mutter. Neun Monate lang waren wir aufs engste mit ihr verbunden. Wie in einer Symbiose verbrachten wir – wenn alles gut ging – die ersten Wochen miteinander. Langsam kam für uns merklich der Dritte im Bunde dazu, der Vater oder die Lebenspartnerin der Mutter. Als „trennender Dritter“ sorgte er/sie dafür, dass wir den Weg nach draußen in die Welt fanden. Üblicherweise ist die Mutter oft dafür, das Kind eher noch zu schonen, während der Vater die Stimme für die Herausforderung erhebt.
In dieser frühkindlichen Triangulierung gewannen wir als Kind das Vertrauen, dass wir uns ruhig auch gegen die Mutter wenden konnten – schließlich war ja auch noch der Vater oder Mutter Nummer zwei da.
Gleichzeitig hält der Vater/die Partnerin der Mutter seine/ihre Hand schützend über das Mutter-Kind-Paar. Der „Dritte im Bunde“ kümmert sich idealerweise um Alltagsdinge, während Mutter und Kind sich in den ersten Wochen und Monaten in besonderer Weise aufeinander einstimmen. Natürlich ist es bei Weitem nie so ideal, doch im Groben ist es bei vielen so. Diese Dreierschaft dient unserer Psyche dazu, unsere Innen- und Außenwelt zu strukturieren.
Der Dritte ist unser Ausweg
Der anwesende Vater entspannt die Zweiersituation zwischen Mutter und Kind, die ja keineswegs nur harmonisch ist. Diese Bedeutung des „Dritten“, der für Entspannung und Schutz sorgt, ist ein Leben lang eine wichtige Vorstellung. Menschen, die immer wieder in Gewaltsituationen verstrickt sind, haben die Erfahrung des „rettenden Dritten“ in der Kindheit oft nicht machen dürfen. Und so geraten sie oft in eine scheinbar auswegslose Nähe zum Nächsten, die nur durch Gewalt beendet werden kann.
Einen Dritten in der Realität oder auch nur in Vorstellung zu haben (innerliche Triangulierung), kann trösten, entlasten und schafft Raum. Etwas Drittes ermöglicht Abstand zur aktuellen Situation und eröffnet den Raum zum Spielen. Hin und Her kann sich das Kind mit dem Dritten im Bunde bewegen. Aus der konkreten Erfahrung der Triangulierung entstehet die Fähigkeit, sich Neuem zuzuwenden. Neugier wächst und etwas Neues kann gelernt werden. Die Erfahrung mit dem „Dritten“ ermöglicht es dem Kind auch, sich leichter aus alten Beziehungen zu lösen und neue Kontakte zu knüpfen. Auch fallen Entscheidungen oft viel leichter, wenn es noch eine dritte Möglichkeit gibt.
„The paradox is that we can only truly love each other when we also love something beyond each other.“ („Das Paradox ist, dass wir uns gegenseitig nur dann wahrlich lieben können, wenn wir etwas lieben, das über uns steht.“) Patrick Harpour (gefunden auf Twitter)
Der störende Dritte
Neben der frühkindlichen Triangulierung in der Babyzeit gibt es späterhin auch die ödipale Triangulierung (Dreieckskonstellation). Hiermit ist gemeint, dass das etwa 3- bis 6-jährige Kind lernt, den Dritten im Bunde zu akzeptieren. Mutter und Vater stellen eine Einheit dar, rufen Eifersucht im Kind hervor und auch das Gefühl von Ausgeschlossensein. Gleichzeitig wird das Gefühl von Eigenständigkeit im Kind gestärkt.
Dass Vater und Mutter so verlässlich zusammengehören, bietet dem Kind auch Schutz – z.B. vor Inzest. Dennoch wäre es dem kleinen Kind oft am liebsten, es könnte einen (meistens den gegengeschlechtlichen) Elternteil ganz für sich gewinnen. In der ödipalen Phase lernen die Kinder zu akzeptieren, dass das nicht möglich ist.
Verläuft die Entwicklung gesund, können die Kinder diese Phase irgendwann abschließen. Sehr vereinfacht gesagt: Die Tochter versöhnt sich mit der Mutter, der Sohn mit dem Vater. Viele Märchen und Mythen handeln davon. Die ödipale Phase im Alter von vier bis sechs Jahren trägt zur seelischen Geschlechtsfindung bei. Die Tochter versteht irgendwann: Sie wird niemals den Vater heiraten können – so wie der Sohn niemals die Mutter heiraten kann. Wir haben dadurch gelernt, dass es Dinge gibt, die uns immer unmöglich bleiben – hier bleibt für immer eine nach oben offene Lücke. Nicht jede Liebe geht in Erfüllung und das ist gut so. So können wir das Richtige für uns finden.
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Links:
Hans-Geert Metzger:
Die Angst der Väter vor der frühen Kindheit
Psychoanalyse aktuell, Juli 2006
Jason Schiffman et al. (2002)
Perception of parent–child relationships in high-risk families, and adult schizophrenia outcome of offspring.
Journal of Psychiatric Research, Volume 36, Issue 1, January–February 2002, Pages 41-47
https://doi.org/10.1016/S0022-3956(01)00046-2
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0022395601000462
Hans-Geert Metzger:
Psychoanalyse des Vaters
Rezension auf Socialnet.de, September 2008
Hans-Geert Metzger:
Die Idealisierung und Entwertung des Vaters
Psychoanalyse-aktuell, 2010
Frank Dammasch, Dieter Katzenbach, Hans-Geert Metzger, Vera Moser, Jessica Ruth:
Strukturelle Lernstörung und emotionale Erfahrung
Triangulierung als beziehungsdynamische Grundlage schulischer Lern- und Bildungsprozesse
Yumpu.com
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 2.2.2011.
Aktualisiert am 12.12.2022