Wer ist Ich und wer ist Mich? Das „I and Me“ des William James
„Ich mache es mir gemütlich, ich beruhige mich.“ Ist es nicht eigenartig, wie wir mit uns sprechen? Wer ist „Ich“ und wer ist „Mich“? Der amerikanische Philosoph und Psychologe William James (1842-1910) unterscheidet zwischen zwei Teilen des Selbst: Dem „I“ und dem „Me“. Dabei ist das Ich derjenige subjektive Teil des Selbst, das handelt. Das „Ich“ interpretiert, ordnet die Erlebnisse und gibt uns ein Gefühl der Freiheit. Das Mich ist die Vorstellung, die wir von uns selbst haben. Das „Ich“ (als Subjekt erlebt) versorgt das „Mich“ (das Objekt, den Körper).
Das Baby im Mutterleib spürt vielleicht, wie es gegen die Bauchwand gedrückt ist. Es fühlt sich möglicherweise als „Objekt“, aber es kann auch irgendwann bewusst die Hand ausstrecken und gegen die Bauchwand drücken. Dann fühlt es sich aktiv, es fühlt sich als Subjekt. Wenn die Mutter es später anschaut, merkt es, dass es beobachtet werden kann. „Ein Objekt bin ich für Beobachter. Andere Menschen können meine Beobachter sein, aber auch ich selbst kann mein eigener Beobachter sein“, so der Gedanke.
Man kann sich das „Mich“ auch als Körper vorstellen. Wenn ich schlafe, sieht man „mich“. Mein Körper atmet von selbst weiter, da muss „ich“ nichts zutun. Ich selbst kann während des Schlafes träumen. Die Sinneseindrücke, besonders die Haut, die Muskeln mit ihrer Tiefensensibilität, vermitteln mir ein Gefühl von „Mich“, von „Ich-als-Objekt“.
Eckhart Tolle spricht vom „Ego“, von dem „Ich“, das wir uns selbst aufbauen. Das „Ego“, ist der Teil in uns, der Recht haben möchte, der sich durchsetzen möchte, der unentwegt denkt, der gekränkt werden kann usw. Das eigentliche „Ich“ sieht er als unabhängig davon an – es ist unser Kern. Es ist das, was wir „wirklich“ sind und das, was uns mit anderen verbindet. Die Vorstellung von „Ich“ und „Mich“ wird überall ähnlich beschrieben, z.B. auch im Buddhismus. „Mich“ ist der passive Teil in mir. „Mein Körper ärgert mich. Mein Darm (mein Körper) hindert mich (meine „Seele“) daran, das zu tun, was ich will.“
Der französische Psychiater Boris Cyrulnik beschreibt das „Ich“ („Je“) und „Mich“ („Moi“) wieder etwas anders: Das „Ich“ ist das Subjekt („Ich handele!“) und das „Mich“ ist die (idealisierte) Vorstellung, die wir von uns haben. Er zeigt ein Foto, auf dem er sich selbst wie einen muskulösen Ideal-Menschen sieht. „Ich halte mich für einen starken Mann“, könnte man sagen. Andere wiederum sehen im „Mich“ den „wahren Kern“, also gerade nicht das Idealbild oder eine Vorstellung/Repräsentanz, sondern das „wirkliche“ Ich, das spürbar und eher ein Körper-, Atem-, Wahrheits- oder Seelengefühl ist.
Der Psychoanalytiker Jaques Lacan wiederum beschreibt das „Je“ als „sprachliches Subjekt des Unbewussten“ und das „Moi“ als imaginäres Ich (Michael Meyer zum Wischen: Zur Erfindung eines Namens, transript Verlag 2007, S. 125, Primärquelle siehe auch: Jaques Lacan: Das Seminar, Buch III. Die Psychosen [1955/56]; Verlag Turia und Kant)
„Der Mensch denkt, Gott lenkt.“ „Ich“ ist der denkende, steuernde Teil, „Mich“ ist der ohnmächtige, passive Teil. Es kann das Gefühl entstehen, sich selbst ausgeliefert, aber auch geborgen oder Eins mit sich zu sein.
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Links:
Peter Fonagy, György Gergely et al.:
Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst.
Klett-Cotta, Stuttgart 2002/2018
Thomas H. Ogden:
Das intersubjektive Subjekt der Psychoanalyse bei Klein und Winnicott
Jahrbuch der Psychoanalyse (2009), 58: 139-168
https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783772831584/jahrbuch-der-psychoanalyse
William James:
Die Vielfalt religiöser Erfahrung
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 15.6.2007
Aktualisiert am 23.11.2024